Marcel Proust

Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen


Скачать книгу

gefütterten Mantel, so daunenweich wie die weißen Stoffe, die diesen Salon bekleideten, in dessen Mitte Frau Verdurin selbst ein Salon war. Die schüchternsten Frauen wollten sich aus Diskretion zurückziehen, und – wie man den andern Besuchern begreiflich macht, daß es verständiger sei, eine Rekonvaleszentin, die sich zum erstenmal erhebt, nicht zu sehr zu ermüden, – wandten sie den Plural an und sagten: »Odette, wir wollen Sie jetzt allein lassen.« Man beneidete Frau Cottard, die von der Patronne beim Vornamen genannt wurde. »Werde ich sie entführen?« sagte Frau Verdurin zu ihr, da sie den Gedanken nicht ertragen konnte, daß eine der Getreuen dabliebe, statt ihr zu folgen. »Frau Bontemps ist schon so liebenswürdig, mich mitzunehmen«, antwortete Frau Cottard, die nicht den Eindruck erwecken wollte, als vergäße sie zugunsten einer berühmteren Person, daß sie das Anerbieten von Frau Bontemps, sie in ihrer Dienstkutsche heimzufahren, angenommen hatte. »Ich gestehe gern, daß ich den Freundinnen, die mich in ihrem Vehikel mitnehmen, ganz besonders dankbar bin. Das ist ein wahrer Glücksfall für mich, die selber keinen Rosselenker hat.« »Um so mehr,« erwiderte die Patronne (sie wollte nicht unfreundlich dazu schweigen, da sie Frau Bontemps ein wenig kannte und schon zu ihren Mittwochen eingeladen hatte), »als Sie bei Frau von Crécy ziemlich weit von Hause sind. O mein Gott! Ich werde es doch nie lernen, Frau Swann zu sagen.« Es war ein beliebter Scherz im kleinen Clan, so recht für Leute, die nicht viel Geist haben, zu tun, als könne man sich nicht daran gewöhnen, Frau Swann zu sagen. »Ich hatte so sehr die Gewohnheit, Frau von Crécy zu sagen, daß ich mich beinah wieder versprochen hätte.« Frau Verdurin war die einzige, auf die dies ›beinah‹ nicht zutraf, sie versprach sich absichtlich. »Ängstet es Sie nicht, Odette, dies verlorene Viertel zu bewohnen. Wenn ich abends hier auf dem Heimweg wäre, ich glaube, ich würde ein bißchen unruhig sein. Und dann ist es so feucht. Das kann nicht gut sein für das Exzem Ihres Mannes. Sie haben doch wenigstens keine Ratten?« »Aber nein! Das wäre ja scheußlich!« »Gott sei Dank. Man hat es mir gesagt. Ich bin froh, daß es nicht wahr ist, denn ich habe schreckliche Furcht vor Ratten und wäre nicht wieder zu Ihnen gekommen. Auf Wiedersehen, Liebste, Beste, auf bald, Sie wissen, wie glücklich es mich macht, Sie zu sehen. – Sie arrangieren aber die Chrysanthemen nicht richtig«, sagte sie noch im Abgehen, während Frau Swann sich erhob, sie hinauszubegleiten. »Es sind japanische Blumen, man muß sie verteilen, wie die Japaner es tun.«

      »Da teile ich die Meinung von Frau Verdurin nicht, obwohl sie mir sonst in allen Dingen Gesetz und Propheten ist. So schöne Chrysanthemen können nur Sie finden, Odette«, erklärte Frau Cottard, als die Patronne die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Unsere liebe Verdurin ist nicht immer sehr wohlwollend für die Blumen der andern«, antwortete sanft Frau Swann. »Wer darf Sie beliefern, Odette?« fragte Frau Cottard ablenkend, um die Kritiken über die Patronne nicht weitergehen zu lassen ... »Lemaître? Neulich stand vorn bei Lemaître ein großes Rhododendron, für das ich, ich bekenne es, eine Tollheit beging.« Aus Schamhaftigkeit wollte sie keine genauere Auskunft über den Preis des Rhododendrons geben, sie sagte nur, der Professor, der doch in seinen Ausdrücken nicht gerade »kurz angebunden« sei, habe vom Leder gezogen und ihr gesagt, sie wisse wohl nicht, was Geld sei. »Nein, nein, ich habe von namhaften Blumenhändlern nur Debac.« »Ich auch,« sagte Frau Cottard, »aber ich bekenne, daß ich ihm manchmal mit Lachaume ein wenig untreu werde.« »Ah, Sie betrügen ihn mit Lachaume, das werde ich ihm sagen«, erwiderte Odette, die sich bemühte, Geist zu entwickeln und die Unterhaltung in ihren Salon zu dirigieren, wo sie sich behaglicher fühlte als in dem kleinen Clan. »Übrigens wird Lachaume wirklich zu teuer; seine Preise sind übertrieben, wissen Sie, ich finde seine Preise geradezu unschicklich!« Sie lachte.

      Indessen war Frau Bontemps, die hundertmal gesagt hatte, sie wolle nicht zu den Verdurin gehen, entzückt, zu den Mittwochgesellschaften eingeladen zu sein, und schon im Begriff, auszurechnen, wie sie sich möglichst oft dahin begeben könne. Sie wußte nicht, daß Frau Verdurin Wert darauf legte, daß man keinen Mittwoch bei ihr versäume; sodann gehörte sie zu den wenig begehrten Gästen, die, wenn sie in einem Hause zu »Serien« geladen werden, nicht einfach hingehen wie andere, die wissen, daß sie mit ihrem Besuch Vergnügen bereiten, wenn sie gerade etwas freie Zeit und das Bedürfnis auszugehen haben; sondern sie versagen sich die erste und dritte Gesellschaft in dem Wahn, daß ihre Abwesenheit auffallen werde, und sparen sich für die zweite und vierte auf; es sei denn, daß sie in Erfahrung gebracht haben, die dritte werde besonders glänzend sein; dann ändern sie wieder ihre Einteilung und geben vor, »das letztemal seien sie unglücklicherweise nicht frei gewesen«. Frau Bontemps überschlug, wieviel Mittwoche es noch vor Ostern gab und wie sie es anstellen könne, einen mehr zu erbeuten, ohne daß es aussehe, als dränge sie sich auf. Sie rechnete auf Frau Cottard, mit der sie zusammen heimfahren würde, die sollte ihr Auskünfte erteilen.

