Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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die Tür. Schwer atmend untersuchte er den Brief und drehte ihn hin und her, langsam, als wäre das leichte Papier so schwer wie Blei. Der Brief war nur leicht verklebt. Mazegger öffnete ihn. Und damit kein Lichtschein durch die Ritzen der Läden hinausfallen möchte, schraubte er an der Petroleumlampe die Flamme ganz klein herunter. Bei diesem trüben Zwielicht las er:

       »Drei Uhr morgens.

      Lieber Goni!

      Du hast recht gehabt! Ich sollte nicht erlöst werden ohne ›Gewaltstreich‹. Sie versuchte ihn mit einer plumpen Reminiszenz an die französische Komödie, deren Heldinnen sie verkörperte, bevor sie den adeligen Hochstapler fand. Der gab ihr seinen Namen, um sich von ihr – ich will milde sagen: ernähren zu lassen –, schließlich auch auf meine Kosten. Was mich in meinem Wahnsinn damals, als ich es erfuhr, vor Ekel krank machte, krank auf den Tod fast – daran kann ich heute denken, als wär es nie gewesen, als läge für mich eine ganze Welt zwischen damals und heute, ein Feuer, das mich reinigte, als ich seine Flammen durchschritt. Und denk nur, Goni, sie kam, um die Flitterwochen ihrer Freiheit mit mir zu verleben! Sie hat sich scheiden lassen. Das war der Grund ihrer langen, Dir so unbegreiflichen Reserve. Sie wollte frei sein, um mir sagen zu können: Ich habe mich erlöst für dich! Ein Glück, daß sie mir das nicht einen Monat früher sagen konnte. Ich glaube, ich wäre bei meiner falschen Vorstellung von dem, was ›Verpflichtung‹ heißt, noch vor wenigen Wochen fähig gewesen, mit Bewußtsein mein Leben zu vernichten. Aber daß sie zur Verkündigung ihres ›heiligen Opfers‹ gerade diese Stunde wählte und dazu ein ›leicht lösbares Spitzenrätsel‹ wie für die Rolle der ›Iza‹ im ›Fall Clemenceau‹ – das hat mir die Bilanz meiner Vergangenheit und Zukunft leicht gemacht. Nun ist alles vorüber und abgetan! Gründlich. Wie ich aufatme! Daß ich keine Stunde mehr mit ihr unter dem gleichen Dach verbringe, wirst Du begreiflich finden. Nur diese Zeilen schreibe ich Dir. Dann weck ich den Jäger und steige mit ihm hinauf – hoch, hoch hinauf, wo ich die Sonne und reine Luft finde.

      Eigentlich muß ich ihr dankbar sein. Sie verhalf mir zur Erkenntnis meines Glückes, das gestern noch unbewußt in mir dämmerte wie ein Gefühl wunschloser Freude, ruhig, heiter und schön. Ach, Goni, wenn ich Dir nur schildern könnte, wie mir zumute war, als es so plötzlich Licht wurde in mir! Mich erwartet ein Glück, das ich gefunden habe auf heiligem Weg. Erinnerst Du Dich an dieses Wort meines ersten Briefes? Nun ist es zur Wahrheit an mir geworden. Mehr kann und will ich Dir jetzt nicht sagen. Wenn ich heimkomme, sollst Du alles wissen. Und morgen, Goni, hol ich mein Glück! Küsse mir das Bild meiner Mutter, Du Treuer, und freue Dich mit dem glücklichsten der Menschen. Das ist

      Dein Heinz.«

      Mazegger hatte längst zu Ende gelesen, und noch immer saß er über das Blatt gebeugt, das in seinen Händen zitterte. Sein Gesicht war verzerrt. Mit einem Lächeln, das alle Zähne sehen ließ, raunte er das Wort des Briefes: »Morgen hole ich mein Glück!« Er schob den Brief in den Umschlag und verschloß ihn, blies die Lampe aus und stieß am Fenster die Läden auf. Draußen war es Tag geworden.

      »So? Morgen?«

      Ein rauhes Lachen. Und eine Bewegung, als möchte er den Brief in Fetzen reißen.

      Da trat der Förster in die Stube. »Guten Morgen, Toni! Gut, daß d' noch daheim bist! Heut mußt du mit mir – – Was hast denn da?« Er nahm dem Jäger den Brief aus der Hand. »An den Herrn Grafen? Und die Schrift von der Duhrlaucht? Von wem hast du den Brief?«

      »Vom Peppi.« Mehr zu erklären, hielt Mazegger nicht für nötig.

      »Der Brief muß bsorgt werden! Gleich auf der Stell!« Kluibenschädl hetzte davon. Finster sah Mazegger ihm nach. Daß er heute den Förster begleiten sollte, das schien ihm nicht zu passen. In Hast machte er sich fertig, warf die Büchse hinter den Rücken, steckte mit zitternder Hand ein paar Patronen zu sich und schritt über das Almfeld hinunter. Bevor er den Wald erreichen konnte, klang hinter ihm die Stimme des Försters: »He! Toni! Warten!«

      An der Lippe nagend, blieb Mazegger stehen, bis der Förster ihn eingeholt hatte.

