Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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aber dann aufs Kochen vergessen. Mit aufgezogenen Knien saß er neben dem Schürloch auf den Dielen. So »sinnierte« er eine Stunde lang vor sich hin. Da hörte er Peitschenknall und das Rollen eines Wagens. Mißmutig erhob er sich und trat unter die Tür.

      Eine vierspännige Kutsche fuhr an ihm vorüber, und im Wagen saß eine junge Dame – Herrgott, dös muß ebbes Fürnehmes sein! dachte Pepperl, denn sie trug auf dem Hut einen Vogel, wie er seiner Lebtag noch keinen gesehen hatte. Neben der Dame saß ein Herr mit einem Jägerhütl, wie Pepperl auch noch keines gesehen hatte, mit handbreitem, grasgrünem Seidenband und mit einem wahren Ungetüm von Gemsbart. Aber dieser Gemsbart war echt, ohne Zweifel. Darauf verstand sich Pepperl. »Der is seine hundert Gulden wert, ehnder noch mehr!«

      Jetzt kam ein Zweispänner. Drin saß ein Diener in Jägerlivree, deren reiche Verschnürung in Pepperl die Vermutung weckte: »Dös muß der Oberlandesschützenmeister von Tirol sein!« An der Seite diese hohen Würdenträgers saß ein zierliches, bildhübsches Persönchen mit verschmitztem Gesicht und koketten Feueraugen, der Mustertypus einer französischen Kammerjungfer. Beim Anblick des Jägers mit seiner offenen Brust und seinen nackten Knien geriet das kleine Dämchen in einen Aufruhr von Entzücken, kniff ihren Reisegefährten in den Arm und zwitscherte: »Ah, Jean! Voilà un chasseur du prince! Ah! Ah! Un superbe colosse! Ah! N'est-ce pas qu'il est le vrai tyrolien? Un type de la race, et assez joli, pour faire se retourner les femmes dans les rues1!«

      Sie guckte nach allen Seiten, klatschte wie ein Kind in die Hände und blitzte mit ihren Schwarzaugen wieder den Jäger an.

      »Ah! Ah! C'est charmant! C'est drôle, tout ça! Jean! Jean! Nous ferons un tas de bêtise à la campagne2!« Und während der Wagen an der Hütte vorüberfuhr, grüßte sie lachend mit dem Handschuh. »Bon jour, Monsieur! Bon jour!«

      Pepperl riß die Augen auf und wurde rot. Französisch hatte er wohl in der Leutascher Dorfschule nicht gelernt, nicht einmal ordentlich Deutsch. Aber so viel hatte er doch verstanden, um zu merken, was von dieser »Auslandrischen« zu denken war. »Teufi, Teufi, Teufi! Die geht scharf ins Zeug!« Mit dieser Erkenntnis war die Sache für ihn erledigt. Er sah noch den dritten, mit großen Koffern beladenen Wagen vorüberfahren, dann kehrte er seufzend in die Stube zurück, um die Pfanne auf den Herd zu stellen. Dann war's mit seiner Kocherei wieder zu Ende. Die Wagen kamen vom Jagdhaus zurück, die Kutscher fragten nach der Stallung, und Pepperl mußte sie führen, mußte ihnen helfen. Während er wortkarg das Geschwatz der Kutscher anhörte, kam Mazegger über die Lichtung herauf. Vor der Remise blieb er stehen, erregt, und musterte die Wagen.

      Pepperl sah ihn an und fragte: »Toni? Was hast denn? Bist denn krank? Du schaust ja wie a Gspenst!«

      »So?« Mazegger atmete schwer. »Und die Wagen da? Sind die Damen, die ich gesehen hab, zum Fürsten gekommen?«

      »Natürlich, zu wem denn sonst?«

      »Und die schöne Frau, die im Vierspänner war? Wer ist denn die?«

      »Was weiß denn ich?« brummte Pepperl.

      Mazegger stand noch eine Weile und lauschte auf das Gespräch, das die Kutscher im Stall miteinander führten. Sie sprachen von einer »lustigen Französin«, von einem »Kasperl mit Haxen« und von einer »Frau Baronin«, über die der Postillion des Vierspänners das Urteil fällte: »A säuberers Frauenzimmer hab ich meiner Lebtag noch net gsehen. Was die für Augen hat! Kruzitürken! So eine hätte der Teufi schicken müssen, wie er den heiligen Antoni hat versuchen lassen!«

      Mazegger lächelte und spähte gegen das Fürstenhaus hinauf. Als er in seine Hütte trat, warf er die Büchse auf das Bett, verriegelte die Tür und riß mit zitternden Händen das kleine Fenster auf. In der dunklen Stubenecke setzte er sich rittlings auf einen Sessel und legte neben sich das Fernrohr auf den Herd. Durch das offene Fenster konnte er das Fürstenhaus und den ganzen Weg überblicken, der von droben herunterführte zum Fremdenhaus. Er sah den Praxmaler-Pepperl mit einem Kutscher drei rotlederne Koffer ins Fremdenhaus hinuntertragen. Martin erschien mit jenem Herrn, dem der »unsinnige Gamsbart« wie ein Generalsbusch auf dem Spitzhut schwankte. Um die Schultern hatte er einen leichten Staubmantel hängen, offen, so daß man den grün und rehbraun karierten Jagdanzug sehen konnte, dessen Kniehosen sich mit handbreiten Hirschlederborten um die moosgrünen Strümpfe schlossen. In der Hand trug er ein Lederetui, das sich ansah wie eine plattgedrückte Pfanne. Er war von mittelgroßer Gestalt, rund genährt und dennoch von unruhiger Beweglichkeit, mit eigentümlich wiegendem Gang.

