Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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hinter den wehenden Schleiern sah man Formen und Farben, es wurde licht in der Höhe, und weißlich schimmerte die Sonne durch das Grau. Stärker zog der Wind aus dem Tal herauf und trug den Klang zweier Glocken, die dort unten geläutet wurden. Irimbert hatte bei diesem Klang seine Hand aus Juttas Händen gelöst.

      »Was hast du, Irmi?« fragte die Blinde beklommen. »Mußt du gehen?«

      »Ja.«

      »Weil sie drunten im Kloster zu Mittag läuten?«

      »Weil mich die Glocken rufen.«

      Jutta erhob sich. »Gelt, du kommst bald wieder?« Unsicher tastete sie nach ihm.

      Er faßte die suchende Hand des Mädchens. »Ich komme wieder, denn ich möchte lernen von dir, die Welt so schön zu finden, wie deine Augen sie sehen. Aber ich fürchte –« Seine Stimme klang herb, und es sprühte wie Haß in seinen Augen, während er hinunterblickte in das Tal, das der steigende Nebel zu entschleiern begann. »Ich fürchte, daß es lange dauern wird, bis wir beide wieder Haingart halten unter deiner grünen Ulme.«

      Die Blinde lächelte. »Ich will Geduld haben. Mir wird die Zeit nit lang. Was die Leut so Tag und Nacht heißen, ist für mich nur ein einzigs. Ob’s lang ist oder kurz, das weiß ich nit. Ich denk mir allweil, du kommst. Und bist du da, so wird’s mir sein, als wärest du vor einem Stündl erst gegangen.«

      In den Augen des Jägers erwachte wieder der milde Glanz. Er hielt die Hände des Mädchens in den seinen, und so standen sie in lächelndem Schweigen. Eines der welken Blätter, die von der Ulme niedergaukelten, streifte die Wange der Blinden und haftete an ihrer Schulter. »Leb wohl, Juttula! Ich komme wieder.«

      »Gottes Gruß, lieber Jäger! Und guten Weg!«

      Durch den schwindenden Nebel schimmerte blau der Himmel nieder, während Irimbert zum Hoftor ging. Dort stand noch immer die weiße Hündin. Als der Jäger das Tor öffnete und das Gehöft verließ, fuhr die Hündin winselnd auf die Wiese hinaus, suchte mit gesenkter Nase auf der Erde hin und her, blickte gegen den Wald hinauf und begann zu bellen. Da klang die Stimme der Blinden: »Zenta! Komm!« Mit jagenden Sprüngen eilte das Tier zu seiner Herrin und schob ihr schmeichelnd den Kopf unter die Hände. »Du Böse, du!« sagte das Mädchen leise. »Den darfst du nit schelten. Den mag ich leiden.« Sie grub ihre Hand in das zottige Fell. »Komm, Weiße, und tu mich führen!« Die Hündin wollte den Weg zum Hause nehmen. »Zum Tor, Zenta, ich will zum Tor!«

      Der bergwärts steigende Nebel flatterte zu dünnen Schleiern auseinander, und helle Sonne flutete über das Gehöft und seine Dächer.

      Hinter den Scheunen ließ sich eine trällernde Mädchenstimme vernehmen, die sich näherte. Eine junge Magd erschien und ging auf das Haus zu, einen Korb mit gebleichtem Leinen auf dem Kopfe.

      Jutta, an der Seite ihrer weißen Gesellin, stand beim offenen Tor und lauschte gegen die Wiesen hinaus. Ohne das Gesicht zu wenden, rief sie den Namen der Magd.

      »Helgard!«

      »Ja, Luttei, ich komm!« Die Magd stellte den Korb zu Boden und eilte zum Tor. Es war ein kräftig gewachsenes Mädel, rund und gesund, mit einem schmiegsamen Körper, den das dürftige Gewand, ein Leinenhemd und ein kurzes braunes Röckl, kaum verhüllte. Das rötliche Haar, nur lose über dem Scheitel zu einem derben Schopf gedreht, umrahmte mit dickem Gezaus ein sonnverbranntes Gesicht mit üppigen, kirschroten Lippen und blitzenden Schwarzaugen, aus denen Gutmütigkeit und Trotz, nachdenkliche Schwermut und froher Leichtsinn redeten. Hätten nicht die vielen Sommersprossen, die wie ein gelbliches Schleierband um die Augen und über die Stirn gingen, das Gesicht ein wenig entstellt, so hätte die Helgard als ein schmuckes Mädel gelten dürfen. »Was willst du, Luttei?« fragte sie. Ton und Blick verrieten, wie herzlich die Magd ihrer jungen Herrin ergeben war. In freundlicher Sorge legte sie den Arm um die Blinde. »Ist wer dagewesen? Weil das Tor offen ist?«

      »Schau hinaus über die Wiesen, Helgard!« flüsterte Jutta.

