Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


Скачать книгу

die Sennhütte betreten hatte, war Pepperl mit finster brütenden Augen in einem Winkel gesessen und hatte sich gegen Fifis ersten Annäherungsversuch so unzugänglich verhalten wie ein junges Fohlen, dem man zum erstenmal das Geschirr um den Hals legen will. Aber war des die Wirkung des Weines, den er als reichlichen Seelentrost in sich hineingoß, oder war's ein spöttisches Lächeln der Sennerin, ein bissiges Wort, das Burgi einem der Touristen über die Französin gerade so laut noch zuflüsterte, daß Pepperl es hören mußte – irgend etwas hatte unter seinen Kreuzerschneckerln plötzlich einen psychologischen Wettersturz hervorgerufen. Aus einem griesgrämigen Leimsieder hatte er sich in einen krakeelenden Don Juan verwandelt, dessen Schmeicheleien die kleine Französin in um so größere Begeisterung versetzten, je derber sie ausfielen. Dieser vrai tyrolien, dieser type de race gefiel ihr immer besser mit jeder Minute. Sie ließ es, um ihn in Feuer zu bringen, an Aufmunterung nicht fehlen. Und Pepperl war nicht dumm. Wenn sie ihm einen kleinen Finger reichte, nahm er gleich die ganze Hand, zum Gaudium der Französin und der ganzen lustigen Gesellschaft, die Sennerin ausgenommen. An diesem »Flirt« – wie Jean der Verschnürte die koketten Manöver Fifis mit Weltbildung bezeichnete – beteiligten sich alle Mitglieder der Tafelrunde und spielten mit wie die Zuschauer bei einer Hanswurstiade. Da Fifi kaum ein paar deutsche Worte und Pepperl kein Französisch verstand, mußte bald der Leibjäger, bald einer der jungen Touristen den Dolmetsch abgeben, wobei die drastischen Komplimente, die Pepperl der Französin machte, mit lautem Hallo bei der Übersetzung noch übertrieben wurden. Als Pepperl in seiner schwelenden Weinlaune beteuerte: »Die gfallt mir, die mag ich!« – begnügte sich Fifi nicht mit der Übersetzung.

       »Moi, je veux, qu'il me dise cela en français!«

      »Was hat's gesagt?« fragte Pepperl.

      Einer der Touristen übersetzte: »Sie will, du sollst ihr auf französisch sagen, daß sie dir gefällt!«

      »So?« Pepperl studierte eine Weile. »Wie tät's denn heißen auf franzeesisch, wann ich ebba sagen möcht: Du bist sauber, dich hab ich gern?«

      Unter Gelächter sagte man's dem Praxmaler-Pepperl ein paarmal vor: »Vous êtes très belle! Je vous aime!«

      Und Pepperl plapperte: »Wussed treppel, schö wussem!«

      Fifi klatschte vor Wonne in die Hände und zwitscherte ihr höchstes Lachen. Die Bewunderung, die sie für diesen superbe colosse empfand, fing an ins bedenkliche zu wachsen. Alles an ihm gefiel ihr, aber ihr ganz besonderes Entzücken erregten seine Kreuzerschneckerln. »Regardez, Jean, quels jolis cheveux il a! Ils ont l'air de s'amuser beaucoup4!« Als müßte sie dem Wohlgefallen, das sie an diesen »vergnügten« Haaren fand, noch deutlicher Ausdruck geben, sprang sie auf, faßte den Praxmaler-Pepperl über den Tisch hinüber am Kopf und wühlte mit ihren winzigen Spinnenhänden in diesem Wust von blonden Ringeln wie ein Geiziger in seinem Gold.

      Alles lachte. Nur drüben am Herd empörte sich die Sennerin. »So an ausgschamts Frauenzimmer!« Ein Scheit flog ins Feuer, daß die Funken aufstoben.

      »Comme il me plait! Ah! Ah! Qu'il me plait bien!« zwitscherte Fifi. »Mais! Mais! Attention5!« Gestikulierend suchte sie das Gelächter der anderen zu beschwichtigen. »Je veux lui dire ça en allemand! Comment cela se dit-il en allemand! Comment cela se dit-il en tyrolien: tu me plais, tu es un joli garçon, toi?«

      »Ruhe! Jetzt will sie deutsch mit ihm reden!« verkündete der Dolmetsch. »Sie will wissen, wie das auf tirolerisch heißt: du bist ein hübscher Junge, ganz nach meinem Geschmack! – Das muß ihr echt gesagt werden, ganz echt!« Unter fideler Spannung der Tafelrunde sprach ihr einer der Touristen im breitesten Tirolerdialekt den Satz vor: »Du gfollscht ma, bischt a liaba Bua!« Fifi versuchte die bleischweren Laute nachzuschwatzen. Was auf ihrem leichten Zünglein daraus wurde, hörte sich so drollig an, daß die ganze Gesellschaft in Gelächter ausbrach. Sogar die Sennerin lachte; aber das war ein Lachen, so grell wie der Klang einer springenden Saite.

