Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Hilpot nur ins Tal hinuntergestiegen, wenn er an hohen Kirchentagen die Messe hören mußte oder wenn es einen Hirsch, der für Hilpots Söhne zu gewichtig war, in die Klosterküche zu liefern galt – oder wenn er von seinen Buben einen auf dem Totenbrett hinuntertragen mußte zur geweihten Erde. Sechsmal in diesen dreißig Jahren hatte Hilpot solche Last getragen. Das hatte mitgeholfen, um seinen Rücken so tief zu krümmen.

      Eine Weile stand er auf der Schwelle und spähte nach allen Seiten. Dann trat er ein paar Schritte in das Gehöft hinaus. Hanna blickte zu ihm auf und sagte: »Der Stößer hat uns das letzte Täubl davon. Du, Jäger, du! Hütest für ander Leut das Gewild und kannst deine eigene Taub nit hüten.«

      Sie nickte. »Solche Jägersleut sind wir Menschen all miteinand!« Hilpot schien nicht zu hören. Lauschend spähte er über den Waldsaum hin und rief dann gegen die Tür: »Komm nur, Herr! Nur die Mutter, sonst ist keine Menschenseel in der Näh. Der Forst ist völlig still, nur droben in der Waldhut, neben dem Gotteslehen hört man das arme Mädel singen.«

      Im Rahmen der Tür erschien eine hohe Gestalt, ein junger Jäger, der eben die Armbrust hinter die Schulter nahm. Er war gekleidet wie der Alte, nur daß das Gewand nicht so verwittert und verbraucht war; dazu die Marderkappe mit der Adlerfeder. Das Wams zog Falten, als wär es nicht für diesen schlanken Körper geschnitten worden. Und die schmalen Hände wie auch die nackten Knie waren weiß, als hätten sie die Sonne nicht oft gesehen. Nur wenig lugte das kurz geschnittene Schwarzhaar unter dem Pelz der Mütze hervor. Auf den bleichen Wangen lag ein bläulicher Schimmer. Wie fein und scharf waren in diesem Gesicht alle Züge! Die streng geschwungenen Lippen geschlossen wie in trotzigem Schweigen, das die Rede haßt. Doch ungestüme Sprache leuchtete aus der Nacht dieser großen Augen, über denen die schwarzen Brauen wie mit Kohle gezeichnet waren.

      Der Jagdhund erhob sich beim Anblick des jungen Weidmanns und knurrte, als stünde ein Fremder vor ihm. Mit zischendem Laut wies Hilpot das mürrische Tier unter die Hausbank und näherte sich mit ehrfürchtiger Scheu.

      »Die Weg verlieren sich im Wald. Soll ich dich nit geleiten, Herr?«

      Der andere schüttelte den Kopf. »Ich will nicht, daß du Mühe hast um meinetwegen.« Ein bitteres Lächeln zuckte um seinen Mund. »Man könnte sie dir übel lohnen. Ich danke dir schon den einen Dienst, den du mir bietest gegen deine Pflicht.« Den Bergstock fassend, den Hilpot ihm reichte, trat er aus dem Schatten der Tür in die leuchtende Abendsonne. Bei den letzten Worten, die er gesprochen, hatte die alte Frau einen ernsten Blick auf ihren Mann geworfen. Nun wollte sie den Rocken niederlegen und sich aufrichten. Der junge Jäger winkte mit der Hand. »Bleib, Mutter Hanna! Deine Jahre wollen rasten.« Die alte Frau nickte wortlos vor sich hin und brachte die Spindel wieder in Schwung. Der andere stand vor ihr und betrachtete eine Weile sinnend ihre Züge. Dann sagte er: »Deine Spindel ist heute schwer geworden. Gibt das ein Kleid zur Weihnacht?« »Nein, Herr! Ein Hemd für meinen Buben. Für den letzten, den ich hab. Derweil ich spinn, muß ich allweil sinnen, ob er das neue Hemd wohl tragen wird zur warmen Hochzeit oder zur kalten Freit? Ja, Herr, ich hab gesponnen, derzeit ich leb. Für sieben Buben. Sechs von ihnen haben mein schönes Leinen hinuntergetragen, mannstief unter den Wasen.« Hanna zog den Faden, während Hilpot seufzend das graue Haar mit beiden Händen in die Stirn strich.