      »Wo rennst denn hin? Ich hab dir doch gsagt, daß ich dich brauch! Und ausschauen tust? Hast wieder an Ausflug gmacht in der Nacht – Gott weiß wohin?«

      Mazegger wandte sich wortlos ab.

      »Heut bleibst bei mir! Wir müssen die neuen Steig vermessen. Da haben wir Arbeit den ganzen Tag.«

      »So?« Mazegger lächelte. »Aber die Nacht? Die gehört doch mein?«

      Der Förster sah ihn von der Seite an. »Was dös jetzt wieder für a Wörtl is! D' Nacht ghört freilich dein.«

      »Mehr brauch ich nicht.«

      »Zu was?«

      »Zum Schlafen.«

      »Geh, du!« Der Förster schüttelte den Kopf.

      Sie verschwanden im Wald.

      Eine stille Morgenstunde. Dann kam die Sonne. Heute flog sie die Berge nicht mit jenem reinen Schimmer an, der die Felsen wie in durchsichtige Flammengebilde verwandelte. Es war etwas Trübes in ihrem Feuer. Und die dünnen Nebel, die mit zerrissenen Formen hoch in den Lüften schwammen, glühten so rot, als wären Blutbäche über den mattblauen Himmel ausgegossen. Auch die Sonne selbst, als sie hinter den östlichen Bergen hervortauchte, hatte einen roten Schleier umgehangen. Man konnte sie ansehen, ohne geblendet zu werden.

      Hoch droben über dem Bergwald, auf einem steilen Almrosenhang, den die Sonne mit ihrem roten Feuer schon überleuchtete, ruhten Ettingen und Praxmaler zu Füßen einer einsamen Zirbe.

      Pepperl saß mit dem Rücken gegen den Stamm gelehnt, als hätte er eine Stütze nötig. Er machte kein lustiges Gesicht. Die zehn »Viertelen« rumorten unter seinen Kreuzerschneckerln. Er sah übernächtig aus und hatte Ringe um die Augen. In seinem Blick, der das Tal suchte, leuchtete es wohl manchmal auf wie Freude. Aber diese Freude erlosch immer wieder in trüber Kümmernis, wie droben das Sonnenlicht in den Nebelschleiern. Dazu wurde er, je länger er saß, immer schläfriger; ein paarmal machte er einen kurzen Sumser, aus dem er mit erschrockenem Nicker wieder auffuhr.

      Im Gesicht des Fürsten hatte die durchwachte Nacht keine Spur von Ermüdung zurückgelassen. Ettingen lag behaglich ausgestreckt in den Almrosenbüschen, über die der Wettermantel gebreitet war. Mit dem Blick des Glücklichen, für den alle Rätsel seines Lebens sich aus schwüler Nacht zu schönem Tage lösten, sag er lächelnd über den Bergwald in ziellose Ferne und empor zum glühenden Himmel.

      Wieder fuhr Pepperl aus kurzem Schlummer auf. »Heut macht's a Lüfterl, da könnt man rein einschlafen dabei. Sollten wir net a bißl weiterpirschen?«

      »Nein. Ich will nicht jagen heut. Nur ruhen. Und sehen, wie das leuchtet, der Wald, die Berge, der Himmel! Wie schön das ist!«

      Pepperl seufzte. Um sich wach zu erhalten, mußte er wenigstens versuchen, einen »Dischkurs« in Gang zu bringen. »So a Himmel wie heut? Der gfallt Ihnen? Mir net. Na!«

      »Ich habe noch keinen gesehen, der mir besser gefiel.«

      »Aber schauen S' doch die verzupften Wölkerln an! Dös is a grauslichs Wetterzeichen. Morgen kriegen wir schlechte Pirsch und an trüben Tag.«

      »Meinen Sie? Nein! Wie morgen der Tag auch sein mag, er wird reine und schöne Sonne haben!«

      »Da täuschen S' Ihnen, Herr Fürst!«

      Als Ettingen nicht antwortete, machte Pepperl noch ein paar Versuche, den abgerissenen Gesprächsfaden wieder anzuknüpfen. Umsonst. Schließlich ergab er sich in Geduld, und dann fielen ihm die Augen zu.

      Eine schweigsame Weile verging.

      Da machte ein Rascheln den Fürsten aufblicken. Praxmaler war vom Baumstamm seitwärts in die Almrosenbüsche geglitten und fing zu schnarchen an.

      »Gute Nacht, Pepperl!«

      Nun streckte auch Ettingen sich bequemer aus und verschränkte die Hände unter dem Nacken. So blickte er zu den ziehenden Wolken auf, deren Rot immer blässer wurde, bis sie weißlichen Glanz