      Den Praxmaler-Pepperl schien diese Liebeserklärung der Französin – oder etwas anderes – um den letzten Rest seiner Zurückhaltung gebracht zu haben. Er stieß einen gellenden Jauchzer aus, griff mit beiden Armen zu, und wie man einen Knödel aus der Suppe sticht, hob er das kleine Persönchen über den Tisch herüber an seine Saite. »So, jetzt spielen S' ein' auf, an rassigen!« schrie er dem Zitherspieler zu. »Jetzt wird einer tanzt mit meiner Franzeesin! A gsunder!« Wieder jauchzte er und schwang sein Hütl dazu.

      Mit schwirrenden Klängen fiel die Zither ein. Zwei der jungen Touristen faßten die beiden als Dirndl kostümierten Mädchen um die Hüfte, und Jean, der nicht leer ausgehen wollte, machte den Versuch, die Sennerin zum Tanz zu holen. Wortlos drehte ihm Burgi den Rücken, während Pepperl dem Verschnürten mit höhnischer Freude zurief: »Sie! Die lassen S' in Ruh! Die is der Rühr-mi-net-an! Die hat an Heimlichen. Wann s' an andern anschaut, wird er wild, der Heimliche, und sie därf ihm die schecketen Jagdküh nimmer melchen. Juhuuu!« Das war ein Jauchzer, dessen scharfer Klang wie ein Dolch in alle Ohren fuhr. Mit einem Luftsprung wie ein Tollgewordener trag Pepperl an der Hand seiner »Franzeesin« zum Schuhplattler an.

      Burgi stand bleich am Herd und starrte ins Feuer. Auch Fifis Gezwitscher war verstummt, und einen Augenblick schien es, als bekäme sie Angst vor diesem superbe colosse, der ihre Hand umklammert hielt wie mit eisernem Schraubstock und das kleine Persönchen im Kreise wirbelte, daß die Röcke flogen wie ein sausendes Rad. Dann lachte sie wieder, blitzte ihn mit ihren schwarzen Augen an, und flink hatte sie es den beiden anderen Mädchen abgeguckt, wie sie sich, mit den Händen die Röcke niederhaltend, vor ihrem Tänzer drehen, wiegen und wenden mußte, um den Sinn dieses urwüchsigen Naturtanzes zum Ausdruck zu bringen: das Entfliehen und Sichhaschenlassen, das Versagen und Gewähren einer Gunst, um die der Tänzer wirbt.

      Mit einem Jauchzer, daß die Stubendecke dröhnte, umkreiste Pepperl die sich wirbelnde Tänzerin und begann ein Schlagen und Springen, ein Blasen und »Schnackeln« wie ein liebes- und frühlingstrunkener Spielhahn. Er »plattelte«, als wollte er seine Schenkel und Schuhe zu Scherben klopfen, schlug Räder und Purzelbäume, schnellte im Aufsprung die Fußspitze bis zur Stubendecke und schwang, als die Zither schwieg, mit gellendem Juhschrei seine Tänzerin durch die Luft wie eine Feder.

      Die beiden anderen Paare, auch Jean und der Zitherspieler, schrien Bravo und applaudierten. Und Fifi, als sie mit den zappelnden Füßen wo zu Boden kam, sah glühend und staunend an ihrem Tänzer hinauf und pisperte mit ihrem atemlosen Stimmchen: »Bigre, tu as de la race, toi!« Mit beiden Händen haschte sie ihn am Schnurrbart, zog ihn zu sich nieder, hob sich auf die Fußspitzen und drückte ihm einen Kuß auf den Mund. Dann huschte sie kichernd zur Stube hinaus.

      Die Touristen machten dazu einen fidelen Spektakel, während Jean der kleinen Französin mit der Bemerkung folgte: »Elle est folle, vraiment!« Er fand sie draußen, wie sie vor Lachen kaum Atem und Wort hatte. Und als sie sich in seinen Arm einhängte, um sich zum Jagdhaus hinaufführen zu lassen, meinte sie: »C'était la vraie bêtise de campagne, ça!«

      Auch Pepperl lachte. Aber es schien, als wäre ihm dabei nicht besonders wohl zumute. Sein Gesicht brannte wie Feuer. Er mußte sich abkühlen und schrie der Wirtin zum »Verirrten Lampl« mit heiserer Stimme zu: »He, Sennerin, noch a Viertele!«

      Wortlos nahm Burgi das Glas vom Tisch und ging in den Keller. Schwer seufzend öffnete sie den Hahn am Faß, und während das dünne rote Brünnlein niederplätscherte in das Glas, tröpfelten ihr die dicken Zähren über die Wangen – und eine dieser Tränen fiel in den Rotwein. Wie in Wut über sich selbst, fuhr sie mit der Faust über die Augen und biß die Zähne übereinander.

      Als sie hinaufkam in die Stube, packte der Zitherspieler sein Instrument in den Rucksack, und die jungen Leute, denen der Wein in den Köpfen wirbelte, schickten sich an, ihr Nachtlager auf dem Heu zu suchen. Unter Späßen, die der späten Stunde entsprachen, sagten sie der schweigsamen Sennerin gute Nacht, stiegen mit Schwatzen und Gekicher über eine Leiter zum Heuboden hinauf und ließen an der Stubendecke die Klappe hinter sich zufallen.

      Burgi und Pepperl waren allein.

      Über