Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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ein Aufwärtssteigen, empor zur Sonnenhöhe des Glückes.

      Eine Stunde waren sie schon gewandert, als sie Stimmen hörten.

      Lo verhielt den Schritt. »Menschen?« Das sagte sie, wie aus einem Traum erwachend, wie verwundert und erschrocken über die Wirklichkeit des Lebens, dessen Laute ihr entgegenschollen. Da tauchten auch wieder die Bilder der vergangenen Nacht vor ihren Augen auf. Und stammelnd fragte sie: »Mazegger? Ist er gerettet?«

      Ettingen erschrak. »Mazegger?« Und betroffen sah Praxmaler den Fürsten an.

      »Er wollte nach Ehrwald. Als das Feuer ausbrach, kam er, um mich zu warnen. Er nahm einen anderen Weg, durch den brennenden Wald –« Das Grauen der Erinnerung machte sie zittern. »Ist er gerettet?«

      »Ja, Lo!« sagte Ettingen und tauschte einen Blick mit dem Jäger.

      Da lächelte sie erleichtert, als wäre der letzte Schreck der überstandenen Nacht von ihrer Seele gelöst.

      Schreiend kamen ihnen die Leute entgegen. Es waren Senner und Holzknechte, die den Paß übersteigen wollten, um droben in den Felsenkaren des Seetals nach dem Jungvieh zu suchen. Der Jäger flüsterte ihnen eine Frage zu. Sie schüttelten den Kopf, schrien durcheinander und eilten weiter.

      Eine erregte Stimme rief durch das Tal herauf: »Heinz? Bist du's?« Dort unten im Latschenfeld erschien Graf Sternfeldt mit dem Förster.

      »Ja, Goni!« gab Ettingen mit lautem Ruf zur Antwort. »Wir kommen!«

      Sternfeldt eilte den beiden entgegen, während der Förster seinem Herrn ein »Gott sei Dank!« zuschrie und wieder talwärts rannte. Er war nicht weit gekommen, als Praxmaler ihn einholte, keuchend: »Herr Förstner! Der Toni geht ab.«

      »Der Mazegger? War der im Sebenwald? Heut nacht?«

      Der Jäger erzählte, was er von Lo gehört hatte.

      »Der? Und 's Fräuln warnen?« Der Förster schüttelte den Kopf. »Komm, Bub! Ich fürcht, da hat einer d' Höll versucht, und der Himmel hat ihn gstraft! Sei's, wie's mag, jetzt müssen wir tun, was gschehen kann! D' Holzknecht schaffen schon bei der Brandstatt. Jetzt müssen wir helfen. Komm!«

      Sie eilten talwärts, und Praxmaler begann zu rennen, daß der Förster hinter ihm zurückblieb. Als Kluibenschädl das Waldtal erreichte, begegneten ihm Sennleute, die zur Brandstätte liefen. Und hinter ihnen kam ein Mädel gerannt, atemlos und bleich, die Tillfußer Sennerin. Sie haschte den Förster an der Joppe.

      »Mein Pepperl? Is meim Pepperl nix gschehen?«

      » Dein Pepperl? Ah, da schau her!«

      »Is ihm nix gschehen? Jesusmaria! Lebt er noch?«

      »Ja, ja, ja! Der Schnurrbart is ihm net wegbrennt. Den hat er noch.«

      Burgi drückte die Fäuste auf ihre Brust. »Du Heilige Mutter im Himmel, ich sag dir Vergelt's Gott! Und a Kerzl sollst kriegen, so lang wie meim Pepperl sein Bergstock!« Dann fing sie wieder zu rennen an, und die grundlose Angst, die sie ausgestanden hatte, löste sich in ein Schluchzen verrückter Freude.

      Die Stimmen und Schritte verhallten. Schweigen lag wieder im Walde. Kein Windhauch regte sich, kein Wipfel schwankte. Grau und unbewegt hing die glatte Nebeldecke über den Bäumen, die Felswände verhüllend. Gegen Westen lag es wie schwarzes Sturmgewölk über den Ehrwalder Bergen. Gegen Osten schimmerte es zuweilen mit weißlichem Glanz durch die trüben Dünste, als wäre dort irgendwo die Sonne, die den grauen Schleier durchbrechen wollte.

      Manchmal tönten im Schweigen des Tillfußer Waldes verworrene Menschenrufe aus weiter Ferne. Dann war's wieder still.

      Sichernd zog ein Rudel Hochwild über den Weg, scheu hinauswindend gegen den Sebenwald. Und lautlos trat es wieder in den stummen Forst.

      Hoch in den Wipfeln schlug eine Ringdrossel. Schnalzend kam sie auf den Weg geflogen und begann ihre Käferjagd im feuchten Gras. Nun hob sie das Köpfchen und flatterte davon.

