Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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zu achten, der seinem Herrn mit scheuem Gruß den Saum des Ärmels küßte, rief er dem alten Jäger zu: »Wie steht es, Hilpot? Wirst du ihn heilen können? Oder ist er verloren für die Jagd?« Dabei streckte er nach dem Falken schon die Hände, die mit blitzenden Ringen besteckt und so schlank waren, so weiß und wohlgepflegt wie Frauenhände.

      »Gottes Gruß, mein guter Herr!« Hilpot schwang den Falken. »Ich mein, er ist wieder heil zum hohen Flug.«

      »Reinold!« rief der Propst in heißem Eifer, während er den Falken von der Faust des Jägers nahm. »Gib ihm das Spiel!«

      Der Falke drückte ihm die Fänge tief in das Fleisch der ungeschützten Hand, doch Herr Friedrich achtete des Schmerzes nicht. »Das Spiel! Und wirf, was du werfen kannst!«

      In Erregung hatte Reinold aus seiner Falknertasche das Federspiel hervorgerissen – einen weißen Ball mit kleinen bunten Flügeln – und seine junge Kraft zusammennehmend, schleuderte er das Spiel hinauf in die dämmerige Luft. Der wehende Abendwind erfaßte das bunte Ding und trieb es den Bäumen zu.

      »Falko! Huliiih!« Mit diesem jauchzenden Rufe nahm der Propst dem Falken die Haube ab und schwang ihn. Gellend tönte der Schrei des Falken durch die Stille, mit hastig flatternden Schwingen stieg er senkrecht empor, ein sausender Stoß, und ehe das Federspiel noch zwischen die Wipfel der Bäume gaukelte, hatte der Falk schon seine Fänge in den Ball geschlagen. »Hilpot, das will ich dir danken!« rief Herr Friedrich. Er wollte einen der blitzenden Ringe lösen, doch vom Griff des Falken waren ihm die Finger aufgeschwollen, daß die Ringe wie angewachsen saßen. Da faßte er das goldene Kreuz auf seiner Brust, riß es vom Hals, daß das breite Seidenband in Fetzen ging, und warf das Kleinod dem Jäger zu. »Nimm!«

      »Herr Jesus!« stammelte Hilpot erschrocken und streckte die Hände, denn er fürchtete, daß das Kreuz zur Erde fallen könnte. Er haschte es noch, bevor es den Boden berührte. Mit hellem Lockruf war Herr Friedrich auf den Waldsaum zugesprungen und hob dem niederschwebenden Falken die Hand entgegen. Reinold kam gelaufen und wollte ihm helfen. Mit eigener Hand löste der Propst das Spiel aus den Fängen, stülpte ihm die Haube über den Kopf und nickte gnädig dem jungen Falkner zu. »Bleibe bei deinem Vater! Ich gebe dir freien Tag für morgen.« Den Falken streichelnd und zärtlich mit ihm plaudernd, wandte er sich seinem Maultier zu und ließ sich von dem Knecht in den Sattel heben. Ohne Gruß ritt er davon.

      Hilpot blickte ihm nach, und als er den Herrn im Wald verschwinden sah, hob er scheu das Kreuz an seine Lippen und sagte leis: »Komm, Bub, wir wollen’s der Mutter zum Kuß hineintragen. Die hat vor lauter Sieden und Braten gar nit gemerkt, daß der Herr gekommen ist.«

      »Du!« Reinold hatte den Arm des Vaters umklammert und flüsterte: »Wenn sie hören drunten, daß du demselbigen da droben Gewand und Wehr gegeben hast, und sie wollen dich büßen, so sag dem Herren: ›Ich hab dir den Eisländer heil gemacht!‹ Und er bietet dir eine Gnad, statt daß er dich büßt.«

      Der Wind, der über die Wipfel der Bäume strich, drückte den blauen Rauch zu Boden, der aus allen Lücken des Schindeldaches quoll, und spannte ihn gleich einem dünnen Schleier über das ganze Gehöft. Stärker hörte man die Bäche der höheren Berge rauschen, und von den Almen tönte ein langgezogener, dumpf murrender Laut – der ferne Schrei eines brünstigen Hirsches.

      2

       Inhaltsverzeichnis

      Im sinkenden Dunkel stieg der junge Jäger, der das Wams eines Toten trug, durch den Wald empor. In treibender Unruh klomm er aufwärts, wie einer, dem irrende Gedanken den Schritt beflügeln. Nur einmal hielt er inne. Der verwehte Laut einer Stimme hatte ihn aus seinem Sinnen geweckt.

      Tief unter ihm, wo in der Dämmerung noch matt erkennbar eine Lichtung zwischen den Bäumen schimmerte, dort mußte das Gotteslehen liegen. Er hörte das Poltern des Balkens, mit dem das Hoftor geschlossen wurde, hörte das an Wolfsgeheul erinnernde Gebell eines Hundes, das heitere Lachen einer Magd. Nun kurze Stille. Dann wieder jenes jauchzende Lied:

      »Huliadei!

       Sei willkommen, süßer Mai!«

      Die Stimme dämpfte sich und erlosch, als wäre die junge Sängerin ins Haus getreten.

