Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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während sie beim Hoftor stand, mit der Schirmspitze im Sand wühlte und immer hinunterspähte über den Weg! Dann plötzlich lachte sie, mit perlender Stimme, vergnügt wie ein Kind, das in gereizter Laune mit einem Spielzeug überrascht wird.

      Sensburg kam über den Weg herauf, »jagerisch« maskiert, mit Joppe, grüner Weste und kurzer Lederhose, mit genagelten Schuhen und mit Wadenstrümpfen, die mit dicker Wolle unternäht waren, um hinter den Knien den »echten« Buckel zu machen. An der Joppe trug er Hirschhornknöpfe, die ein spannenlanges Knopfloch brauchten, und an der Uhrkette baumelten silbergefaßte Adlerklauen, Hirschgranen und Murmeltierzähne. Die Knie mußte er mit irgendeiner Tinktur gefärbt haben; sie waren wie Kastanien so braun. Er ging nach der Art eines Holzknechtes, breitspurig und die Arme schlenkernd.

      Mazegger konnte das heitere Lachen der schönen Frau und ihre Stimme hören, als sie in einer fremden Sprache – es war Englisch – dem anderen etwas sagte. Das mußte ein Kompliment gewesen sein, denn der »Jagerische« verbeugte sich geschmeichelt, und um seiner Rolle recht getreu zu werden, versuchte er das Wortkauen eines steirischen Kretins nachzuahmen. Dann fiel er, nach ein paar englischen Floskeln, wieder in den Wiener Fiakerton und lachte: »So ein Gstell? Was? Is ein Gstell! Eisssen! Und echter, man kann nicht! Aber Sie, Baronin? Ausschauen tun S' heint wieder, ich sag Ihnen, Baroninderl, großoatig! Zucker!« Galant umtänzelte Sensburg die schöne Frau und begann mit gustiöser Ausführlichkeit ihre Reize zu preisen. »Und denken, daß diese heazige Schennheit für einen anderen blütt? Das ist schmeazhaft, Baronin, wiaklich schmeazhaft!« Er verdrehte die Augen und seufzte. Um die schöne Frau wieder lachen zu machen, spielte er eine drollige Pantomime als hoffnungslos schmachtender Seladon. Es schien in dieser Posse auch ein Funke Ernst zu glimmen: die ohnmächtige Sehnsucht des verliebten Narren, der begehrt, was unerreichbar ist.

      Sah sie dieses Flämmchen brennen, und hatte sie Ursache, zu wünschen, daß es nicht erlosch? Lächelnd reichte sie ihm die Hand, an der in der Sonne die Ringe blitzten, und ließ sie küssen. Plaudernd und lachend wanderten sie im Hof des Jagdhauses auf und nieder, und so oft sie kehrtmachten, tänzelte Sensburg auf die linke Seite der Baronin.

      Da sah Mazegger durch das Fernrohr, daß die schöne Frau verstummte. Ihre Züge veränderten und spannten sich, ihre Augen wurden größer. Diese Erregung löste sich in ein bezauberndes Lächeln, als sie mit Sensburg zum Hoftor ging. Im gleichen Augenblick hörte Mazegger die Stimme des Fürsten, der mit Sternfeldt an der Hütte vorüberkam.

      Mazegger huschte zum Fenster, kniete auf den Boden nieder und stützte das Fernrohr, damit es in seinen unruhigen Händen nicht zittern konnte. Schwer atmend richtete er das Glas auf das Gesicht der schönen Frau und belauerte jeden Blick ihrer Augen.

      Den Grafen schien sie nicht gern zu sehen; als er sich lächelnd vor ihr verbeugte, nagte sie mit den kleinen blinkenden Zähnen an der Lippe. Ganz verwandelt schien sie, als sie auf den Fürsten zutrat, dem Sensburg schwatzend entgegengegangen war. Wie sie da lächelte, wie alles lebte und sprühte in ihrem Gesicht! Und dieser Blick! Wie eine Bitte, welche schenkt, demütig und sieghaft – ein Blick, der zu sagen schien: »Ich will dich, darum bist du mein!«

      Da verfinsterte sich das Glas, Mazegger sah nichts mehr, und als er aufblickte, stand der Förster vor dem Fenster.

      Kluibenschädl machte verblüffte Augen. »Was treibst du denn da? Unsere Herrenleut ausspionieren? So was laß bleiben, gelt! Und Uhr hast wohl keine? Sechse is's! Schau, daß in Dienst kommst!«

      Wortlos erhob sich Mazegger, schob das Glas zusammen, richtete sich für den Pirschgang und schritt über das Almfeld hinunter. Als er den Wald erreichte, blieb er stehen und blickte nach dem Jagdhaus hinauf. Der Hof war leer, der Fürst und seine Gäste waren ins Haus getreten.

      Mazegger nahm den Hut ab und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Es schien, als wäre er ein anderer geworden. Sein Gesicht brannte, und er atmete wie einer, dem eine Kette von den Gliedern fiel. »Die erlöst mich von ihm! Wenn die ihm ihre Augen hinmacht, muß er vergessen! Alles!« Hastig schritt er hinein in den Schatten des Waldes.

