Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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schlank und zierlich gewachsen wie ein Herrenkind; ein knappes Leibchen, das aus dem weißen Winterfell des Berghasen geschnitten war, umhüllte die junge Brust; die Leinenärmel waren ein wenig geschürzt, so daß sie die von der Sonne leicht gebräunten Arme zeigten; ein Rock aus blauem Hanftuch, hoch an das Leibchen angeschnürt, floß in eng gereihten Falten über die schlanke Gestalt hinunter, auch die Füße noch verhüllend. Den Scheitel bedeckte ein kleines Käppl aus rotem Tuch, unter dem das blonde Haargeringel hervorquoll, das die Stirn umzitterte und auf die Schultern fiel. Aus dem Schimmer der lockigen Haare blickte ein schmales Gesicht, halb noch das Antlitz eines Kindes, überhaucht von einem ernsten Schatten – ein Gesicht, das einer Blume glich, die der Reif einer kalten Frühlingsnacht berührte. Die roten Lippen lächelten unbeweglich wie bei erwartungsvollem Lauschen. Und die seltsamen Augen! Sie waren groß und schön, von lichtem Blau. Wie ein Schleier trüber Schwermut lag es über ihnen. Augen wie Sterne, deren Glanz verschwimmt unter ziehendem Nebel. Und so seltsam ruhig blickten sie, so ziellos und verloren! Es war ein Blick in diesen Augen wie der Blick einer Seherin. Und doch diese kindliche Heiterkeit, die emporglänzte aus der Tiefe einer reinen, glücklichen Menschenseele!

      Leuchtende Sonne war um das Mädchen her. Die Ulme, schon halb entlaubt, gab wenig Schatten; die gelben Blätter lagen ausgestreut in weitem Kreis, und lautlos, ohne Unterlaß, fiel das sterbende Laub von den Ästen des Baumes nieder, gaukelnd in der Sonne, gleich einem goldenen Flockenfall. Bald an Brust und Schultern des Mädchens, bald an dem Blondhaar haftete solch eine schimmernde Flocke.

      Der Jäger vergaß des Grußes und näherte sich schweigend, befangen von dem Liebreiz und der Seltsamkeit dieses Bildes.

      Die weiße Hündin, die sich zu Füßen ihrer Herrin niedergekauert hatte, richtete sich auf und knurrte wieder. Da streichelte das Mädchen dem Tier das zottige Fell und sagte lächelnd: »Zenta, sei gut! Wie magst du schelten auf einen Gast? Bloß weil er ein Fremder ist? Tu dich legen! Das ist ein guter Mann.« Gehorsam streckte sich das Tier auf die Balken nieder und folgte mit den Augen jeder Bewegung des Fremden, während das Mädchen sagte: »Gottes Gruß! Komm nur und tu rasten auf meiner Bank! Meine Zenta mußt du nit fürchten. Die murrt nur, weil du ihr neu bist.« Das Mädchen schwieg ein Weilchen. »Mir bist du auch ein Fremder. Dich hab ich noch nie gesehen, hab deinen Schritt noch nie gehört.« Das schmale Gesicht war ein wenig gehoben, ganz regungslos; nur zwischen den Brauen rührte sich der leise Schatten einer Furche wie bei angestrengtem Horchen in weite Ferne. »Ein Bauer bist du nit. Dein Gang ist leicht und frei. Du mußt nit harte Arbeit tun. Ein Handelsmann bist du auch nit. Sonst tätest du reden.« Noch immer schwieg der Gast und blickte in diese stillen Augen, sah auf diesen roten Kindermund, der ruhig plauderte und dabei eine Sprache führte, die wie ein Rätsel klang. Da ging’s wie freudiges Aufleuchten über das ernste Mädchengesicht. »Jetzt weiß ich, was du bist. Ein Jäger. Gelt, ich hab recht?«

      »Hast du das an meiner Waffe nicht gleich gesehen?«

      »Nit gleich. Aber jetzt. Wahrhaftig, ich seh’s. Um die Schulter hast du ein Schießzeug hängen. Das klirrt ein lützel. Und im Täschl am Gurt, da trägst du die Bolzen. Die schlagen ans Leder an, wenn du dich rührst. Grad so seh ich’s allweil, wenn der alte Hilpot haingarten zum Vater kommt. Aber du? Du bist ein junger, gelt? Und hoch gewachsen bist du, deine Stimm ist über mir.«

      Mit gesteigertem Befremden sah der Jäger das junge Mädchen an. War es eine Irre, die zu ihm redete? Oder war es möglich, daß in der Abgeschiedenheit des Bergwaldes ein Kind zur Jungfrau reifen konnte, um mit zwanzig blühenden Jahren noch immer zu denken und zu sprechen wie in der Kinderzeit?

