Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe)
der Regel (die, wie alle Regeln, ihre Ausnahmen hat), meine teure Madam«, sagte der Major, »haben sie mich mit ihrer Bekanntschaft beehrt, häufig sogar mir ihr Vertrauen geschenkt.«
Ich beobachtete den Major, wie er sein weißes Haupt senkte, seinen schwarzen Schnurrbart strich und wieder in Trübsinn verfiel, und ein Gedanke, der, wie ich glaube, umherwanderte und sich irgendwo nach einem Eigentümer umsah, fiel in meinen alten Kopf, wenn Sie mir den Ausdruck gestatten wollen.
»Die Wände meiner Pension«, sagte ich beiläufig – denn, meine Liebe, es ist zwecklos, mit einem Mann, der trübsinnig ist, geradeheraus zu sprechen –, »könnten sicher etwas erzählen, wenn sie dazu imstande wären.«
Der Major machte weder eine Bewegung noch sprach er ein Wort, aber ich sah an seinen Schultern, daß er zuhörte, meine Liebe – daß er mit seinen Schultern auf das achtete, was ich sagte. Ich sah tatsächlich, wie es auf seine Schultern Eindruck machte.
»Der liebe Junge hat stets gern Geschichten gelesen«, fuhr ich fort, als spräche ich zu mir selbst; »und dieses Haus – sein eignes Heim – könnte wahrlich einige Geschichten aufzeichnen, die er später einmal lesen könnte.«
In den Schultern des Majors gab es einen Ruck, und sein Kopf kam in seinem Hemdkragen in die Höhe. Der Kopf des Majors kam in seinem Hemdkragen in die Höhe, wie ich ihn, seit Jemmy zur Schule fortging, nicht in die Höhe hatte kommen sehen.
»Es ist nicht zu bestreiten, daß ich in den Pausen eines freundschaftlichen Cribbage-Spiels oder Rubbers, meine teure Madam«, sagte der Major, »und auch über dem, was in meiner Jugend – in den grünen Tagen Jemmy Jackmans – das volle Glas genannt zu werden pflegte, manche Erinnerung mit Ihren Mietern ausgetauscht habe.«
Meine Bemerkung darauf war – ich gestehe, daß ich sie mit der verborgensten und hinterlistigsten aller Absichten machte:
»Ich wünschte, daß unser lieber Junge sie gehört hätte!«
»Ist das Ihr Ernst, Madam?« fragte mich der Major, in die Höhe fahrend und sich mir zuwendend.
»Weshalb nicht, Major?«
»Madam«, sagte der Major, einen seiner Ärmel aufkrempelnd, »sie sollen für ihn niedergeschrieben werden.«
»Ah! Das läßt sich hören«, meinte ich, indem ich vor Vergnügen die Hände zusammenschlug. »Jetzt sind Sie auf dem besten Weg, aus dem Trübsinn herauszukommen, Major!«
»In der Zeit von jetzt bis zu seinen Ferien – ich meine, denen des lieben Jungen«, sagte der Major, seinen andern Ärmel aufkrempelnd, »kann schon viel fertig werden.«
»Major, Sie sind ein kluger Mann, Sie haben vieles gesehen, und Ihre Worte sind nicht zu bezweifeln.«
»Ich werde morgen anfangen«, sagte der Major, der auf einmal so groß wie nur je aussah.
Meine Liebe, in drei Tagen war der Major ein anderer Mensch, und in einer Woche war er wieder ganz der alte, und er schrieb und schrieb und schrieb, indem er mit seiner Feder kratzte, wie Ratten hinter dem Wandgetäfel. Ob alles, was er schrieb, auf Wahrheit beruhte, oder ob er dabei ein bißchen aufschnitt, das kann ich Ihnen nicht sagen, aber das Manuskript liegt hinter der Glasscheibe des linken Seitenfachs in dem kleinen Bücherschrank gerade hinter Ihnen.
Zweites Kapitel.
Ein paar Worte, die der erste Stock selbst hinzufügte
Ich habe die Ehre, mich Ihnen vorzustellen. Mein Name ist Jackman. Ich halte es für ein stolzes Vorrecht, daß ich auf Veranlassung meiner würdigen und im höchsten Grade geachteten Freundin, Mrs. Lirriper, von Norfolk Street Nummer einundachtzig, Strand, in der Grafschaft Middlessex im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland, und zur Belehrung des bemerkenswertesten Jungen, der jemals lebte – mit Namen Jemmy Jackman Lirriper –, auf die Nachwelt komme.
