Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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in hundert Jahren zu einer Machtblüte emporzuführen, zu welcher andere Klöster erst nach zwei und drei Jahrhunderten gelangen konnten.

      Die Stürme jener kriegerischen Zeit warfen nur selten eine halb verrauschte Welle in das abgelegene Tal. Von den Erschütterungen, welche die Kreuzzüge in der abendländischen Welt hervorriefen, verspürte man in diesem geschützten Kessel der Berge kaum ein leises Zittern. Die Chronik des Klosters weiß nur von einer einzigen Kreuzfahrt zu erzählen, an welcher ein Propst des Stiftes teilgenommen hatte, um in den Schlammwogen des Nils seinen Tod zu finden. Häufig aber berichtet der Chronist, daß feste Häuser in den Städten, Weinberge und Wälder, Burgen und Gehöfte eines ritterlichen Herren, der das Kreuz genommen hatte, durch fromme Stiftung als »Seelgerät« in den Besitz des Klosters kamen.

      Kaiser Rotbart war dem jungen Stift ein gewogener Gönner. Reiche Schenkungen wies er »den getreuen Brüdern von Berchtesgaden« zu, und als er in Würzburg Hochzeit feierte mit Beatrix von Burgund, bestätigte er dem Kloster das Jagd-, Fischerei-und Forstrecht in weiten Gebieten, bewilligte ihm das Recht, auf Salz und Erze aller Art zu bauen, und legte so den Grund zur Reichsunmittelbarkeit des Klosters. Ein goldenes Siegel, erzählt die Chronik, hing an dieser Urkund, und einer der Zeugen, die den kaiserlichen Brief beglaubigten, war der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach. Der wurde, als er die Herzogskrone von Bayern gewann, dem Stift ein freundlicher Nachbar und schlichtete zugunsten der Berchtesgadener manchen Handel, den die Reichenhaller Brüder von St. Zeno oder die eifersüchtigen Domherren von Salzburg aufrührten.

      Jeder neue Kaiser mehrte den Besitz des Stiftes, und um die Wende des zwölften Jahrhunderts verlieh Kaiser Heinrich VI. dem Kloster die weltliche Gerichtsbarkeit. Nur das Richteramt über ritterliche Herren und freie Bauern blieb dem kaiserlichen Viztum vorbehalten.

      Von einem Jahrzehnt zum anderen erweiterten sich die Grenzen des Klosterlandes. Pongau und Pinzgau waren gewonnen; reiche Güter in Franken und Niederbayern, am Inn und an der Isar, an der Rot und Vils waren an das Stift gefallen, und in Österreich, an der Donau, hatte das Kloster gute Weinberge erworben, um den Durst seiner Chorherren und dienenden Brüder zu stillen. Von dort her kamen die Wagen mit hohen Fässerladungen angefahren, und besser als das Benediktus vom Kredo unterschieden die frommen Brüder den Frechauer vom Taillander, den Armstorfer vom Mörtaler und den Sattelsteiger vom Eisentürler. Der besonderen Obhut des Kellermeisters war der linde Goldtropfen von Stein und Rechberg anvertraut, der den Feiertagstrunk auf der Tafel der adligen Chorherren bildete. Für das süß mundende Rebenblut schickten sie das saure Salz in weite Lande. Wohl hatte der Salzburger Nachbar die erste Solquelle, die am Fuße des Tuvalberges zwischen Rif und Grafengaden gefunden wurde, mit flinkem Griff an sich gerissen. Zum Ersatz für das Verlorene wurden innerhalb des Klosterlandes noch reichere Salzlager erschlossen: Auf den nordwestlichen Gehängen des Göhl, am Goldenbach und bei Schellenberg, wo um die neugegründete Pfannstätte bald eine belebte Ortschaft heranwuchs. Der rege Handel brachte klingenden Gewinn ins Land. Aber wo die Karpfen gedeihen, stellen sich Hechte ein. Überall an seinen Grenzen erwuchsen dem Stifte eifersüchtige Gegner. So verwandelten sich die »Gottesmänner« in »Kriegsherren«, die mit bewaffneter Faust ihren Besitz verteidigten, reisige Knechte in ihre Dienste nahmen und die bedrohten Grenzgebiete an rauflustige Ritter zu Lehen gaben. Im Pongau und Pinzgau saßen Berchtesgadnische Vasallen, ein gefestetes Hällingeramt beschützte die Pfannstätte zu Schellenberg, an der Grenze beim »Hangenden Stein« war die enge Talstraße gegen Salzburg durch Turm und Tor gesperrt, und die Burg des Hallturners verteidigte die Straße gegen Reichenhall.

