Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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dem ihren, und da wurde er verlegen. »Warum soll ich’s hehlen? Was tät mich der Gotteslechner kümmern! Aber mir bangt um das liebe Mädel!«

      »Lieb und gut, ja, Bub, das ist sie. Aber kannst du ihr helfen?« Hanna legte den Arm um Reinolds Schulter. »Sei gescheit, Bub! Du hast lichte Augen, such dir eine lichte Freud!«

      Reinold schwieg.

      Zärtlich rüttelte ihn die Mutter. »Bleib daheim und schau dem Vater zu, wie er dem Falk die Wannen spult. Da lernst du was! Und essen und trinken mußt du auch. Hast du Hunger, Büebli?«

      Reinold lachte schon wieder. »Allweil, Mutter!«

      »Sollst was haben!« nickte sie ihm zu. Als sie zur Tür gehen wollte, hörte man von der steilen Waldhöhe den polternden Fall von Steinen. Im gleichen Augenblick trat Hilpot aus der Hütte.

      »Sell droben steigt einer umeinand«, meinte Reinold, »da kriegen wir noch einen Haingart auf den Abend.«

      Der Alte schüttelte den Kopf, nahm den Falken und setzte sich auf die Hausbank.

      »Der kommt nit, Bub», sagte Mutter Hanna auf der Schwelle, »heut nimmer, aber morgen wieder, wenn er müd ist von der heimlichen Pirsch, zu der ihn der Vater gewandet hat.«

      Reinold schien zu erraten, von wem die Rede war. Erschrocken stammelte er: »Vater! Wenn sie’s merken drunten? Sie büßen dich, weil du ihm hilfst.«

      Der Alte schwieg.

      Mutter Hanna trat mit einem schweren Seufzer in die Hütte. »Sie suchen ihn drunten schon seit dem Morgen«, flüsterte Reinold dem Alten hastig zu, »und wenn sie’s ausspüren, daß du ihm wieder geholfen hast, das könnt schief ausfallen. Keiner im Kloster mag ihn leiden, alle Herren stehen im Zorn wider ihn.«

      Hilpot nickte. »Mir ist er lieb. Er hat Jägerblut. Und geh’s, wie’s mag, ich muß ihm zu Willen sein. Er hat mir’s angetan mit seinen Glutaugen. Dem seine Seel ist kerzengerad gewachsen. Wenn ihn die anderen schelten, tun sie’s bloß, weil er besser ist als sie. Aber komm, Bub, tu mir helfen und leg den Falken in Zwang.«

      Scheu blickte Reinold noch einmal über den Waldhang hinauf. Dann trat er zum Vater, faßte mit kundigem Griff den Falken an beiden Fängen und schwang ihn, daß der Vogel mit dem Rücken auf Hilpots Schoß zu liegen kam; der Falke flatterte und wollte sich wehren. Reinold gab ihm den Daumen und den kleinen Finger zwischen die greifenden Fänge und preßte ihm die drei Mittelfinger auf die Brust; nun lag der Vogel, ohne sich zu regen, nur die Spitzen der gespreizten Schwingen zitterten leise. Hilpot lächelte. »Recht so, Bub! Das Zwingen hast du mir gut abgeschaut. Und jetzt paß auf, das richtige Spulen mußt du noch lernen!« Mit bedächtiger Ruhe begann er an den gebrochenen Schwungfedern das Heilwerk, das in der ganzen Falknerei des Klosters keiner so sicher zu üben wußte wie der alte Hilpot.

      Den Falken mit pressender Hand im Zwang haltend, kauerte sich Reinold auf die Erde nieder. In stummer Achtsamkeit verfolgte er jeden Handgriff des Vaters, der mit scharfem Messer eine der geknickten Schwungfedern an der Bruchstelle entzweischnitt und die beiden Teile der Federspule mit schief geschnittenen Rändern wieder aneinanderfügte, indem er eine leichte, mit Wachs überzogene Stahlnadel als Halt in das Innere der Spule schob.

      »Gleich drei Wannen auf einmal!« sagte Hilpot, während er einen haarfeinen Leinenzwirn in eine dünne Nähnadel faßte und den Faden, um ihn zäher zu machen, mehrmals durch einen geschmeidigen Harzbrocken zog. »Das ist viel, Bub! Wie ist denn das Unglück geschehen?«