      Eine Weile stand er noch und lauschte. Als er zögernd weiterschritt, summte er die Weise vor sich hin. Er kannte das Lied. Wie lange war es her, seit er den süßen Klang zum erstenmal gehört hatte? Zehn Jahre? Oder länger noch? Er sann. Und jählings tauchte die Erinnerung in ihm auf. Eine weite, weiße Halle, an deren Mauern Waffen und Geweihe hingen, erhellt vom zuckenden Lichtschein der Wachspfannen. Draußen vor den Säulenbogen die flüsternden Linden und die stahlblaue Frühlingsnacht mit ihren Sternen. An langem Tische saßen die zechenden Lehensleute, jeder mit dem blanken Zinnkrug zwischen den Armen. Und gesondert von ihnen, neben dem Herdfeuer saß die Mutter in ihrem Stuhl. Und er, ein zwölfjähriger Knabe, an ihren Schoß gelehnt. Der Bruder betrunken unter den Zechenden; lauter klang seine Stimme als die Stimmen der anderen, und seine Faust machte auf dem Tisch die Krüge tanzen. Bei jedem Fluch und Schlag ging ein schmerzliches Zucken über die Stirn der stillen Frau. Dann blickte der Knabe in scheuer Sorge zu ihr auf und schmiegte zärtlich seine Wange an ihre zitternde Hand. Und als die Zechenden der Jagdgeschichten und des Trinkens müde wurden, schrien sie nach dem Spielmann und schwiegen. Da klang die Fiedel. Und dann das Lied:

      »Huliadei!

       Sei willkommen, süßer Mai!«

      Schwer atmend verhielt der Einsame den Schritt und preßte den Arm über die Augen, als möchte er das Bild der vergangenen Zeit verscheuchen. Hastiger stieg er durch den Wald empor; doch immer wieder summte und sang ihm die Weise durch Herz und Sinne.

      Wie ein Lied doch wandern kann! Vom sonnigen, rebengrünen Frankenland bis zu den kalten, blauen Bergen. Und wie ein Lied doch Wunder wirkt! Wie es trösten kann! Und freundlich lügen! Ist ein Lied nicht wie ein Sonnenstrahl, der aus lichten Höhen seinen Weg auch in den kalten Schatten versunkener Wälder findet? Geschehenes wird ungeschehen, Vergangenes wird lebendig, und alles Kommende, das du fürchten solltest, siehst du verwandelt in frohem Bild. Hatte nicht der nahende Winter mit seinem weißen Mantel schon die Berge gestreift, lag nicht das Sterben über den Blumen und die kalte Herbstnacht über dem Wald? Dennoch hatte jene holde Stimme dort unten sonnenfroh und frühlingsfreudig aufgejubelt: »Sei willkommen, süßer Mai!«

      Aus seinen Gedanken erwachend, blickte der junge Jäger im Dunkeln um sich her. Er hatte den Pfad verloren. Und suchte ihn nicht wieder. Geraden Weges begann er über den Waldhang emporzuklimmen. Immer wieder sperrte eine kleine Felswand, eine Kluft oder ein Wirrsal gefallener Bäume seinen Weg. Häufig strauchelte er bei der Hast, mit der es ihn aufwärts trieb. Oft rettete ihn nur ein kühner Sprung vor bedenklichem Sturze. Diese Mühsal erschöpfte ihn nicht, sie schien die Kraft seiner jungen Glieder zu steigern. Manchmal hielt er inne, spähte im Dunkeln umher, atmete tief und lachte vor sich hin, um sich im nächsten Augenblick über ein neues Hindernis zu schwingen, als wäre ihm dieser Kampf gegen die Finsternis, die ihn umdrohte, zu einer Freude geworden.

      Endlich erreichte er das offene Weideland einer Hochalm. Auf vorgestütztem Bergstock, das Kinn über die Hände gelegt, schöpfte er Atem und blickte in die dunkle Runde. »Wie still und schön!« Es war in schweigender Nacht kein Windhauch mehr zu spüren. Gleich einem schwarzen Riesenhügel, durchwürfelt von den grauen Tönen kahler Blöcke, erhob sich das weite Almfeld, über dem sich der stahlblaue Himmel mit strahlenden Sternen wölbte. Ein Widerschein ihres Zitterlichtes blitzte hier und dort in den Eiskristallen, mit denen der Nachtreif die welken Gräser umspann. Von der Höhe des Feldes klang das Rollen gelöster Steine, und der Schrei eines starken Hirsches dröhnte durch die Nacht. Ein zweiter Hirsch gab zornige Antwort, nun schwiegen die Stimmen, und da klirrten die kämpfenden Geweihe. Zwischen prasselnden Steinen kam’s über den finsteren Hang heruntergesaust. Zwei schwarze Schatten flogen an dem Jäger vorüber und verschwanden im Wald. Der Starke hatten den Schwächeren in die Flucht geschlagen, und mit stolzer Wildheit seinen Sieg hinausschreiend in die stille Nacht, stieg er wieder über den Hang empor. Noch eine Weile stand der Jäger