      Bei so weltlichen Sorgen konnte das Leben der Chorherren kein sonderlich beschauliches sein. Sie waren die Kinder einer Zeit, in der die staatliche Macht ihre beste Kraft am Felsen Petri zerrieb, während die heiligen Waffen der Kirche im Streit um irdischen Gewinn ihr Ansehen verbrauchten und die Bannstrahlen so reichlich wie die Blitze bei einem Hochgewitter zuckten, das man zu fürchten verlernte; einer Zeit, in der man als Lebender erraffte, was sich greifen ließ, die Vergebung seiner lachenden Sünden mit Wäldern und Höfen erkaufte und sich seines Christentums erst in der Todesstunde erinnerte, wenn die Angst vor dem ungewissen Drüben die abergläubischen Seelen schüttelte,– einer Zeit, in der sich Ritter und Priester kaum noch durch das Gewand unterschieden und das Leben zwischen klösterlichen Mauern sich in den gleichen ungezügelten Formen erging wie auf den Burgen weltlicher Herren. Es war die Zeit, in der die Blume des Rittertums zur Distel wurde und die mystisch verzückte Bewunderung für Wolframs Parzival und Titurel sich verwandelte in das derbe Vergnügen an den zotigen Liedern des Nithart und des Göli von Stamheim. Sie verhöhnten das Volk, dessen gesunde Kraft sie nicht verstanden, und spotteten des Bauern, dem sie die Haare schnitten und die Steuern aus allen Poren preßten. Da wurde allmählich auch das Volk ein anderes. Auch das Volk der Berge. Der wachsende Verkehr des Stiftes führte fremdes Blut ins Berchtesgadner Land. Bergmänner und Handwerker siedelten sich an, Kaufleute taten ihre Läden auf, und Flüchtlinge, die anderwärts einem übelgeratenen Handel entronnen waren, fanden ein offenes Asyl bei dem Kloster, das einer rascheren Besiedlung seiner menschenarmen Täler allen Vorschub leistete. So war die Bevölkerung des Gadens auf mehr als dreitausend Untertanen des Stiftes angewachsen. An den Laienhof des Klosters hatte sich eine lange Bürgergasse spitz gegiebelter Häuser angeschlossen. Und da es – wie sich das Wort der Bibel in einer Chronik jener Zeit ad usum clericorum gedeutet findet – nicht gut ist, wenn die Brüder allein sind, so war unter den Fittichen des Stiftes auch ein Klösterlein für fromme Schwestern entstanden.

      Wie ein Schäfer mit großem Hut und weitem Mantel inmitten der gelagerten Herde steht, so ruhte zwischen den zerstreuten Siedlungen und der enggedrängten Bürgergasse das weitläufige Gebäude des Stiftes. Thronend auf der Plattform eines gegen die Höhe des Loksteines angelehnten und gegen das Tal der Ache steil abfallenden Hügels, gestützt durch gewaltige, aus dem Felsgrund aufstrebende Pfeiler und umzogen von getürmten Mauern, schloß es mit seinen Bauten den geräumigen Klosterhof in Form eines Dreiecks ein. Gegen Osten, dem hohen Göhl gegenüber und nach dem Flußtal hin, erhob sich das Münster mit dem wuchtigen Glockenturm. Ein Kreuzgang, zwischen der alten Martinskapelle und dem neuen Trinkstübchen des Kellermeisters gelegen, umschloß mit romanischen Doppelsäulen ein gepflegtes Gärtlein, überwölbte die tief in den Fels gehauenen Weinkeller und trennte das Münster vom großen Kapitelsaal. Gegen Süden, das weite Tal bis zum Watzmann überblickend, lag das Refektorium; daneben die Küche, groß wie eine Halle, die kleine Zelle des Küchenmeisters, die Amtsstube des Dekans, das Gelaß der Schreiber und die Stube des Klostervogtes mit Tür und Treppe gegen den Laienhof. Aus einem langen Korridor, dessen schmale, mit schwerem Eisenwerk vergitterte Fenster nach dem Klosterhof blickten, führte eine steinerne Wendeltreppe hinauf in das Obergeschoß, in dem die Zimmer des Propstes und die Zellen der Chorherren lagen.

      Auf der Schrägseite des Hofes, gegen den steigenden Berghang, drängte sich winkelig ein Bau neben den anderen. Da stand das Haus mit den Zellen der dienenden Brüder; eine vorgebaute Säulenhalle diente zu wirtschaftlichen Hantierungen und enthielt neben dem laufenden Brunnen den gemauerten Fischtrog, in dem die Forellen der Ache, die Hechte und Saiblinge des Königssees den Freitag erwarteten. An das Brüderhaus schlössen sich die Wirtschaftsgebäude, das Käsgewölbe und der Milchkeller, die Obst-und Gemüsehalle, die Mehlkammer und das Bräugewölbe, der Zwinger für die Jagdhunde und die Falkenstube, das Schlachthaus und die Rüstkammer, die Futterscheunen und Kornböden, die Pfisterei, die Ställe für die Reitpferde, für die Saumtiere und das Milchvieh. Beim Münster, das die wehrhafte Mauer im Bogen umschloß, sperrte ein festes Tor den Klosterhof gegen die Salzburger Straße. Auf der anderen Seite, gegen die Bürgergasse, gelangte man durch ein inneres Tor in den kleineren viereckigen Laienhof. Hier rollten und polterten die kreisenden Steine der Klostermühle, und es rauschte der Mühlbach, der in einem mit Bohlen bedeckten Rinnsal den Hof durchfloß. Neben der Mühle führte eine Treppe hinunter in den Keller, in dem das dünne Leutbier verzapft wurde; darüber lag die Pilgerherberg und die Wachstube, in der die reisigen Knechte mit den Fronboten zechten und bei Würfelspiel und Riemenstechen randalierten; gegenüber befand sich die Schlafstube der Falkner und Jägerknechte, die Herberg für die Stallbuben und für fremde Troßleute; auf der einen Seite des Außentores, das den Weg zur Bürgergasse sperrte, lag unter dem hölzernen Wehrgang der Mauer ein Stall für die Pferde der Gäste und reitenden Boten, auf der anderen Seite saß der Torwart in seinem engen Stübl, das zwei winzige Fenster hatte, eins in die Torhalle, das