      »Wie’s geschehen ist, weiß ich nit. Ich bin erst dazu gekommen, wie Herr Friedrich den Falken schon wieder auf der Faust gehabt hat. Und du kannst mir’s glauben, vor Kummer über seinen Liebling sind dem Herrn die Zähren im Aug gestanden. Wer hätt auch denken mögen, daß die heutige Freud ein so trauriges End nimmt? Die ganzen Wochen her, derweil der Falk in der Mauser war, ist der Herr alltag ein paarmal in die Falkenstub gekommen und ist vor der Stang gestanden, als hätt er darauf warten können, daß dem Falk ein Federl wachst. Ehgestern hat unser Meister ihm melden können, daß der Eisländer ausgemausert hat und wieder fertig ist zum Flug. In der ersten Freud hat der Herr für heut im Untersteiner Moor auf Reiher und wilde Schwäne ein großes Beizen angesagt. In der Nacht noch haben wir hinausreiten müssen zu den Grenzburgen und die Burgherren und Frauen laden. Die frommen Schwestern im neuen Klösterl haben Verlaub erhalten, daß sie mitreiten dürfen. Gestern auf den Abend sind von Salzburg die fahrenden Leut gekommen, ein ganzer Haufen, und drei ritterliche Singer sind im Kloster abstiegen, jeder mit seinem Falken und seinem Spielmann. Da hat’s im Refektori ein Liedersingen und eine Kurzweil abgesetzt, daß der Bruder Glöckner aufs Mettenläuten vergessen. Und draußen auf dem Untersteiner Anger haben die Küchenbrüder schaffen müssen die ganze Nacht, haben die Zelte aufgeschlagen und den Herd gemauert, und einen Karren um den anderen haben sie hinausgefahren mit Freßwerk und Wein und Gutigkeiten zum Beizmahl. Heut in aller Gottesfrüh sind drunten im Kloster schon alle Leut auf den Füßen gewesen, Herr Friedrich selber hat das große Hochamt abgehalten, und weil er seinem Lieblingsfalken eine reche Ehr hat antun wollen, hat er ihn vom Kredo bis über das Sanktus sitzen lassen zwischen Kelch und Meßbuch.«

      Hilpot brummte ein paar unwillige Worte in seinen Bart. »Was meinst du?« Reinold sah verwundert auf.

      »Ich mein, du solltest lieber schweigen und achthaben, wie man die Spul bindet.«

      Reinold schien den Ärger des Vaters nicht zu begreifen. Wenn seine Aufmerksamkeit nicht durch den Duft des schmorenden Wildbrets abgezogen wurde, der aus Mutter Hannas Herdstube quoll, war er mit achtsamen Augen bei der Sache. Er sah es wohl nicht zum erstenmal, wie eine gebrochene Wanne »gespult« und »gebunden« wird, aber ihm fehlte die Ruhe und die geschickte Hand, um dem Vater dieses Falknerkunststück nachzumachen: die Bindnadel so sacht durch die Feder zu stechen, daß der Schaft nicht zersprengt wurde und jeder Stich eine Öse der in das Innere des Kiels geschobenen Spulnadel traf, und eine bindende Fadenschlinge so fest und gleichmäßig neben die andere zu legen, daß die zerschnittenen Teile der Feder unverrückbar wieder aneinander hafteten, und das klebende Harz so kundig zu mischen, daß es den Bart der Feder nicht verpichte, sondern an der Luft eintrocknete, sobald die Fadenschlinge gelegt war. Jedes kleinste Versehen machte die ganze Arbeit unnütz, und saßen die gebundenen Federn nicht wie angewachsen, so steuerte der Falke schlecht im Flug und war unbrauchbar für die Jagd.

      Auf dem beschneiten Grat der Berge war der letzte Sonnenschein erloschen, und es fiel schon die Dämmerung über den Wald, als Hilpot die Arbeit vollendet hatte. Sich aufrichtend, hob er auf der Faust den Falken empor, der mit ausgespannten Schwingen schlug, als möchte er das Heilwerk seines Arztes erproben. »Der Schlag ist gut und sicher«, sagte der Alte, »ich mein, daß ich nichts versehen hab.«

      Während die beiden mit prüfenden Augen den flatternden Falken musterten, ließ sich klirrender Hufschlag von einem steinigen Pfad des Waldes vernehmen. Sie blickten auf, und erschrocken stotterte Reinold: »Um Gottes Lieb, Vater, da kommt der Herr!«

      Auf bunt geschirrtem Maultier, das von einem Knecht am Zügel geführt wurde und von der Mühsal des steilen Weges keuchte, kam Propst Friedrich unter den Bäumen hervorgeritten. Sein braunes Samtgewand, dessen Säume mit dem zarten, goldgelben Pelzwerk von der Kehle des Edelmarders verbrämt waren, glich einem ritterlichen Kleid, nicht der Tracht eines Priesters, den nur das goldene Kreuz verriet, das an breitem Seidenbande um den Hals geknüpft war. Der Abendwind, der dem Reiter entgegenwehte, lüftete das gestickte, von der Pelzkappe über die Ohren niederhängende Nackentuch und zeigte am Hinterhaupt den Halbmond einer spiegelglatten Glatze. Auch unter dem Rand der Kappe stahl sich kein Härlein hervor, die breite Stirn und die glatt rasierten Wangen des runden, lebensfreudigen Gesichtes glänzten wie poliert, und die kleinen flinken Augen blitzten in hellem Glanz. Klugheit und Erfahrung redeten aus dem Blick dieses Fünfzigjährigen, der dem Heil seiner Seele mit allen Mitteln gedient haben mochte, nur nicht mit Fasten und Pönitenz. Um die leicht aufgeworfenen Lippen lag der spöttische Zug des Mannes, welcher Welt und Menschen kennt und nicht sonderlich viel von ihnen hält. Dennoch sah man es diesem Gesichte an, daß es freundlich und in Nachsicht lächeln konnte. Jetzt freilich war es gerötet von der Mühe des Rittes, jeder Zug war in Erregung um das Schicksal des geliebten Falken. Diese ungeduldige Sorge hatte etwas