Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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flimmernden Luft, und wo die Bäume ein wenig auseinandertraten, glänzte zwischen dem Feuerlaub ein Stück des wolkenlosen Himmels neben dem andern, als wäre das gleißende Herbstgeschmeid des Waldes besetzt mit tausend Türkisen vom reinsten Blau.

      Jetzt ging der Wald zu Ende, und der junge Jäger trat in die freie Sonne. Ziehender Nebel verhüllte noch immer das tiefere Tal. Doch strahlende Morgenschöne war ausgegossen über den Wiesenhang, der inmitten des sinkenden Waldes lag. Zwischen schattigen Schluchten baute sich aus dem Gehäng ein geräumiger Hügel hinaus, der zwei Gehöfte trug, ein kleines und ein großes, beide umschlossen von einem mannshohen, einer Mauer gleichenden Flechtzaun mit nur einem einzigen Tor. Im Hof des kleineren Gütls erhob sich nur ein niederer Bau, plump aus Steinen gemauert, Wohnraum und Stall unter gemeinsamem Strohdach. Wie der Schwache den Schutz des Starken sucht, so hatte sich dieses bescheidene Heimwesen in den festen Zaun des reichen Nachbars hineingeschmiegt, dessen Besitz mit dem alten, aus mächtigen Stämmen gefügten Wohnhaus und mit den Ställen und Scheunen sich ansah wie ein achtbares Herrengut. Die Schuppen und Ställe waren mit Stroh gedeckt, das Wohnhaus hatte ein schlank aufgegiebeltes Schindeldach, und der altersgrauen Balkenmauer war ein neuer schmucker Erker angebaut, dessen Holz noch weiß erschien und dessen Fenster mit eckig in Blei gefaßten Scheiben verglast waren. Birnbäume, an denen noch die Früchte hingen, überragten mit ihrem knorrigen Gezweig die Strohdächer, und hoch über den First des Wohnhauses stieg eine vielhundertjährige Ulme hinaus, mit weitgebreiteten Ästen, von denen jeder sich ansah wie ein Baum für sich. Eine hölzerne Wendeltreppe kletterte an dem riesigen Stamm hinauf und führte zu einem Lugaus, hoch droben im Gezweig.

      Mit träumender Stille lag der milde Herbstmorgen über dem Gehöft und seinen Dächern. Kein Laut war hinter dem Flechtzaun zu vernehmen. Alles so schweigsam, als wär’s eine verzauberte Stätte. Nun ein Schritt über Steine, schwer und langsam. Dann eine Männerstimme: »Sonnscheinige Zeit, Juttla, gelt? Spürst du, wie lind der Morgen ist?«

      »Ja, lieber Nachbar!« gab bei der Ulme eine helle Stimme zur Antwort. Der Jäger am Waldsaum blickte lauschend auf. War’s nicht die Mädchenstimme, die am verwichenen Abend das Maienlied gesungen hatte? »Ja, ich spür’s! Und völlig sehen tu ich’s. Alles seh ich. Dich auch. Du stehst in der blumigen Wies, und um dich her ist alles ein Glanz.«

      »Ja, Juttla, ‘s ist ein Morgen, heilig wie in der Frühlingszeit. Gib acht, heut bringt der Vater wieder ein Körbl voll heim von der Waldhut.«

      »Steigst du hinunter zu ihm?«

      »Heut nimmer, Juttla. Ich muß die Mutter Hanna was fragen. Meinem Weib ist ein lützel ungut worden.«

      »Das sagst du, und ich hör ein Lachen aus deiner Stimm. Und sehen tu ich, wie glanzig deine Augen schauen.«

      »Geh, was weißt denn du!«

      »Was mir die Helgard verraten hat. Gott soll dir’s geben, Nachbar!«

      »Was?«

      »Daß nach der Eisblumenzeit der Jacho weinen muß vor deiner Haustür.«

      »Ja, Juttla, Gott soll mir’s geben! Lang tu ich schon passen drauf.« Was der Mann noch weiter sagte, blieb unverständlich bei dem Lärm, den das schwere Zauntor machte, als es geöffnet wurde und wieder zufiel. Aus der Umfriedung trat ein Bauer; er war nicht alt, kaum dreißig; das Gesicht schon hart und verwittert, der Rücken gekrümmt von mühsamer Arbeit; er trug einen grauen Kittel bis zu den Knien, dazu eine ärmellose Jacke aus Fell. Die schweren Holzschuhe klapperten auf dem steinigen Weg.

