Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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eine rosige Welle von Licht auf alle Felsen und Wälder nieder.

      Inmitten des Almfeldes stand ein Rudel Hochwild, dicht zusammengedrängt. Wenn von den Hirschen einer röhrte, wandten alle Tiere die Köpfe der Richtung zu, aus welcher der Schrei gekommen war. Das Rudel in weitem Bogen scheu umkreisend, irrten die schwächeren Hirsche am Waldsaum hin. Zwischen ihnen und dem Trupp der Tiere zog – ein Starker, der seinen Besitz verteidigt – der mächtige Platzhirsch über das Feld, dumpf röhrend, das stolze, reich verästelte Geweih zurückgelegt in den Nacken. Jedes Tier, das sich vom Rudel entfernen wollte, trieb er mit zornigem Sprung zurück. Jedem Hirsch, der Miene machte, sich zu nähern, zog er mit dröhnendem Schrei entgegen. Nur ein einziger wagte ihm standzuhalten. Als die beiden Kämpfer röhrend einander entgegenschritten, erkannte der Jäger die zwei Stimmen, die er am Abend vernommen hatte. Nach dem Probekampf in der Dämmerung des sinkenden Tages sollte der Kampf im Morgengrauen die Entscheidung bringen. Das schienen die Tiere im Rudel zu fühlen; erregt, mit langen Hälsen die Köpfe streckend, zogen sie Schritt um Schritt den beiden Streitern entgegen. Die lagen schon mit verflochtenen Geweihen aneinander. Fast schien es im Anfang nur ein Spiel zu sein, dieses Drängen und Schieben, Stirn an Stirn. Immer straffer spannten sich die Glieder der Kämpfenden, Steine und Rasenstücke flogen unter ihren Hufschalen auf, immer tiefer gerieten sie mit der Brust zur Erde, und in der Kühle des Morgens qualmte der weiße Dampf von ihren Leibern. Da holte der Platzhirsch keuchend aus zu einem gewaltigen Stoß. Der Gegner brach zu Boden und überschlug sich. Ein röchelnder Laut, und der Kampf war zu Ende. Taumelnd erhob sich der Besiegte und schlich dem Walde zu, den Kopf gesenkt und stumm in seinen Schmerzen. Der Sieger, mit stolz erhobenem Haupt und heiserem Schrei, sprengte auf das Rudel zu und trieb von den jungen Tieren eines gegen den Fels, der sich mitten im Almfeld erhob.

      Da schwirrte die Sehne der Armbrust. Jäh den Sprung verhaltend, wankte der Hirsch. Er hatte den Schuß empfangen. Über seine Glieder rann das Zittern des Geschöpfes, das der Tod berührte. Dann, als wäre nichts geschehen, als hätte sein Leben noch die ungebrochene Kraft und alle Leidenschaft der letzten Stunde, reckte er mit dumpfem Röhren das Haupt, und während das Rudel in jagender Flucht dem Wald entgegenstürzte, stand er furchtlos und starrte in wildem Trotz den Jäger an, der sich mit jauchzendem Ruf aus den Büschen erhob und über den Fels heruntersprang. Das Tier schien seinen Feind zu erkennen und senkte das Geweih zum Angriff. Ein Sprung. Da wankte der mächtige Körper und stürzte zu Boden. Keuchend raffte der Hirsch sich auf und straffte gewaltsam die Glieder, die ihm nicht mehr gehorchen wollten. Zornig stampfte er mit den Läufen, taumelte wieder, und die schwindenden Kräfte zwingend, stürmte er dem Jäger entgegen. Der hielt den blitzenden Fänger bereit, trat beim Ansturm des Tieres ruhig einen Schritt zur Seite und stieß ihm das scharfe Eisen ins Herz. Röchelnd brach der Hirsch zu Boden, übersprudelt vom roten Quell seines Lebens. Trotz und Drohung funkelten noch in seinen brechenden Lichtern. Ein letzter Krampf durchzuckte die Glieder, die sich streckten. Und alles war vorüber. Mit gesenktem Eisen, von dem die roten Tropfen niederfielen, stand der Jäger vor dem gefällten Tier, erregt und ernst, noch ganz unter dem Eindruck der wilden Schönheit, mit welcher der Todeskampf dieses Geschöpfes auf ihn gewirkt hatte, das im freien Bergwald ein König gewesen.

      »Kommt meine Stunde – wer weiß, wie bald –, dann möcht ich sterben, wie dieses Tier gestorben ist, im Hochgenuß eines Sieges, in aller Kraft des Lebens, noch kämpfend um den letzten Atemzug, noch im letzten Blick den Trotz gegen die dunkle Macht, die mich mordet!«

      Er ließ sich auf die Erde nieder und streichelt den starren Nacken des toten Geschöpfes.

      Der wachsende Morgen leuchtete. Wie brennendes Blut lag es ausgegossen über die beschneiten Zinnen der Berge und über das steile Felsgewänd. Der klare Himmel flimmerte vom Licht, und ein gleißendes Strahlenbündel fiel durch eine Scharte der Berge über das Almfeld her, auf dem es still geworden. Der glitzernde Reif begann zu schmelzen, und der welke Rasen fing zu dampfen an. Mit goldig umglänzten Wipfeln stand der Wald, irgendwo in den Büschen flötete eine Ringdrossel, die ihre Sommerheimat noch nicht verlassen hatte, und die feuchte Erde duftete, als ob es keimen wollte in ihrem Schoß. Nicht ein Morgen im Herbste schien das zu sein, vielmehr ein Morgen, wie ihn der Frühling bringt, der süße Mai. Drunten im Tal der ziehende Nebel. Er war anzusehen wie ein Meer mit silbernem Gewoge, aus dem die sonnbeglänzten Berge aufstiegen gleich schimmernden Inseln. Hier und dort begannen die ziehenden Schleier sich zu klüften und ließen ein Stück des Tales gewahren mit winzigen Hütten und geteilten Feldern. Da klang es herauf aus der Tiefe, vom bergwärtsziehenden Sonnenwind getragen, wie ein ungeduldiger Ruf: das Geläut der Glocken.

