Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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aschfahlem Gesicht verbeugte sich Martin, und während er aus dem Zimmer ging, riß Ettingen das Fenster auf. Die frische Nachtluft hauchte in den schwülen Raum und trieb, als die Tür geöffnet wurde, den süßen Wohlgeruch in den Flur hinaus und hinter dem Lakaien her, dessen Frackschöße in der Zugluft wehten. Eine Weile stand Martin ratlos, mit geballten Fäusten. Da sah er die kleine Französin aus dem Zimmer der Baronin treten und hörte sie noch sagen: »Je vous souhaite la bonne nuit, madame!«

      Lautlos huschte er auf das Mädchen zu: »Mam'zell Fifi?«

       »Hein?«

      Ob die Baronin noch zu sprechen wäre?

      Für den guten, treuen Martin? Gewiß.

      Er pochte an die Tür.

       »Entrez!«

      Martin trat ein. Als er einige Minuten später das Zimmer wieder verließ, schien seine Sorge beschwichtigt. Er trug die Nase hoch und lächelte. Während er über die Treppe hinunterstieg, hörte er das kichernde Gezwitscher der Französin.

      Sie stand mit Sensburgs Leibjäger im Hof. Der heitere Lärm, der von der Sennhütte heraufklang, reizte ihre Neugier. »Je veux voir ça, moi!«

      Zu diesem Wunsche zuckte Martin hoheitsvoll die Schultern. Der »Stall« dort unten wäre kein Aufenthalt für »feine Leute« – in »solche« Gesellschaft könnte man unmöglich gehen, ganz unmöglich.

      Fifi verzog das hübsche Mäulchen und lachte. »Moi, ça m'est bien egal, qu'on puisse y aller ou pas y aller. Vous m'y conduiserez, n'est-ce pas, Jean3?«

      »A votre service, mam'zelle!« erwiderte der Leibjäger galant und bot ihr den Arm.

      Während Martin seine Stube aufsuchte, wanderten die beiden kichernd über das Almfeld hinunter.

      Droben am Himmel schneuzte sich ein Stern, und gleich einer dünnen Feuerrute fuhr's über die Berge hin.

      Achtzehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Einige Stunden früher.

      Es dämmerte über dem Tal der Leutasch, und vom Kirchturm tönte der Abendsegen über die stillen Häuser hin und hinaus über die von zartem Nebel behauchten Wiesen. Auf der Straße lag schon die Ruhe des schläfrig gewordenen Tages. Nur ein paar junge Burschen stapften mit ihren qualmenden Pfeifen an den Zäunen entlang, manchmal nach einem Fenster spähend, hinter dem ein Licht brannte.

      Da kam ein Jäger hastigen Ganges durch das Dorf herunter. Mazegger. Keuchend ging sein Atem, und in Unruh blickte er über die Straße aus. Sein Schritt verzögerte sich, je näher er dem Hause der Frau Petri kam. Um das Klappen seiner Schuhe verstummen zu machen, trat er in den mit Gras bewachsenen Straßengraben hinunter. Als er den Zaun des Hauses erreichte, das vom Duft seiner Blumen umflossen war, duckte er sich und schlich an der Holunderhecke hin, um eine Lücke zu finden, durch die er in den Garten blicken könnte.

      Am Hause waren die Fenster der Wohnstube schon erleuchtet. Man sah durch die hellen Scheiben in den friedlichen Raum mit seinen Bildern und Geräten und sah, wie Frau Petri den Tisch deckte und die Tassen stellte.

      Dunkler und dunkler sank die Dämmerung über Haus und Garten. Zwischen den Beeten klang die Stimme Los: »Zwei Kannen noch, dann wird's genug sein.«

      Am Brunnen klapperte der Schwengel, das Wasser plätscherte, im Kiese knirschten die Schritte der Magd, und nun ließ sich das leise Brausen des über die Blumen fallenden Sprühregens vernehmen.

      Dann war's still im Garten.

      Während die Magd das Gerät und die Kannen in der Tenne verwahrte, machte Lo einen Rundgang um die Beete und durch den Obstgarten. In einem Sommerhäuschen, das dicht am Zaun auf einem kleinen Hügel stand, ließ sie sich nieder. Hier konnte sie über die dunklen Wiesen weit hinausblicken bis zur Waldscharte des Geißtals, über dem der Himmel mit seinem letzten Licht noch zwischen den schattenblauen Bergen leuchtete.