      »Haben dich die Klosterherren eingedinget zur Aushilf für den alten Hilpot?« plauderte das Mädchen weiter. »Er hat schon oft geredet davon, daß seine müden Jahr einen Gesellen brauchen. Wohnst du drüben am Vorder Eck bei ihm? Aber noch nit lang, gelt nein? Sonst hätt ich hören müssen von dir. Und machst du einen Bergweg heut? Weil der Tag so schön ist, gelt? Aber nein –« Mit hellem Kinderlachen unterbrach sie ihr Geplauder. »Heut weiß ich schier nimmer, was ich seh und sag. Du gehst nit hinauf, du kommst herunter vom Berg. Gelt, ja? Bergblumen sind in der Luft, die um dich her ist. Und mit dem Wild hast du zu tun gehabt. So seh ich’s allweil, wenn der Hilpot zum Vater sagt: ›Heut hab ich einen guten Hirsch geholt.‹ Da mußt du genächtigt haben auf den Alben. Die sind jetzt nimmer befahren. Seit einer Woch ist alles Vieh schon drunten in der Waldhut. Da hast du auf der Alben bleiben müssen in der leeren Hütt. Hast du Zehrung bei dir gehabt?«

      »Zehrung?« wiederholte der Jäger, aus seinem stummen Schauen erwachend. »Nein!«

      »O Jesu mein!« sagte sie erschrocken. »Da hast du hungern und dürsten müssen über Nacht?«

      Der Jäger lächelte zu dieser Sorge. »Meine Nacht ist kurz gewesen. Und der schöne Morgen hat mich an Hunger nicht denken lassen. Aber jetzt –« Er sah die Hände des Mädchens an, als wäre der Wunsch in ihm erwacht, einen Trunk von diesen schlanken, feinen Händen gereicht zu erhalten. »Ja, Mädchen, mich dürstet. Willst du mir zu trinken geben?«

      »Freilich! Wart nur ein lützel, ich hol dir gleich einen guten Trunk.« Dem Eifer, der aus diesen Worten klang, widersprach die bedachtsame Art, mit der sich das Mädchen erhob und eine bunte Strohmatte, an der sie vor der Ankunft des Jägers geflochten hatte, von ihrem Schoße nahm und auf den Steintisch legte. Auch die weiße Hündin war aufgestanden und drängte sich dicht an das Mädchen, als wäre das so die Gewohnheit des Tieres, seine Herrin auf Schritt und Tritt zu geleiten.

      »Komm, Zenta!«

      Das Mädchen vergrub die eine Hand in das Fell der Hündin. So gingen die beiden langsam dem Hause zu. Es schien, als ließe sich das Mädchen gleich einem spielenden Kind von dem Tiere ziehen.

      Die beiden waren bereits im Haus verschwunden, und noch immer hingen die Augen des Jägers an der Tür. Dann sah er umher, als wäre alles, was er gewahre, für ihn ein Unverständliches. Lächelnd wie einer, den ein freundliches Mummenspiel umgaukelt, ließ er sich auf die Bank nieder und betrachtete die Strohmatte, in deren gelben Grund mit rot und blau gefärbten Halmen absonderliche, sinnlose Figuren eingeflochten waren; aber diese Zeichen mußten doch ihre Bedeutung haben, denn in jeder Farbe wiederholte sich ihre Form.

      Während der Jäger das wunderliche Geflecht betrachtete, begann sich die Luft zu trüben. Die Sonne erlosch, und das Blau des Himmels verschwand im Nebel, der in dichten Massen aus dem Tal heraufdrängte über den Berghang. Durch den grauen Schleier, der schon das Haus umhüllte, kam’s wie farbiger Schimmer gewandelt. Das Mädchen mit seiner weißzottigen Gesellin kam zurück. »Da, Jäger, nimm und trink! Der liebe Gott soll dir’s gesegnen.« Lächelnd reichte sie dem Gast eine hölzerne Schale, mit Milch bis an den Rand gefüllt.

      Er nahm und trank. »Ich danke dir, Mädchen! Dein Trunk hat mich erquickt.«

      »Gelt, Mann, das ist gute Milch! Erst heut am Morgen hat sie der Senn von der Waldhut heraufgebracht.« Sie ließ sich nieder, und Zenta lagerte sich wieder zu ihren Füßen. »Freilich, in der Albenzeit ist die Milch noch besser. Die Herbstblumen im Wald, die haben den starken Duft nit wie die Sommerblumen auf den Alben. Drum ist die Milch von der Waldhut nit so stark wie die Albenmilch. Wenn ich von der Albenmilch ein Tröpfl auf meiner Zunge hab, seh ich im Duft, den ich spür, alle Blumen, die sell droben blühen.« Sie hob das schmale, stille Gesicht und blickte durch den Nebel der Höhe zu. Dann sagte sie leise: »Sell hinauf, wo soviel Blumen sind, da möcht ich hinauf! Nur ein einzigsmal.«

      »Du? Ein Kind der Berge?« fragte der Jäger. »Du hast die Alben noch nie gesehen?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Als Kind, in meiner Lichtzeit, hätt ich so hoch nit steigen können. Jetzt tät ich mich trauen. Aber der Vater will’s nimmer erlauben, daß ich mich bis zu den Alben führen laß. Der Vater hat recht. Was tät’s mir helfen?« Mit einem Seufzer, der wie ein mildes Lächeln war, nahm sie die Matte auf den Schoß, griff nach den bunten Halmen, die, in der Farbe gesondert, auf dem Tische lagen, und begann zu flechten. Die geschickten Hände schienen dieses Werkes so kundig zu sein, daß das Mädchen die Augen zur Arbeit gar nicht brauchte. Die blickten ruhig in den Nebel hinaus.

      Der Jäger wußte nicht mehr, was er denken sollte von diesem seltsamen Kind und dem