      Langsam kamen Heinz und Lo durch den Wald einhergegangen. Wo die Drossel aufgeflogen, blieben sie stehen, als hätte der gleiche Gedanke ihren Fuß gebannt: die Erinnerung an jenen Abend, an dem sie einander zum erstenmal im schweigenden Walde begegnet waren.

      »Sieh, Lo! Dort oben war's!«

      Sie nickte und schmiegte sich enger an ihn. So standen sie lang und blickten hinein in die Dämmerung, die trotz der Mittagsstunde zwischen den stillen Bäumen lag. –

      Die Drossel schlug.

      Sie lauschten ihr, bis sie fern im Wald verstummte. Dann schritten sie weiter.

      Als sie, schon nahe der Tillfußer Alm, die Lichtung erreichten, auf der die von Leutasch kommende Fahrstraße zum Jagdhaus hinaufbog, rasselten zwei Leiterwagen mit galoppierenden Pferden aus dem Wald heraus. Auf jedem Wagen saßen an die dreißig Männer, dicht gedrängt, mit Äxten, Feuerhaken und schweren Seilrollen.

      »Heinz!« stammelte Lo. »Sie wissen es schon im Dorf. Ach, die Mutter! Und der Bub!« Tränen schossen ihr in die Augen.

      Er drückte ihren Arm an seine Brust. »Sei ruhig, Lo! Die Sorge, die sie haben, wird sich in Freude lösen!«

      Die Leute waren abgesprungen, weil die Wagen auf dem schmalen Waldweg nicht weiterfahren konnten. Die jungen Burschen schleppten die schweren Seile, die älteren Männer kamen mit Äxten und Pickeln. So eilig sie es hatten, jeder zog vor Lo sein Hütl und bot ihr einen Gruß. Und ein graubärtiger Alter rief ihr zu: »Heut, Fräuln, sollten wir Enkern Herrn Vater wieder haben! Da täten wir bald Herr sein übers Fuier da draußt!«

      Lächelnd, mit nassen Augen, dankte sie dem Alten für dieses Wort.

      »Siehst du, Lo, wie dein Vater noch lebt für diese Menschen, denen er Gutes tat!« sagte Ettingen bewegt. »Wie dieser Bauer an ihm die Kraft des Mannes schätzt, so wird ihn die Welt als Künstler ehren. Seine Blumen da draußen sind heute nacht in Asche gefallen. Was in seiner Seele Wurzel hatte, wird blühen für die Menschen, schön und dauernd.«

      »Ja!«

      Sie blieben seitwärts vom Wege stehen, um zu warten, bis die Leute vorüber wären. Als letzter kam der Bauer, dessen Anwesen in Leutasch draußen an den Garten des Malerhauses grenzte.

      »Nachbar!« Ihren Arm lösend, eilte Lo auf den Bauer zu. »Nachbar! Weiß die Mutter schon von dem Brand?«

      »Ja, Fräuln! Und dös arme Weibl hat sich anders gsorgt! No, Gott sei Lob und Dank, weil S' nur da sind! D' Frau Mutter wird gleich kommen mit'm Wagerl, nimmer derlitten hat sie's daheim!« Eine schrille Knabenstimme klang aus dem Wald. »Da! Hören S' Ihr Brüderl!«

      Die kleine Kutsche erschien am Waldsaum und mußte halten, weil ihr die anderen Wagen den Weg verstellten.

      »Lo! Lo!« gellte die Stimme Gustls. Und da kam er auch schon gerannt. Heute, mit seinem bandagierten Fuß, den er nur mit den Zehen aufsetzen konnte, ging's nicht so flink wie damals, als er von Innsbruck gekommen. Und Lo, als hätte sie sich in ihre Mutter verwandelt, rief in Sorge: »Bubi! Aber Bubi! Ich bitte dich, lauf nicht so!« Sie eilte auf ihn zu und fing ihn mit den Armen auf. Wortlos hielt sie ihn umschlungen; dann eilte sie der alten Frau entgegen. »Mutter! Mutter!«

      Den kranken Fuß schonend, stand Gustl zwischen den niederen Fichten und zog mit einem Kompliment sein Hütl, als Ettingen auf ihn zutrat. »Guten Tag, Herr Fürst!«

      »Grüß dich Gott, Bubi! Wie geht's mit dem Fuß?«

      »Danke, Herr Fürst, ganz gut!«

      Ettingen zog den Jungen an sich. »Hast du dich gesorgt um deine Lo?«

      »Die Muttl, ach Gott! Aber ich? Nein! Ich kenn doch unsere Lo und hab's auch der Muttl gleich gesagt: unsere Lo, die weiß sich schon zu helfen! Und dann war ich doch auch überzeugt, daß Sie bei ihr sind!«

      »Wirklich?« Ettingen küßte ihn auf die glühende Wange. »Davon warst du überzeugt?«

      »Natürlich! Wenn ein Wald