Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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–«

      »Seien Sie doch vernünftig! Man verbrennt nicht gleich, weil Feuer im Wald ist. Stehen Sie auf!«

      Er wollte sich erheben und taumelte auf die Schwelle hin.

      Da lief auch ihr ein Zittern über die Hände. Doch ihre Stimme klang ruhig: »Ich sehe, daß Sie sich übermüdet haben bei dieser sinnlosen Flucht. Aber, wenn Sie schon flohen vor dem Feuer, wie kommen Sie hieher? Zu mir? Wollten Sie mich warnen?« Er schwieg und bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Mazegger! Geben Sie doch Antwort! In welcher Richtung des Waldes ist das Feuer?«

      »Überall! Es gibt keinen Ausweg nimmer!«

      »Das ist Torheit! Wenn es aus dem Feuer keinen Ausweg gäbe, wie wären Sie denn hereingekommen in den brennenden Wald?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Wissen Sie, wie das Feuer ausgekommen ist?«

      »Nein, nein, nichts weiß ich, nichts.«

      »Wie kamen Sie in den Sebenwald? Jetzt? In der Nacht?«

      »Ich –« es fiel ihm wohl die Lüge ein, die er dem alten Hüter gesagt hatte, »ich hab nach Ehrwald wollen und hab mich verirrt im Nebel. Und da war das Feuer da. Überall Feuer. Überall!« Das Grauen schüttelte ihn. »Wir müssen verbrennen, es gibt keinen Ausweg nimmer!«

      »Ich will ihn suchen. Kommen Sie, Mazegger!« Sie nahm seine Hand und zog ihn von der Schwelle. »Ich kenne hier im Wald jeden Weg und Steg. Ich will Sie führen.«

      »Führ mich, führ mich, ja, mit dir ist der Herrgott!« keuchte er und klammerte die Hände um ihren Arm. »Wenn's noch einen Weg gibt, mußt du ihn finden – über den Paß hinüber, ins Prantlkar!«

      Den Felsenpaß, den Ettingen und Praxmaler an jenem Gewitterabend überstiegen hatten – ja, den kannte sie. Aber dort hinauf, über die steilen Wände? Jetzt bei Nacht und Nebel? Das war unmöglich. Das wäre der sichere Tod. Es mußte einen anderen Ausweg geben, talwärts durch den Wald. Der Zufall dieses Brandes konnte so unselig nicht gespielt haben, daß schon das ganze Tal vom Feuer verschlossen war.

      »Kommen Sie, Mazegger!«

      Er ließ sich ziehen von ihrer Hand. Als die beiden über das Latschenfeld gegen den See hinunterkamen, mischte sich der Rauch immer dichter in den Nebel, immer lauter tönte auf allen Seiten das Brüllen der Rinder. Ein paarmal tauchte der Esel in der Nähe auf, mit Schnauben und Gewieher, begleitete sie eine Strecke und verschwand wieder. Schwüle Hitze wehte ihnen vom brennenden Wald entgegen, und rauschend zog der Wind, der die Rauchwolken über die Berge hinaufjagte. Als die beiden den See erreichten, kamen viele Rinder auf sie zugerannt und folgten ihnen Schritt um Schritt unter angstvollem Gebrüll. Ein sausender Windstoß teilte den von Rauch durchflossenen Nebel, und nur noch matt verschleiert lag der brennende Wald vor ihnen, eine näher rückende Flammenmauer, welche die ganze Breite des Tales füllte, von Wand zu Wand.

      »Wir laufen ins Feuer«, schrie Mazegger wie ein Wahnsinniger, »wir müssen hinauf! Über die Wände hinauf!«

      »Das ist unmöglich.«

      Mazegger bedeckte mit dem Arm die Augen, und die Zähne begannen ihm zu klappern.

      Das bleiche Gesicht vom Ruß der Fackel angeflogen, stand Lo auf einem Felsblock und spähte über den brennenden Wald hinunter, aus dem die Flammen schon herauszüngelten gegen die Latschenfelder. Nur an einer einzigen Stelle des Waldes, dort, wo der Seebach gegen Ehrwald hinunterströmte, war es noch dunkel. Aber auch dort schon quoll es mit rötlichen Dämpfen hinter den Bäumen herauf. Es gab durch den brennenden Wald keinen Ausweg mehr. Wollten die beiden Menschen ihr Leben retten, so mußte sie das Unmögliche versuchen: den Weg über die Berge.

      Das erkannte Lo. Schon wollte sie dem Jäger sagen: wir müssen hinauf, wir haben keinen anderen Weg mehr! Da begannen plötzlich die Rinder, die brüllend um sie her standen, ein tolles Rennen. Hatte eines der Tiere jene dunkle Stelle im Walde gewahrt? Ahnte es dort noch einen Weg der Rettung? Es fing zu rennen an, und alle Rinder jagten ihm nach im blinden Herdentrieb, schnaubend und mit gestreckten Schweifen. »Das Vieh! Das Vieh weiß einen Ausweg!« kreischte Mazegger. Nur an die Rettung des eigenen Lebens denkend, riß er dem Mädchen die Fackel aus der Hand und rannte mit verzweifelten Sprüngen den Tieren nach. Rauch und Nebel verschlangen ihn. Das Gerassel der Steine, die sich auf seinem Wege lösten, ging unter im Sausen des Windes, im Geprassel und Krachen des brennenden Waldes.

