Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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des Baches dämpfte, hörte er den Schellenklang einer im Wald zerstreuten Herde, kam zu einem Weg und folgte ihm.

      Durch die leuchtenden Buchenwipfel kräuselte sich der Rauch eines Feuers. Er drang aus dem Rindendach einer kleinen Blockhütte, die sich halb unter dem Gezweig der Bäume versteckte. Geschirr und Holzgeräte, wie sie die Sennleute zu ihrer Arbeit brauchen, standen um die Hütte her, und auf dem moosüberwachsenen Strunk einer Baumleiche saß ein grauköpfiger Mann, stark und mit breiten Schultern. Er war besser gekleidet als sonst die Leute im Tal, trug die kurze Berghose und ein Wams, das von Leder war und große Silberstücke als Knöpfe hatte. Seine Waden waren mit Fell umschnürt, und die schwerbenagelten Holzsohlen hatten lederne Bänder. Und kein Höriger des Klosters war er, sondern ein freier Mann; sein Haar war ungeschnitten und fiel ihm wie eine graue Mähne um die Schultern. Mit dem Messer schnitzte er an einem neuen Holzstiel für die Axt, deren Eisen mit der Schneide in den Baum gestoßen war; die Stücke des alten, zerbrochenen Schaftes lagen vor ihm auf der Erde. Als er vom Wege her die Schritte hörte, sah er auf. Verwundert betrachtete er den Jäger, nickte einen stummen Gruß und erhob sich. »Willst du zu mir?«

      »Zum Haus des Hilpot will ich.«

      »Da hättest du höher droben nach rechts hinüber müssen. Dich kenn ich nit. Wer bist du?«

      »Ein Jäger.«

      »Lang mußt du nit in der Gegnet sein, weil du deinen Wald nit kennst. Bist du vom Klosterland in der Ebnet draußen?«

      »Ja. Und du?«

      Der Bauer lächelte. »Meinen Namen wirst du im Kloster wohl schon gehört haben. Sie reden viel von mir.« Es zuckte wie ein leiser Spott um seinen Mund. »Ausschauen tu ich freilich, als ob ich ein Bauer war. Aber ich bin ein fürnehmer Dienstmann, der seinen gnädigen Fürsten sell droben hat, wo die Vögel fliegen. Das ist der einzig, dem ich steuern muß. Erst heut am Morgen hat er von seinen Zinsboten einen geschickt, den Bartgeier, der mir ein Geißkitz davongetragen hat. Was machst du für Augen? Verstehst mich nit? Ich bin der Greimold, der seines Vaters Haus und Eigen vom lieben Gott zu Lehen hat.«

      »Der Gotteslechner? Du?«

      Der Jäger betrachtete den Bauer.

      In seinen Gedanken sah er den Mann mit dem lockigen Braunhaar, mit dem lachenden Gesicht und den lebensfreudigen Augen, wie ihm Jutta den Vater geschildert hatte. Wie anders stand dieser Mann in Wirklichkeit vor ihm: Noch ungebrochen in der Kraft seiner Glieder, doch schon gebeugt, Haar und Bart ergraut, schon durchzogen von weißen Fäden. Das Gesicht war von hundert feinen Linien durchrissen, jede wie mit dem Messer geschnitten. Unter den buschigen Brauen, die wie kleine Dächer aus der Stirne hingen, blickten die graublauen Augen mit jener Ruhe, die ein starker Mensch in dauernden Schmerzen sich erkämpft.

      »Jäger? Warum schaust du so?«

      »Weil du ein anderer bist als jener Vater, den deine Tochter sieht.«

      Betroffen trat der Gotteslechner einen Schritt zurück. »Ein Fremder? Und du kennst mein Kind?«

      »Mein Weg hat mich in deinen Hof geführt. Ich will diesen Morgen nie vergessen. Dein blindes Kind hat ein sehendes Herz.«

      »Hast du geredet mit ihr?« fragte der Bauer in Unruh. »Hat sie noch lachen können, wie du gegangen bist?«

      »Ja, Greimold. Ich verstehe deine Frage. Die Stunde an der Seite deines Kindes ist mir gewesen wie ein Maigeschenk. Wir saßen im grauen Herbstnebel, und dein Kind sah den Frühling. Ich würde die Hand verwünschen, die eine Blume dieses Frühlings zerstören könnte. Wahrheit ist mir das Beste des Lebens. Aber redlicher als jede Wahrheit, die ich noch je einem Menschen ins Gesicht gesprochen, war die freundliche Lüge, die ich an der Seite deines Kindes als Wahrheit gelten ließ.«

      Da streckte ihm der Bauer die Hände hin. »Vergelts Gott, Jäger!« In seinem Blick glänzte die Freude.