      »Klag nicht um die Toten, Mutter! Denen ist wohl!« sagte der junge Jäger. »Freu dich an dem einen, der euch geblieben ist.«

      Hanna netzte die Finger. »Was ist Freud, Herr? Was ist Weh? Schier weiß ich’s nimmer. Es ist mir so gekommen mit der Zeit, daß ich Weh und Freuden allweil spür, als wär’s ein gleiches.«

      »Dann bist du eine weise Frau.« Der junge Jäger atmete tief. »Das Leben halten auf ruhiger Hand? Schmerz und Wonne wie ein gleiches wägen? Seit ich denke, quäl ich mich um diese Kunst.«

      Ein halbes Lächeln glitt um die welken Lippen der alten Frau. »Hab nur Geduld, Herr! Du stehst noch in der unrechten Lehr. Wieviel Jährlein hast du über die zwanzig? Schau nur, schau! Der warme, grüne Mai will es dem Winter neiden, daß er weiß und kalt ist.« Nickend sah sie an der hohen Gestalt des jungen Mannes hinauf. Ihre Augen blieben an seinem ledernen Wamse haften. »Das hat mein ältester Bub getragen am selbigen Tag, an dem der Baum ihn erschlagen hat.«

      Hilpot winkte seinem Weib, als wär es ihm unlieb, daß Hanna solche Dinge schwatzte; und ein Blick seiner scheuen Augen streifte das bleiche Gesicht des jungen Jägers.

      Der lächelte. »Ich danke dir, Hanna, für dieses Wort! Es gibt mir für meinen einsamen Weg einen stillen Gesellen, mit dem sich’s plaudern läßt, ohne daß ich reden muß.« Er nickte grüßend, und seine Stimme klang freundlicher. »Gehab dich wohl, gute Mutter! Dir zuliebe möcht ich wünschen, du hättest deinen Buben noch und ein anderer läge, wo der Baum gefallen ist. Dann wäre zweien geholfen.«

      Er wandte sich ab und schritt den Bäumen zu.

      Da trug der Abendwind den lieblichen Hall jener singenden Mädchenstimme über den goldleuchtenden Wald herunter, deutlicher als zuvor. Man konnte die Worte verstehen:

      »Es lachet um und um der Wald,

       Es blumet auf der grünen Hald,

       Und nieder zu den Auen

       Steigen die Maiden und Frauen.«

      Der junge Jäger verhielt den Schritt und lauschte, während Hilpot zur Hausbank trat und seinem Weibe zuflüsterte: »Weswegen hast du’s ihm sagen müssen? Jetzt wird er über die schiechen Wänd ein ungutes Steigen haben, weil er allweil denken muß, er tragt einen Kittel, in dem schon einer verbluten hat müssen. Es hat ihm kein anderes Wamset passen mögen. So schlachtig und hoch ist er gewachsen. Und mein altes Schmierzeug kann ich doch so einem Herren nit umhängen. Schau, Mutter, hättst es ihm doch verschweigen sollen!« Hanna erwiderte kein Wort; sie netzte die Finger und spann. »Was hat er denn sagen wollen mit dem stillen Gesellen?« flüsterte Hilpot. »Wen hat er gemeint?«

      »Den Tod.«

      Der Alte schüttelte den grauen Kopf. »Geh, Mutter! So ein junges Blut? Und soll einen Gesellen suchen, vor dem alles ein Grausen hat, was lebt?«

      »Du bist mir einer!« Hanna zog den Faden lang und lächelte. »Sechsmal hast du den Tod schon getragen auf deinem Buckel. Und noch allweil hast du ein Grausen vor ihm?« Ein matter Seufzer schwellte die Brust der Greisin. »Mir grauset nimmer. Sooft ich denk an ihn, seh ich allweil nur ein Gesichtl, das mir lieb ist.«

      Mit dem müden Geflüster der alten Frau vermischte sich der helle, jugendfrohe Klang des Liedes, das über die leis bewegten, leuchtenden Wipfel heruntertönte:

      »Gegangen kommet Paar um Paar,

       Und Blumen tragen all im Haar.

       Sie heben an zu singen

       Und schlingen

       Den liebelichen Reien,

       Und preisen all den Maien:

       Huliadei!

       Sei willkommen, süßer Mai!«

      Der jubelnde Laut verschwamm im wachsenden Wehen des Abendwindes und ging unter im Rauschen des Waldes, wie eine Kinderstimme versinkt, wenn rauhe Männer zu reden beginnen. Aus seinem Lauschen erwachend, blickte der junge Jäger auf. Sein Gesicht hatte sich warm gerötet. Oder war es nur die Glut des Abends, deren Widerschein auf seinen bleichen Wangen lag? Er deutete auf einen Pfad, der emporführte gegen die Waldhöhe, von der das Lied geklungen, und über die Schulter blickend, fragte er: »Geht hier mein Weg?«

      »Nein, Herr!« erwiderte Hilpot. »Das Steigl führet hinauf zum Gotteslehen. Den Weg zur Linken mußt du nehmen.« Der Jäger folgte dem schmalen Pfad, auf den der Alte ihn gewiesen hatte, und verschwand im farbigen Schatten des Waldes. Da klang aus der Schlucht, zu der die talwärts sinkenden Waldgehänge sich verengten, ein heller Jauchzer. Betroffen blickte Hilpot auf, und halb in Freude und halb verwundert wandte er sich zu seinem Weib. »Hörst du ihn, Mutter?«

      Hanna nickte. »Unser Bub!«

      »Was kann ihn heraufführen, jetzt, wo er Falkendienst haben muß einen Tag um den andern? Was meinst du, daß er bringt?«

      »Eine