Es kommt mir nicht zu, das Entzücken zu schildern, mit dem wir diesen lieben und im höchsten Grade hervorragenden Jungen während seiner ersten Weihnachtsferien empfingen. Nur soviel soll bemerkt sein, daß, als er mit zwei prachtvollen Preisen (in Arithmetik und ausgezeichnetem Betragen) ins Haus gestürmt kam, Mrs. Lirriper und ich ihn mit Rührung umarmten und sofort mit ihm ins Theater gingen, wo wir uns alle drei wunderbar unterhielten.
Auch ist es nicht meine Absicht, den Tugenden der Besten ihres guten und geehrten Geschlechts – die ich aus Rücksicht für ihre Bescheidenheit hier nur mit den Anfangsbuchstaben E. L. bezeichnen will – meine Huldigung dadurch zu bezeigen, daß ich diesen Bericht zu dem Bündel von Manuskripten hinzufüge, über die unser Junge sein Entzücken ausgedrückt hat, bevor ich dieses Bündel wieder in das linke Seitenfach von Mrs. Lirripers kleinem Bücherschrank lege.
Auch geschieht es nicht deshalb, um den Namen des alten, originalen, ausgedienten, unbekannten Jemmy Jackman, früher (zu seiner Herabwürdigung) bei Wozenham, jetzt seit langem (zu seiner Erhebung) bei Lirriper, ungebührlich vorzudrängen. Wenn ich mich mit Bewußtsein einer solchen geschmacklosen Handlungsweise schuldig machen könnte, so wäre es wirklich ein ganz überflüssiges Unterfangen, jetzt, wo der Name von Jemmy Jackman Lirriper getragen wird.
Nein. Ich ergreife meine bescheidene Feder vielmehr, um einen kleinen Bericht über unseren erstaunlich bemerkenswerten Jungen zu verfassen, der, wie ich in meinem einfachen Verstand glaube, ein hübsches kleines Bild von dem Geist des lieben kleinen Jungen bietet. Das Bild wird vielleicht für ihn selbst interessant sein, wenn er erwachsen ist.
Der erste Weihnachtstag, den wir nach unserer Wiedervereinigung verbrachten, war der schönste, den wir je miteinander verlebt haben. Jemmy war keine fünf Minuten still, ausgenommen in der, Kirche. Er schwatzte, als wir am Kamin saßen, er schwatzte, als wir spazierengingen, er schwatzte, als wir wieder am Kamin saßen, er schwatzte ohne Unterlaß beim Essen, obwohl er mit einem Appetit aß, der fast so bemerkenswert war wie er selbst. Es war die Quelle des Glücks, die in seinem frischen jungen Herzen unaufhörlich überströmte, und sie befruchtete (wenn ich ein so kühnes Bild gebrauchen darf) meine Freundin und J. J., den Schreiber dieser Zeilen.
Am Tisch saßen nur wir drei. Wir aßen in dem kleinen Zimmer meiner geschätzten Freundin, und das Mahl war vollkommen. Aber alles im Hause ist, was Sauberkeit, Ordnung und Behaglichkeit angeht, stets vollkommen. Nach dem Essen glitt unser Junge auf sein altes Stühlchen zu Füßen meiner geschätzten Freundin, und dort saß er mit seinen gerösteten Kastanien und seinem Glas braunen Sherry (wirklich, ein ganz ausgezeichneter Wein!), während seine Wangen röter waren als die Äpfel in der Schale.
Wir sprachen von diesen meinen Schreibereien, die Jemmy inzwischen gelesen und wieder gelesen hatte; und so fügte es sich, daß meine geschätzte Freundin, während sie Jemmys Locken streichelte, bemerkte:
»Und da du auch zum Hause gehörst, Jemmy – und zwar viel mehr als die Mieter, da du doch darin geboren bist –, so bin ich der Meinung, deine Geschichte sollte eines Tages zu den übrigen hinzugefügt werden.«
Jemmys Augen leuchteten bei diesen Worten, und er sagte:
»Das denke ich auch, Großmutti.«
Dann saß er eine Weile da und blickte ins Feuer. Plötzlich begann er zu lachen, als ob er dem Feuer etwas anvertrauen wollte, und sagte dann, seine Arme auf dem Schoß meiner geschätzten Freundin kreuzend und sein strahlendes Gesicht zu dem ihrigen erhebend:
»Möchtest du die Geschichte eines Jungen hören, Großmutti?«
»Aber gern«, erwiderte meine geschätzte Freundin.
»Möchtest du es, Pate?«
»Natürlich, gern«, erwiderte ich.
»Gut denn«, sagte Jemmy, »ich will euch eine erzählen.«
Hier schloß unser unbestreitbar bemerkenswerter Junge sich selbst in die Arme und ließ wieder ein melodisches Lachen ertönen bei dem Gedanken, daß