Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Schrecken in alle Glieder gefahren. Der traurige Jacho, den die Leut so heißen, ist ein Unsinniger. Der hockt mit Schluchzen die ganze Nacht vor jedem Haus, in dem ein Kindl neugeboren ist. Und in heller Narrenfreud hebt er allweil ein lustiges Jodeln an, wo ein Leut versterben muß.«

      »Ein Narr? Nein, Greimold!« sagte der Jäger mit einer Stimme, die vor Erregung zitterte. »Das ist ein Weiser!«

      Der Bauer schien nicht zu hören. »Wie ich selm in der Nacht den Jacho im finsteren Holz so lachen und juchzen hab hören, ist mir’s mit Angst durch die Seel gegangen: Das gilt meiner Alheid! Ich lauf und lauf. Und wie ich zur Wolfsreut komm – das ist ein Platz im Buchwald, da haben vor dreißig Jahr zur Winterszeit die Wölf einen Pfarrherren zerrissen, der einem Kranken den letzten Trost hat bringen wollen, und zum Gedenken hat das Kloster am selbigen Platz ein Kreuzbild aufgerichtet – und wie ich zur Wolfsreut komm und hinleucht mit der Fackel, sitzt der lachende Narr beim Kreuz. Auf dem Boden vor ihm ist die Alheid gelegen. Ihren Kopf hat der Jacho auf seinem Arm gehalten und hat sie gewiegt als wie ein Kindl, das schlafen soll. Ihr Gesicht ist überronnen gewesen von Blut. Und statt der lieben blauen Augen hab ich zwei rote Höhlen gesehen.« Von einem Schauer gerüttelt, deckte der Bauer die Arme über das Gesicht.

      »Greimold!« stammelte Irimbert. »Welches Untier in Menschengestalt vermochte an deinem schuldlosen Weib solchen Greuel zu verüben?«

      Der Bauer ließ die Arme sinken. »Sie selber hat’s getan. Derweil sie in meinen Armen verblutet ist, sind ihr noch ein paar Wörtlen aus der verlöschenden Seel getröpfelt, die mich alles haben verstehen lassen. Im Kloster hat ihr der Leutpfarr allweil zugeredet, sie müßt den Himmel versöhnen, der uns zürnet, müßt meinem Kindl zulieb ein Opfer bringen und mein freies Heimwesen ans Kloster geben. Sie hat mich liebgehabt, die Alheid. Eh sie verlangt hätt von mir, ich sollt mein freies Mannstum ablegen und ein Knecht sein, lieber hat sie ihr Bestes zum Opfer gegeben, von allen blauen Blumen die schönsten! Und hat gemeint, das Licht, das ihr genommen ist, müßt der Himmel ihrem Kindl wiedergeben. Fest und heilig hat sie’s geglaubt. Und hat mich gebeten, ich sollt sie nimmer heimtragen, damit ihr Kindl nit sehen müßt, wie die Mutter ausschaut! Mir ist das Herz gewesen wie in tausend Fetzen gerissen. Aber ich hab’s erzwungen von mir, daß ich dem armen Weib seinen Glauben nit zerschlag. ›Ja, Liebe, dein Kindl ist sehend worden, heut auf den Abend, und du hast ihm das Licht gegeben.‹ Da hat sie im Sterben noch einmal lachen können. Ich hab sie im Arm gehalten, bis ihr Gesicht so kalt gewesen ist wie Schnee. Dann hab ich die Alheid zum Kloster getragen, hab ihnen das tote Weib mit den roten Augen vor die Kirchtür gelegt, bin heim und hab meinem blinden Kind einen Gruß von der Mutter gebracht, dazu einen Arm voll Maiblumen.«

      »Dein Kind hat nie erfahren, wie seine Mutter starb?«

      Greimold schüttelte den Kopf und erhob sich. »Komm, ich verleid das Sitzen nimmer!« Sie schritten unter dem stillen Fall der welken Blätter. Um ihre Füße raschelte das tote Laub, das die Erde bedeckte. Da lachte der Bauer rauh. »Jetzt hab ich Ruh gehabt! Zehn Jahre lang. Als hätten die roten Augen meiner Alheid denen da drunten einen Zornblick in die Seel getan. Selbigsmal ist Herr Friedrich Propst geworden, ein fürnehmer Herr, die die Falken liebhat. Drum weiß er, daß der linde Griff viel weiter hilft als die grobe Faust, bei den Leuten grad so wie bei den Beizvögeln. Aber der ewige Streit mit seinen Stiftsherren hat ihn müd gemacht. Jetzt läßt er den Karren laufen, wie die anderen ihn ziehen. So sind die Scharfen unter den Stiftsherren obenauf gekommen, und Wernherus ist Dekan.« Mit Sorge sah Greimold zu dem Jäger auf. »Tu dich wahren, Bub, daß du dem nit unter die Hand kommst! Der hat einen Griff wie der Geier.«

      Der Jäger schwieg.