      Der junge Jäger spähte nach der Ulme hinüber und stieg am Waldsaum ein wenig höher, um über den Flechtzaun hinweg das Mädchen sehen zu können, dem diese helle klingende Stimme gehörte und das so wunderliche Dinge redete. Der stille Friede dieses Ortes und das Gespräch, das er vernommen, hatten ihn seltsam berührt. Er hatte Worte gehört, doch keinen Sinn verstanden. Ein Herbsttag, an dem viel hundert Blumen ihre Kelche erschließen? Freude, über die man weint? Die Eisblumenzeit? Es war, als hätten Kinder miteinander gesprochen, die ihr Geheimnis haben und ihre selbsterfundenen Namen für Dinge, von denen kein anderer weiß. Aus diesen Gedanken weckte ihn die Stimme des Bauern. »He, Du!« Ein forschender Blick begleitete diesen Ruf. Die Stimme, die im Gehöft so freundlich mit dem Mädchen geplaudert hatte, klang rauh und grob.

      »Wer bist du? Was willst du?«

      »Nichts will ich. Von dort oben komm’ ich her, von der Jagd.«

      »Daß du ein Jäger bist, das merk ich. Wärst du ein Bauer, so wärst du ohne Wehr und hättest zwei Fäust im Sack.«

      »Du redest zu mir, als war ich dein Feind. Was hab ich dir getan?«

      »Du? Mir? Ich seh dich zum erstenmal. Aber dein Brot wird im Kloster gebacken. Wer die Herren kennt, der weiß, was er halten muß von ihrem Knecht.«

      Nun lachte der Jäger. »Ach so? Haben dir die Chorherren einmal zu hart ans Fleisch gegriffen? Oder zu tief ins Butterfaß? Darum brauchst du mir nicht feind zu sein. Mir gefallen sie auch nicht.« Der Bauer machte mißtrauische Augen und schwieg, als hätte sich der Verdacht in ihm geregt, daß ihn diese Rede zu einem unvorsichtigen Wort verleiten sollte.

      Da fragte der Jäger: »Was ist das für ein Gehöft?«

      Jetzt lachte der Bauer, hart und gallig. »Geh, frag nit so! Das Haus mußt du kennen, wenn du ein guter Knecht deiner Herren sein willst. Hast du im Kloster noch nie was gehört vom Gotteslehen?«

      »Gotteslehen? Was bedeutet der Name?«

      »Frag deine Herrenleut! Die wissen’s.« Der Bauer wollte gehen.

      »Gib Antwort! Bist du der Bauer in diesem Hof?«

      »Ich?« Der Mann sah über die Schulter. »Wär ich der Gotteslechner, so wären mir zwanzig gute Fäust heut lieber als mein Recht. Und um den Zaun her müßt ein Graben liegen, so tief, daß keiner drüberspringt mit Klosterschuh, für die der Bauer das Leder hat steuern müssen. So, jetzt klag’s deinem Herren: Das hat der Steinhauser gesagt!«

      Der Bauer stieß mit dem Fuß einen dürren Ast aus seinem Weg, stieg über die Wiese hinunter und verschwand im Wald.

      Stärker begann der Wind über das Tal heraufzuziehen. Ein paar leichte Nebelschleier flatterten über das Gotteslehen hin. Dann wieder blaute über den stillen Dächern der sonnige Morgenhimmel, während in der Tiefe die Massen des Nebels kochten, als wüßten sie nicht, ob sie steigen oder sinken sollten. Im Walde rauschten die Bäche. Und bei der Ulme sang das Mädchen:

      »Ein Maidl ruht allein im Gras

       Und weinet. Warum tut sie das?

       Sie weinet, weil im Maien

       Kein Bub sie holt zum Reien.«

      Raschen Ganges schritt der Jäger über die Wiese hinunter und dem Gehöft entgegen.

      »Da kommt, mit Veiglen um die Stirn,

       Der Mai selbeigen zu der Dirn.

       Der tut sich lieb der Armen

       Erbarmen

      Und tut die Maid mit Singen

       Auf grünem Anger schwingen.

       Huliadei,

       Sei willkommen –«

      Das Lied brach ab, bevor es zu Ende war. Denn als der Jäger das Hoftor öffnete, fuhr eine weißzottige Wolfshündin mit Gebell auf ihn zu, so drohend, daß er nach der Waffe griff. Da verstummte der Gesang, und die Mädchenstimme rief: »Zenta! Sei gut! Und komm zu mir!« Das Tier gehorchte; es knurrte nur noch ein wenig, gab den Eingang frei und trabte zur Ulme.

      Zögernd betrat der Jäger das Gehöft, und hinter ihm fiel das schwere Tor ins Schloß.

      3

       Inhaltsverzeichnis

      Zu Füßen der Ulme, wo die hölzerne Treppe über den ungefügen Stamm hinaufkletterte,