      Mazegger richtete das Fernrohr und sah durch das Glas ein nicht mehr junges, aber rosig vergnügt zufriedenes Gesicht mit großen wasserblauen Augen. Das aschblonde Haar war wellig in die Schläfen gekämmt, eine dicke Locke stahl sich an der Stirne unter dem Hutrand hervor, und auf den roten Lippen saß ein kunstvoll dressiertes Schnurrbärtchen, das sich kräuselte wie eine zierliche Arabeske.

      Martin schien die Gegend zu erklären, und bei allem, was er sagte, ließ der Fremde ein wunderliches Lachen hören, hoch und kichernd wie das Hämmern eines Spechtes.

      Nun kamen die beiden über den Weg herunter.

      »Ah ja, die Gegend ist wirklich großoatig! So was von Beag! Was? Und schaugn S' den Wald an, Moatin, so was von Grrrünitätt!« sagte der Fremde zwischen Lachen und Getänzel in einer Sprache, die an den Jargon der Wiener Fiaker anklang und manchmal an den Ton der Börse erinnerte. »Aber Aufenthalt und Verpflegungsqualität? Schlechte Zensur? Was? Ainigermaaasen prrrimitifff, scheint mir? Nuuuhr für Natuuuhr, fescher Walzer mit Variationen in Moll für Geißtaler Jagdhausgebrauch. Nna, die Jagd, hoff ich, rrreißt alles heraus! Prima? Was?«

      »Ja, Herr von Sensburg, die Jagd soll vorzüglich sein. Durchlaucht haben zwar die Pirsche noch wenig frequentiert, aber es ist Durchlaucht doch gelungen, gleich auf dem ersten Pirschgang einen schönen Hirsch –«

      » Guten Hirsch!«

      »– einen guten Hirsch und bei der nächsten Pirsch zwei kapitale Gemsböcke zur Strecke zu bringen.«

      »Aber! Moatin! Sie schröcklicher Keal! Gamsböck haaßt's! Schenieren Sie sich a bißl! Ainigermaaasen mangelhafte Weidmannsbüldung? Was? Hehehehe!«

      »Verzeihen Herr von Sensburg – und bitte, wollen Sie mir nicht das Racket zu tragen geben?«

      »Sssss! Zucker! Nicht anrühren! So was will getragen sein! Hehehehe! Nna alsdann, zwaa Gamsböck? A la bonheur! Da sind ja die Aussichten großoatig! Sie, Moatin, da mach ich gleich muagen die easte Piasch! Aber einen feschen Jager bitt ich mir aus. Bei mir wird schoaf gestiegen! Schoarrfff! Und wann ich am Abend den Gams hambring, bitt ich mir aus, daß a bißl aufgmischt wird in diesem sterilen k. k. Landeswinkel! Hehehehe! Wissen S', was ich haben möcht? So eine zwanglose fête champêtre! Stilvoll mit Erdgeruch! Jager, Holzknecht, Sennerinnen, stramm gwaxenen Diandln, Ziederngspüll und Natuajodler, kuaz, was man sagt: eine Hetz! Aber ächt, das bitt ich mir aus! Kan Salontiroler! Den Wein zahl ich! Crédit en blanc! Wenn's nur eine Hetz wiad! Die Baronin soll sich amusieren! Hehehehe! Und ich hab eine volkstümliche Ader, ich mische mich gean unter die haiteren Öllemente derer, die dort unten wohnen! Aber sagen S', Moatin, ich hab schon immer da beim Herauffahren diese bucklige Gegend beaugenwinkelt – wo wird sich denn da für ein zuvilisiertes Menschenkind ein nur ainigermaaasen brauchbarer Lawn fürs Tennis finden?«

      »Ich glaube, dort unten auf der Lichtung, da ist eine ziemlich ebene Stelle.«

      »Anschauen!«

      Die beiden Stimmen verhallten hinter der Jägerhütte.

      Mazegger legte das Fernrohr auf den Herd. Eine Weile saß er regungslos und starrte zum Jagdhaus hinauf. Dann lehnte er sich müd an die Wand zurück und preßte die Handballen in die Augenhöhlen, wie einer, der seit Nächten keinen Schlaf gefunden und den die Augen schmerzen.

      Eine Stunde verging. Martin, der grün verschnürte Leibjäger und Praxmaler liefen immer hin und her zwischen der Fürstenvilla und dem Fremdenhaus. Droben in der Haustür erschien ein paarmal die kleine Französin, guckte neugierig nach den Jägerhütten oder schwatzte eine Minute mit den beiden Dienern.

      Eben