      Der Förster war zu seiner Hütte gegangen und schürte im Herd ein Feuer. Er schien zu denken, daß man ihn heute nicht zur Tafel rufen würde. »Schad um den gsparten Hunger!« Aber als er die Pfanne von der Wand herunternahm, erschien Martin in seiner schwarzen Gala: »Durchlaucht lassen zur Tafel bitten!« Während die beiden hinaufgingen zum Jagdhaus, sagte der Förster: »Sie; Herr Kammerdiener! Ihnen hab ich an ernstlichen Vorhalt z' machen. Einige Andeutigungen des Herrn Grafen Sternfeldt lassen mich vermuten, daß Sie mich, wie man zu sagen pflegt, über den Löffel balbiert haben – mit derselbigen ›Überraschung‹! Ich muß mir so was für die Zukunft entschieden verbitten! Solchene Sachen mag ich net.«

      Martin erwiderte kein Wort. Er warf nur einen scheuen Blick zu den offenen Fenstern des Speisezimmers hinauf, wie in Sorge, daß irgend jemand die geharnischte Erklärung des Försters gehört haben könnte. Es war überhaupt in seinem Wesen etwas Ängstliches, als hätte er die Ahnung, daß ihm heute noch eine Unbehaglichkeit bevorstünde.

      Sie traten ins Haus.

      Von den Stimmen bei der Tafel drang nur ein undeutlicher Hall in den Hof herunter. Am besten unterschied man die Stimme des Edlen von Sensburg, der das große Wort zu führen schien. Häufig hörte man auch ein helles, perlendes Lachen. Die Fiakerspäße des »kleinen süßen Mucki« schienen die schöne Frau in heitere Laune zu versetzen.

      Je ruhiger der schöne Abend um die Mauern des Jagdhauses dämmerte, desto lauter ging es drunten in der Sennhütte zu, in der sich die junge Touristengesellschaft gemütlich eingerichtet hatte. Vergnügtes Schwatzen wechselte mit Gesang, lustiges Kreischen mit lautem Gelächter, und dazu klimperte und klang eine Zither.

      Als es dunkel wurde, kehrte Pepperl von der Pirsche zurück. Lange stand er vor der Tür des Försterhäuschens und lauschte zur Sennhütte hinunter, bis er wütend vor sich hinbrummte: »So a Madl! Daß die doch allweil ihr Gaudi haben muß! Mit ander Leut!« Seufzend trat er in die Hütte, legte sein Jagdzeug ab und setzte sich vor die Tür.

      Wenn in der Sennhütte die jungen Stimmen recht übermütig durcheinanderschrien, drückte Pepperl die Hände über die Ohren.

      Es war finstere Nacht geworden, als Martin mit einer Laterne über den Weg herunterkam, um Herrn von Sensburg zum Fremdenhaus zu führen.

      Ein paar Minuten später erschien der Förster und hörte von der Sennhütte her das Singen und Jodeln. Fast wäre er in der Finsternis über Pepperls Beine gestolpert. »Geh, du Leimsieder! Was hockst denn da in der Nacht? Wo's so lustig zugeht bei der Burgi drunt? Mach weiter, geh a wengerl abi und tu dich unterhalten. Brauchen kannst es, du mit deiner maulhenkolischen Traurigkeit allweil!«

      Pepperl war ein allzu gehorsamer Jäger, als daß er einem so klaren Befehl seines Vorgesetzten hätte widersprechen können. »No ja, wenn S' meinen, es muß sein, in Gotts Namen, geh ich halb abi!«

      »Aber bleib net z'lang! Morgen in der Fruh um fünfe mußt mit'm Herrn von Sensburg zur Gamspirsch auffi!«

      »Mit dem? Da dank ich schön! Vor dem laufen die Gamsböck auf tausend Schritt davon! Wo soll ich denn hin mit ihm? Zum Sebensee?«

      »Na, na! Grad hat's der Herr Fürst gsagt: überall kann er hingehn, bloß net zum Sebensee. Gehst halt hin, wo d' meinst, er verdirbt nix. Und schießen kannst ihn lassen, auf was er mag. Treffen tut er eh nix, der! Aber jetzt geh, Pepperl, und sei vergnügt!«

      »No ja! Meintwegen!« Pepperl seufzte, als wäre für ihn der Weg zur lustigen Sennhütte eine »viel härtere Sach« als die Gamspirsche, die ihm für den kommenden Morgen drohte. Stolpernd verschwand er in der Nacht.

      Der Förster zündete in der Hütte die Lampe an. Da hörte er einen Wagen kommen. Es war ein Einspänner aus Innsbruck, der das Gepäck des Grafen brachte. Kluibenschädl lief zum Jagdhaus hinauf. Am Wohnzimmer des Fürsten mußte er ein paarmal pochen, bis man ihn hörte – so erregt, wenn auch mit gedämpften Stimmen, wurde da drin gesprochen.

      Als der Förster den von einer großen Lampe erleuchteten Raum betrat, saß Graf Sternfeldt in einem Fauteuil, und Ettingen stand