      »Mazegger! Mazegger!« schrie Lo in der Todesangst, die sie empfand um diesen verlorenen Menschen. Sie schrie und schrie. Keine Stimme gab Antwort. Und das Brüllen der Rinder war verstummt dort unten. Nur über den See herüber klang noch das Röhren einzelner Tiere, die bergaufwärts flüchteten, den Felsen zu.

      »Mazegger!«

      Sie wollte folgen, hoffte, ihn noch hindern zu können, den Weg der toll gewordenen Tiere zu nehmen. Aber dichter Rauch umwirbelte sie, der sie fast zu ersticken drohte. Wohin sie auch ihren Weg nahm, überall loderte ihr das wachsende Feuer entgegen, das den Waldsaum schon übersprungen hatte und die Latschen ergriff.

      »Mazegger! Mazegger!« schrie sie noch immer, bis ihr die Stimme versagte.

      Rauch und Flammen trieben sie zurück. In Qualm und Nebel wußte sie nicht, wohin sie geriet – sie merkte nur plötzlich, daß ihre Füße in Wasser traten. Der See! Da ihre Kräfte zu erlöschen drohten, bückte sie sich, schöpfte Wasser mit den Händen und trank und kühlte das Gesicht. Im jagenden Winde flogen schon die glühenden Funken über sie her, als sie die seichte Bucht durchwatete und wieder das Ufer gewann. Während sie hineilte über den ebenen Rasen, kam's mit Keuchen und Schnauben hinter ihr nachgerannt.

      »Hansi!«

      Zitternd drängte sich das Grautier an seine Herrin, als wäre Hilfe bei ihr.

      Noch einmal schrie sie den Namen des Jägers in den wallenden Rauch. Als sie keine Antwort hörte, klammerte sie sich an die Hoffnung, daß er den rettenden Weg gefunden hätte, den ihr das wachsende Feuer verschloß. Jetzt blieb nur dieser einzige Weg noch, dieser unmögliche: über die Berge hinauf, um den Paß in das andere Tal zu gewinnen. Ein Weg, auf dem in der Finsternis der tödliche Sturz sie erwartete bei jedem Schritt. Sie mußte ihn versuchen, es gab keinen anderen. Wohl dachte sie einen Augenblick daran, im höheren Felsental eine geschützte Stelle zwischen kahlem Gestein zu finden. Aber der Rauch, der sich dichter und dichter herwälzte über den See, mußte, wenn die grünen Latschenfelder bis hoch hinauf ins Glühen kamen, das ganze Tal erfüllen und alles atmende Leben ersticken.

      Sie faßte den Halsriemens des Esels, um das Tier mit sich fortzuführen. Es sträubte sich und wollte nicht von der Stelle. Immer wieder, unter Zittern und Schnauben, drehte es den Kopf nach dem brennenden Wald zurück. Lo zerrte am Riemen. Ein paar Schritte folgte das Tier mit Zögern. Dann plötzlich, als hätte es die Absicht seiner Herrin verstanden, hätte begriffen, welchen rettenden Weg es zu suchen galt, begann es zu traben, immer rascher, das Mädchen mit sich fortreißend, das an den Riemen geklammert hing. Den auch bei Tag nur schwer erkennbaren Steig, der über die steilen Latschengehänge emporführte zu den Felsenkaren, hätte Lo wohl nie gefunden bei diesem unruhigen Wechsel zwischen trüber Feuerhelle und rauchschwarzer Finsternis. Die nachtsehenden Augen des Tieres fanden ihn. Schnaubend zerrte es seine Herrin mit sich hinauf, eine Latschenhöhe nach der anderen überwindend, bis sie das kahle Gestein erreichten. Da blieb es stehen, erschöpft und mit vorhängender Zunge. Es wollte nicht weiter, legte sich auf die Steine nieder und begann an seinen Knien zu lecken.

      Auch Lo war atemlos zu Boden gesunken. Mit dem Rücken an das Tier gelehnt, halb erstickt vom Gewirbel des Rauches, hielt sie die Fäuste auf ihre kämpfende Brust gedrückt. Ein brausender Windstoß jagte den Rauch, und vor den Augen des Mädchens lag es dort unten wie eine lodernde Hölle. Der ganze Sebenwald eine einzige ungeheure Flamme! Rings um den See her brannten schon alle Latschenfelder, bald in rote Glut versinkend, bald wieder aufleuchtend mit weißem Feuerglanz, wenn der Wind darüber hinfegte. Aus diesem Glutfeld ragte eine dunkel qualmende Säule hervor: der Harfenbaum, der den Flammen noch widerstand – und daneben loderte eine hohe Feuergarbe: das brennende Seehaus.

      Als