      Den strengen Mund umspielt von einem Lächeln, erhob sich der Jäger und blickte ins Tal hinunter. »Ich komme. Soll mir geschehen, was mag! Das war ein Morgen, so schön und frei, daß ich gerne für ihn büßen will ein langes Jahr.« Er wandte sich, schlug mit dem Fänger von den Krüppelföhren einen Haufen Zweige ab und bedeckte mit ihnen den gefällten Hirsch. Dann stieg er durch den Bergwald hinunter. Noch war er nicht lange unter den Bäumen gegangen, da sah er zwischen den welken Ahornblättern, die wie Blutflocken an den Ästen hingen, ein Geweih aus den wirren Büschen ragen. Dort ruhte ein Hirsch. Der Schritt des Jägers störte den Schläfer nicht auf. Es war der Besiegte, der nach dem Kampf das Almfeld verlassen hatte, nun verendet, im Tod noch blutend aus seinen Wunden. Mit einer Regung des Erbarmens blickte der Jäger auf das erloschene Geschöpf. »Unterliegen oder Sieger werden, der Schwache sein oder der Starke, hinter allem bleibt der gleiche Rest, das kalte Rätsel, das keiner löst. Wozu dann die Kraft? Wozu das Leben? Nur um die Erde zu düngen für ein Kraut, das nach uns wächst?» Er wandte sich ab, und während er hinunterstieg durch den Wald, achtete er nicht mehr des leuchtenden Morgens. Oft stand er lange wie einer, der den Weg verloren hat und nicht mehr weiß, wohin. Aus seinem Brüten weckte ihn ein Gruß. Der alte Hilpot war es. »Ich hab gedacht, Herr, ich müßt dich suchen.«

      »Zwei Hirsche liegen, der eine auf der Hochalm, und wenn du auf dem Weidefeld meiner Fährte nachgehst in den Wald, so findest du den anderen.«

      »Sell drüben im Wald, da schaffen Leut, die fürs Kloster das Winterholz niederschlagen. Die können mir helfen. Der Tag wird lind, und die Hirsch müssen unter Dach vor Mittag. Und du, Herr, schau, daß du heimkommst! Sie suchen dich schon.«

      »Mich? Nein, Hilpot! So wichtig bin ich ihnen nicht. Sie können’s erwarten, bis ich komme.«

      »Ich hab sie aber doch gesehen«, flüsterte Hilpot, »von den Brüdern einen und zwei Fronboten mit ihm. Ich sorg, die suchen dich.«

      »So will ich mich finden lassen!« Der junge Jäger lachte. Dann leuchtete ihm ein herzlicher Blick aus den dunklen Augen. »Hab keine Sorge! Wenn sie erfahren, daß du mir geholfen hast, so sag ich ihnen, daß ich es dir gebot mit meinem Herrenwort.«

      Der Alte schüttelte den grauen Kopf. »Sag’s nur, wie’s wahr ist, Herr, daß ich es gern getan hab! Ich fürcht mich nit. Mein Buckel hat schon viel getragen. Auf ein Pfündl mehr oder minder kommt’s nimmer an.« Mit festem Druck umspannte seine braune Faust die schlanke, weiße des anderen. Er hielt sie lange fest, als wäre die Sorge in ihm, daß er diese Hand so bald nicht wieder drücken würde. »Wenn’s geschehen kann, so laß dich wieder anschauen bei uns. Ich seh dich gern. Bist mir ein Bäuml, ein jungs, von dem ich weiß, das wird von den großen einer! Und was aus dir herausschaut, tut mir wohl, wie die Sonn einem tut, dem das Frieren im Blut steckt.« Der Alte wurde verlegen. »Lachst du, weil ich so daherred, gelt? Von sechs Buben hab ich die Lieb noch aufgespart. Der siebent ist mir halb genommen. Wo soll ich hin mit der Lieb, die ich übrig hab? Nimm’s nit übel, Herr! Wenn ich dich so anschau in deiner lichten Jugnet, lauft mir die Seel über.«

      »Ich danke dir, Hilpot! Du hast mir viel gegeben mit diesem freundlichen Vaterwort.«

      »Ein Wörtl bloß. Brauchst du einmal das ganze Mannsbild, so hast du mich auch. Jetzt laß dich nimmer verhalten! Drunten in meiner Stub, da liegt dein Zeug. Ich muß zu den Hirschen.«

      Während Hilpot durch den Wald emporstieg, sah ihm der andere mit glänzenden Augen nach. »Ein Mensch. Gut und treu.« Das sprach er wie staunend vor sich hin, und alle Schwermut schien von ihm gewichen. Der Ausdruck heiteren Spottes malte sich in seinen Zügen, als er hinunterblickte gegen das Tal. »Den nehmen sie mir nimmer.« Auflachend