      »Sag mir, ob du den Jäger noch siehst?«

      »Den Jäger?« Wie scheue Unruh sprach es aus der Stimme der Magd. Sie löste den Arm und trat mit hastigem Schritt vor das Tor hinaus. Auf der Wiese war niemand zu gewahren. Aber droben am Waldsaum zog sich einer flink in den Schatten der Bäume zurück, als möchte er nicht gesehen werden. Reinold war es, der Falkner.

      »Helgard? Siehst du ihn noch?«

      »Ja.« Langsam wandte die Magd das Gesicht. Ihre Brauen waren gerunzelt, und mürrisch fragte sie: »Ist er bei dir gewesen?«

      »Drüben beim Ulmenbaum, da bin ich gesessen und hab Blumen geflochten. Da ist er gekommen.« Jutta lächelte und hob das schmale Gesicht, daß es von warmer Sonne ganz umschimmert war. »Siehst du ihn noch allweil?«

      »Nimmer! Jetzt ist er im Wald.«

      »Hast du ihn gut gesehen?«

      Helgard verzog den Mund. »Ich mein schon, ja!«

      »Magst du mir sagen, wie er ausschaut?«

      »Geh, laß mich!«

      »Tu mir die Lieb, Gardi, und sag mir’s!«

      Die Magd hatte gehen wollen. Der bittende Ton dieser Worte hielt sie fest. An den Pfosten des Tores gelehnt, mit hängenden Armen, starrte sie zum Wald hinauf, Groll und Sehnsucht in den Augen. »Er ist ein Bub, daß ich keinen andern weiß, der ihm gleichet«, sagte sie und schien nicht mehr zu wissen, daß sie zu Jutta redete, »hoch und stark wie ein Bäuml in seiner jungen Zeit! Und wie einem Bäuml sein Laub, so steht ihm sein farbiges Jägerkleid. Kein Herrensohn kann’s schöner tragen! Ein Gesicht hat er, lieb und schmuck. Sein Flachshaar ist gekräuselt. Und goldig ist’s.«

      Lächelnd nickte die Blinde, und ihre Hände glitten wie tastend durch die Luft, als stünde einer vor ihr, dessen Gesicht und Locken ihre Finger sacht befühlten.

      »Und Augen hat er –« Die Stimme der Magd versank in einem dürstenden Seufzer. »Die sind blau als wie die Blumen am Bach und schauen dich an, so glanzig und lebfrisch, daß du meinst, es fallt dir ein Sterndl ins Herz!« Die Arme hinter dem Rücken windend wie eine Gefesselte, die mit Schmerzen die Stricke fühlt, spähte die Magd gegen den Wald hinauf, alle Wünsche eines verliebten Weibes im suchenden Blick.

      »Seine Augen?« fragte Juttula in Freude. »Die sind licht und froh?«

      Die Magd fuhr auf, als hätte ein Schlag sie aus ihrem Brüten geweckt.

      »Und allweil hab ich sie gesehen, als täten sie dunkel und traurig schauen.«

      »Wenn er dich anschaut, kann’s schon sein, daß er traurige Augen macht! Er wird auch wissen, warum!« Zornig auflachend, schlug Helgard das Tor zu und schleppte den schweren Korb zur Haustür.

      Jutta stand erschrocken. »Gardi? Warum zürnst du mir?« Die tastende Hand der Blinden zitterte. »Weiße, wo bist du? Komm!« Sie ließ sich von Zenta zur Ulme führen und begann an ihren Blumen zu flechten.

      Immer wieder rasteten ihre Hände. Während sie so saß, das schmale Gesicht mit den regungslosen Augen ein wenig erhoben, glättete sich allmählich die Furche zwischen ihren Brauen, und sie fand ihr stilles, träumendes Lächeln wieder. Zenta legte den Kopf in Juttas Schoß und blickte an ihr hinauf. Da streichelte die Blinde dem Tier die Stirn und flüsterte: »Ich seh ihn, Weiße!«

      Die letzte Spur des Nebels war im Blau zerflossen, mit reinem Gold umflimmerte die Sonne das halb entlaubte Gezweig der Ulme, und lautlos gaukelten die gelben Blätter um das blinde Mädchen her wie spielende Falter um eine Blüte.

      4

       Inhaltsverzeichnis

      Irimbert war wie ein Träumender zu Tal gestiegen und hatte im sonnigen Buchenwald den Pfad verloren. Wo lag das Heimwesen des Hilpot? Der Jäger spähte nach allen Seiten. Das feurige Herbstlaub, das ihn rings umgab, wollte seinem suchenden Blick keinen Ausweg zeigen. Er stand und