      Da klang eine gepreßte Stimme über den Zaun: »Guten Abend, Fräulein!«

      Lo sah über der gestutzten Holunderhecke das bleiche Gesicht mit den funkelnden Augen. Sie verließ das Sommerhäuschen. »Guten Abend!« sagte sie, wie man einen Fremden grüßt, und ging auf das Haus zu.

      Der Pfad führte am Zaun entlang, und so konnte Mazegger über der Hecke draußen gleichen Schritt mit ihr halten.

      »Aber eilig haben Sie's heut!« Der Jäger lachte. »Ich bin halt nicht der ander mit'm Krönl im Schnupftuch! Da tät sich's freilich rentieren, daß man stehenbleibt. Da hätt man Zeit eine ganze Nacht lang. Wie draußen beim Sebensee. Gelt, ja?«

      Schweigend folgte Lo ihrem Weg.

      »Ich komme von Tillfuß. Da sollten Sie doch ein bißl neugierig sein, was los ist bei Ihrem hochgeborenen Courschneider! Könnt sein, daß ich was zu erzählen hätt. Wirklich? Gar nicht neugierig?«

      Er wartete auf Antwort. Vergebens.

      Nun lachte er wieder, gallig und rauh. »Jetzt kommt er so bald wohl nimmer zum Sebensee! Jetzt hat er keine Zeit mehr – für Sie! Heut hat er Besuch bekommen. Und was für einen! Eine Baronin. Billiger tut er's nicht, wenn's Ernst wird. Ich hab mir allweil gedacht, es gäb nichts Schöneres auf der Welt, als Sie sind. Aber die! Aaah! Was die für ein Lachen hat! Und wie sie ihn frißt mit ihren sündschönen Augen! Da müßt der ägyptische Joseph drüber stolpern. Und Joseph ist der doch keiner! Gelt? Die vornehmen Herren, die halten's gern mit der Abwechslung. Heut Butterbrot und Sebenseeblümln, morgen wieder Salami mit Pfeffer.«

      Lo hatte den Pfad verlassen. Quer durch die Wiese schritt sie auf das Haus zu. Was der Jäger ihr nachrief, verstand sie nicht mehr. Nur sein Lachen hörte sie noch. Als sie zur Haustür kam, mußte sie sich an die Mauer stützen. Diese Schwäche währte nicht lang. Ruhigen Schrittes trat sie ins Haus. Lichtschein fiel aus der Küche in den Flur und über die Bilder hin, welche die Mauer bedeckten.

      Während Lo zur Stube ging, berührte sie eines der Bilder mit der Hand, als wäre das Trost und Kraft für sie: die Leinwand zu fühlen, auf der ein reiner und schöner Gedanke ihres Vaters Form und Farbe gewonnen.

      Nun trat sie in das helle Zimmer, in dem Frau Petri noch mit dem Tisch beschäftigt war.

      »Heut kommst du früher als sonst. Bist du draußen schon fertig?«

      »Ja, Mutter. Mit allem.«

      Beim Klang dieser Stimme blickte Frau Petri betroffen auf. Sie sah das weiße, vom Schmerz berührte Gesicht, die verstörten Augen, und fragte erschrocken: »Kind? Was hast du?«

      »Nichts!«

      »Das sagst du mir und kannst mich doch nicht ansehen dabei!« Vor Sorge zitterte die Stimme der alten Frau. »Kind?«

      »Ich bin erschrocken. Draußen im Garten, dicht vor meinen Füßen, kroch eine Natter über den Weg.«

      »Nein! Das hätte mich erschrecken können. Nicht dich! Vor einem Tier zu erschrecken, das nur unschön ist, nicht gefährlich, das ist nicht deine Art. Sag mir, was du hast! Und sieh mich an!«

      Ein Lächeln erzwingend, hob Lo die Augen.

      »Kind! Ich fühle doch, daß es nur ein Gleichnis war, was du vorhin von der Natter sagtest. Draußen im Garten ist etwas geschehen, was dich kränkte. Das war so abscheulich, daß du es deiner Mutter nicht sagen magst. Ich kann mir's denken! Ein dummer oder böser Mensch wird ein Wort gesprochen haben, das etwas in dir verletzte, was dir lieb und heilig ist.«

      »Ja, Mutter! Etwas, an das ich glaube, wie ich an den Vater glaube und an dich!«

      »Gelt, ich hab's erraten?« Frau Petri atmete, als läge ihr ein Stein auf der Brust. »Schon die ganze Zeit her – und was mir