      »Aber Frau Bontemps, Sie stehen auf? Das ist nicht hübsch von Ihnen, so das Signal zur Flucht zu geben, Sie sind mir noch Entschädigung schuldig, weil Sie letzten Donnerstag nicht gekommen sind ... Ach, setzen Sie sich noch einen Augenblick. Vor dem Essen machen Sie wohl doch keinen Besuch mehr. Sie wollen sich wirklich nicht verlocken lassen?« – Frau Swann reichte ihr eine Kuchenschüssel. – »Wissen Sie, es ist gar nicht so schlecht, das Zeug da. Es sieht nach nichts aus, aber kosten Sie mal, dann werden Sie schon sehen.«

      »O im Gegenteil, das sieht köstlich aus«, erwiderte Frau Cottard, »bei Ihnen, Odette, herrscht keine Lebensmittelknappheit. Ich brauche Sie nicht nach der Fabrikmarke zu fragen, ich weiß, Sie lassen alles von Rebattet kommen. Ich muß sagen, daß ich eklektischer bin. Für Petits fours, für alles Naschwerk wende ich mich häufig an Bourbonneux. Aber ich gebe zu, daß man bei dem nicht weiß, was Gefrorenes ist. Rebattet ist klassisch in allem, was Eis, Bavaroise, Sorbet ist. Wie mein Mann sagen würde, er ist das nec plus ultra.« »Aber das hier ist ja einfach im Haus gemacht. Sie wollen wirklich nicht?« »Ich könnte dann nicht zu Abend essen,« antwortete Frau Bontemps, »aber ich setze mich noch einen Augenblick, es macht mich zu glücklich, mit einer intelligenten Frau wie Sie zu plaudern.« »Sie werden mich indiskret finden, Odette, aber ich möchte gern wissen, wie Sie über den Hut urteilen, den Frau Trombert aufhatte. Ich weiß, die großen Hüte sind Mode. Aber das ist denn doch übertrieben. Und neben dem, den sie neulich bei mir trug, ist der von vorhin sogar noch mikroskopisch.«

      »Aber nein, ich bin nicht intelligent«, sagte Odette (sie meinte, das nehme sich gut aus). »Ich bin im Grunde so naiv, glaube alles, was man mir sagt, und mache mir Sorgen um jede Kleinigkeit.« Und sie gab zu verstehen, sie habe anfangs sehr darunter gelitten, mit einem Manne wie Swann verheiratet zu sein, der ein Leben ganz für sich führe und sie betrüge. Indessen hatte der Fürst von Agrigent die Worte »Ich bin nicht intelligent« verstanden und hielt es für seine Pflicht, zu protestieren, aber ihm fiel selten gleich etwas ein. »Nanana!« rief Frau Bontemps, »Sie nicht intelligent?« »Ja, Tatsache, ich habe mir auch gedacht: Was muß ich hören?« sagte der Prinz und faßte nach dem rettenden Strick. »Meine Ohren müssen mich getäuscht haben.« »Ach nein, ich versichere Ihnen«, sagte Odette, »ich bin im Grunde eine kleine Bourgeoise, leicht zu chokieren, voller Vorurteile, immer in meinem Eckchen und vor allem sehr ungebildet.« Und sie erkundigte sich nach Herrn von Charlus mit den Worten: »Haben Sie unseren lieben Baronet gesehen?« »Sie ungebildet?« rief Frau Bontemps. »Was würden Sie da zu der offiziellen Gesellschaft sagen, zu all den Frauen von Exzellenzen, die nur von Mode und Kleidern sprechen... Schauen Sie, da hab ich vor noch nicht acht Tagen die Kultusministerin auf Lohengrin gebracht. » Lohengrin?« sagte sie, »ach ja, die letzte Revue der Folies-Bergère, es soll zum Totlachen sein. Was sagen Sie dazu, meine Liebe? Wenn man so etwas hört, möchte man doch aus der Haut fahren. Am liebsten hätte ich das Weib geohrfeigt. Ich hab nun mal das Temperament, wissen Sie. Hab ich nicht recht?« wandte sie sich an mich. »Hören Sie,« sagte Frau Cottard, »es ist zu entschuldigen, daß man etwas schief antwortet, wenn man so unvorbereitet auf den Kopf zu gefragt wird. Davon kann ich ein Lied singen, denn Frau Verdurin hat auch die Gewohnheit, unsereinem das Messer an die Kehle zu setzen.« »Da Sie gerade von Frau Verdurin sprechen,« fragte Frau Bontemps Frau Cottard, »wissen Sie, wer Mittwoch bei ihr sein wird?... Ach jetzt fällt mir ein, wir haben ja schon eine Einladung für nächsten Mittwoch angenommen. Wollen Sie nicht Mittwoch in acht Tagen bei uns essen? Wir gehen dann zusammen zu Frau Verdurin. Allein trau ich mich nicht recht hin, ich weiß nicht, wie es kommt, aber diese große Frau hat mir immer Angst gemacht.« »Ich will Ihnen etwas sagen,« erwiderte