      Irimbert lächelte. »Du hast doch die Augen, die das Herz deines Kindes an dir sieht.«

      »So, meinst du?« sagte der Bauer freundlich. »Aber komm, setz dich ein lützel her zu mir! Dein Gesicht schaut müd. Tu rasten!« Sie ließen sich auf dem Baumstamm nieder, und Greimold begann wieder an dem Schaft zu schnitzen. »Mein Mädel sieht mich allweil noch, wie’s mich als Kindl in ihrer Lichtzeit gesehen hat. Mich und die Leut und alles. Aber kann’s denn bleiben so? Mein Gesind und die Anrainer haben’s gelernt, wie sie reden müssen mit dem Kind. Wer weiß, wie einer einmal kommt und reißt ihr die Blumen aus der Seel. Das ist meine Sorg in Tag und Nächten.« Greimold ließ das Messer ruhen. »Wie soll’s denn werden mit ihr? Jetzt ist das Kindl bald neunzehn Jahr. Mir liegt schon halb der Winter auf dem Buckel. Die Mutter ist nimmer da. Einen Buben hab ich nit, der hinter mir hausen könnt im Gotteslehen und die Schwester gut halten tät. Einen Fremden suchen? Als Erbbuben in mein Haus?« Der Bauer schüttelte den Kopf. »Freilich, als Herr für mein schönes Heimwesen tät sich leicht einer finden. Aber einer, der meinem Kind ein guter Bruder wäre? Das liebe Ding ist wie ein Kräutl, das einen Gärtner braucht, der linde Hände hat. Jeder, den ich mir anschau drum, hat grobe Faust oder Augen, die was anderes sehen als mein Kind.«

      Irimbert legte seine Hand auf die Faust des Bauern, und es leuchtete warm in seinem Blick.

      Der alte Mann umschloß die Hand des Jägers. »Bub, dein Gesicht ist streng, als hättst du im Leben nit viel gute Zeiten gesehen. Freilich, Zeiten und Menschen sind allweil schlecht. Nur ein Froher und Starker kann sie gut machen. Du hast Augen, Bub, daß einem leicht wird um die Seel.«

      Er lächelte.

      »Tu mir’s nit verdenken, daß ich dir in der ersten Stund gleich alles zuwirf, was in mir ist. Aber ich seh dir’s an: Du weißt, was Schmerzen sind.«

      »Ja, Greimold.«

      »Von denen, die das Leben grob anpackt, hat jeder auf seiner Stirn einen Merk als Bruder. Da kennt einer den anderen gleich, und einer ist dem anderen gut. Mein Leben ist hart gewesen, und jeder Tag macht’s härter. Wär in mir nit die Sorgenlieb für mein Kind und der Stolz, daß ich aus und ein im Tal der einzig bin, der noch als freier Mann den Kopf in der Höh hat – ich wüßt nimmer, für was ich noch leben möcht.«

      »Gotteslechner, du bist ein reicher Mann. Stolz und Liebe sind dein Besitz. Ich bin arm, denn Haß und Einsamkeit sind leere Güter.«

      Der Bauer lächelte ein wenig. »Geh, Bub, gar so arm wirst du nit sein. Hast ja deine Jugnet!«

      »Meine Jugend? Die ist wie ein Haus ohne Fenster. Durch Mauern geht die Sonne nicht.«

      Greimold schwieg. Und plötzlich fragte er: »Bist du ein Eigenmann des Klosters?«

      »Ich? Nein.«

      »Warum trägst du nit das Haar wie ein Freier?«

      »In der Klosterschule haben sie mir den Schopf geschoren.«

      »In der frommen Schul? Jetzt weiß ich auch, woher du das herrenmäßige Reden hast. Gelt, sie hätten gern einen Kuttenbruder aus dir gemacht? Bist ihnen ausgesprungen? Hast recht! Waldluft und Bergwind sind gesunder als Kirchendampf.«

      Ein Lächeln irrte um den Mund des Jägers.

      »Schau, Bub, ich steh mich gut mit meinem Lehensherren über dem blauen Dach da droben. Hab ich ein Anliegen, so red ich mit ihm. Das eine Mal hört er mich, das andermal ist er taub. Er ist der Starke, ich bin der Schwache, und wie ein fügsamer Dienstmann laß ich auf meinen Buckel fallen, was kommt, das Linde und das Harte. Ich weiß so viel von ihm, wie ein Ritter von seinem Fürsten, den er nie gesehen hat. Weiter frag ich nit. Aber was die da drunten predigen von ihm, von seinem Zorn und seinen Ruten, mit denen er loshaut auf die Kinder, die er am liebsten hat, das will mir nit eingehen. Das ist für Herzwunden wie Salz. Ihr Reden schwimmt wie ein trüber Abend zwischen Finsternis und Licht. Entweder sie haben ihren guten Grund, daß sie nit sagen, wie alles ist, oder sie wissen es selber nit!«

      Der Jäger lachte. »Da könntest du recht haben, Greimold! Du hast sie erkannt.«

      »Ruf den Wolf, und er kommt gelaufen.« Der Gotteslechner stand auf und spähte durch den