      »Der hat den Streit um mein freies Gut wieder angehoben. Und weil er merkt, daß er auf gradem Weg nichts ausrichtet, geht er den krummen. Im vorigen Herbst ist der Leutpfarr zu mir gekommen: Die Seel meiner Alheid war ihm erschienen und hätt geklagt, sie könnt nit eingehen zur Seligkeit und müßt zwischen Höll und Himmel brennen. Ich hab zwei Rinder an die Kirch gegeben. Ein paar Tag später sind sie gekommen, mein Vieh hätt Schaden getan an den jungen Pflanzen im Klosterwald. Um meine Sennbuben aus der Straf zu lösen, hab ich mich pfänden lassen um ein Kalb. Im Frühjahr hat der Steinhauser, der mein Inrainer ist, sein Weib genommen, und weil mir leid war um den armen Schlucker, daß er von seinem ringen Sach noch hergeben sollt, drum hab ich für ihn eine Milchkuh als Brautsteuer ans Kloster gegeben und ein paar süße Käs an den Leutpfarr. Jetzt sagen sie, ich hätt zu Lichtmeß und am Michelstag gezinset wie ein höriger Mann. Und schreiben die Lug ins Holdenbuch.«

      »Nein, Greimold! Dazu ist Wernherus zu klug.« Der Jäger lächelte.

      »Warum aber sagen sie’s?«

      »Um das zu ergründen, sind wir beide nicht fromm genug.«

      »Ja, Bub! Einer mit gradem Sinn steht allweil wie ein Kind vor jedem, der krumme Gedanken hat. Der Zinsmeister wird zeugen gegen mich, daß ich heut getan und gesagt hab, ich weiß nit was. Und sie werden mich fassen wollen.«

      »Wenn das geschieht? Was dann?«

      »Wollen und Können ist zweierlei!« sagte der Bauer mit ruhigem Ernst. »Wenn sie meinen, sie zwingen’s mit Gewalt, so nehm ich mein Recht in die Faust und wehr mich bis aufs Leben. Ich steh nit allein. Mein Gesind ist in Treu mit mir zusammengewachsen wie der Baum und seine Borken.«

      In Sorge und zugleich mit Wohlgefallen glitten die Augen des Jägers über die Gestalt des Bauern. »Du bist der Mann, der Treue verdient. Aber die dort unten, Greimold, sind die Stärkeren.« »Stärker als gutes Recht ist keiner.«

      »Stärker als jedes Recht ist immer das Unrecht.«

      »Das ist nit wahr, Bub! Sie können mein Hagtor einrennen, Feuer in mein Haus werfen und mich niederschlagen. Mein Recht bleibt.«

      »Und dein Kind, Greimold?«

      Der Bauer drückte die Fäuste auf seine Brust, als wären ihm die Rippen zu eng für die Sorge, die bei der Frage des Jägers in seinem Herzen lebendig wurde. »Was geschieht mit meinem Kind, wenn ich heut oder morgen sterb in Ruh und Fried? Sie wird’s nit härter haben, wenn die Knecht des Wernherus über mich kommen.« Ein bitteres Lächeln zuckte um seinen Mund. »Ich bin doch der Lehensmann des lieben Gottes. Jeder Fürst hat diemal eine gnädige Stund. Muß ich halt denken im letzten Schnaufer: Mein Lehensfürst sell droben wird’s gütig meinen mit dem Kind seines Dienstgesellen. Mach ich’s halt meiner Alheid nach und geh hinüber mit einer Lug, die mich tröstet! Komm, Bub, da drüben ist dem Hilpot sein Haus!«

      Stumm schritten sie der blauen Lichtung zu, die zwischen den welkenden Buchen schimmerte.

      Der Bauer blieb stehen. »Mir ist nit um das bißl Zinsgut, das die da drunten heischen von mir. Zwiefach mehr, als sie verlangen, geb ich alljahr an Leut, die’s brauchen können. Aber ein blindes Kind, wenn’s nit verzagen soll in der Finsternis, muß seinen Glauben haben an Blumen, die nit sterben. Gradso geht’s jedem anderen. Wer lebt, muß die Augen ein lützel blind haben und im Dunkel sein Blüml sehen. Jedem, der lebt, muß in tiefster Seel was leuchten, das er in aller Lebenskält verspürt wie Maiensonn. Oder sein Leben war den Schnaufer nit wert. Was meinem Kind seine ewigen Blumen sind, das ist mir der Halt an meinem freien Mannstum.«

      Irimbert faßte die Hand des Bauern. »Keiner versteht dich besser als ich. Mein Leben ist unnütz, ihm fehlt die Blume. Von dieser Stund an soll’s meine Freude sein, an dein Kind zu denken und für dich zu hoffen. Vielleicht auch, daß ich dir nützen kann. Und wenn sie Gewalt gegen dich brauchen, bin ich bei dir und will mit dem Eisen bei deinem Hagtor stehen.«

      »Bub? Das tätest du für mich?«

      »Ja, Greimold. Wernherus wird so schnell nicht begreifen, als ich willens bin, mich seiner zu erwehren.«

      »Irmi?« stammelte der Gotteslechner. »Gelt, daß du fürchten mußt für dich? Um meinetwillen und wegen heut? Bub! Ich lauf hinunter ins Kloster und biet ihnen Büß nach ihrem Willen, ich kauf dich aus ihrem Dienst. Was sie verlangen, geb ich.« Er umklammerte die Hand des Jägers. »Du bist mir liebgeworden. Ich mag’s nit denken, daß sie dich büßen. Ich schaff dir die Freiheit, Bub! Dann komm zu mir! Sollst es haben an meinem Herd, als wärst du mein eigen Blut.