Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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      »Aber Heinz! Errätst du denn nicht?«

      »Nein! Wer ist da?«

      »Diese Frage begreif ich nicht. Aber du hättest mir kein Wort sagen können, das ich lieber gehört hätte, als dieses ahnungslose ›Wer?‹ – Die Prankha ist da. Draußen im Jagdhaus.«

      Der Fürst erblaßte. so standen sie eine Weile schweigend voreinander. Dann stammelte Ettingen: »Das ist stark!«

      Sternfeldt lachte. »Du weißt doch aus Erfahrung: in Dingen, die stark sind, ist sie groß!«

      »Sie kam allein?«

      »Gott bewahre! Sie muß den Schein wahren. Um so mehr, da sie ›ehrbare‹ Absichten zu haben scheint.«

      »Sie ist mir dir gekommen?«

      »Heinz! Das ist eine Frage, die mich verdrießen könnte!«

      »Sei mir nicht bös! Ich weiß in meiner Empörung nicht mehr, was ich rede.«

      »Empörung? Wirklich? Was dich blaß machte und dir das Blut wieder ins Gesicht treibt? Ist das nur Empörung?«

      »Was sonst? Aber ja, Goni, ich will ehrlich sein, es ist noch etwas anderes!« sagte Ettingen mit bebender Stimme. »Was ich jetzt empfinde, ist wie Schmerz. Dieses Vergangene, dieses Häßliche – vor einer Stunde noch war es so ganz vergesssen, als wäre es nie gewesen. Nun steht es plötzlich da vor mir! Ich hatte das Gefühl wie nach einem Bad, als wär ich reingewaschen an Leib und Seele. Und jetzt? – Mir ekelt! – Aber wenn sie nicht allein kam? Mit wem kam sie denn?«

      »Mit dem kleinen süßen Mucki.«

      »Den soll ich auch noch ertragen?« Ettingen lachte im Zorn. »Die Geschichte fängt an, mich zu erheitern. Aber du? Daß du mit ihnen kamst?«

      » Mit ihnen? Nein! Nach ihnen! Gestern mittag brachte mir der biedere Mann, von dem ich in meiner ahnungsvollen Vorsicht ihre Villa überwachen ließ, die Nachricht: mit dem Frühzug sind sie abgereist, Salonwagen nach Innsbruck. Am Abend saß ich im Kupee, kam heute mittag in Innsbruck an. Drei Stunden früher waren sie vom Hotel Europe abgefahren. Ich erinnerte mich an Shakespeare: Ein Königreich für ein Pferd. Und da bin ich! Und bin neugierig, was du tun wirst? – Nun?«

      »Ich bin ratlos, Goni!«

      »Ich wüßte dir einen Rat. Aber du befolgst ihn nicht.«

      »Ja, Goni! Jeden, den du mir gibst!«

      »Dort steht der Förster. Laß dich von ihm nach Ehrwald führen, jetzt gleich! Drunten nimm dir einen Wagen, fahre nach Garmisch, nach München! Oder bleibe in Ehrwald, bis ich dich wieder rufe. Was du brauchst, schick ich dir noch heute hinunter, durch einen Jäger, nicht durch Martin!« Sternfeldt lachte. »So schmerzlich es für dich sein wird, aber von diesem Ehrenmann wirst du dich trennen müssen. Er ist ihr Helfer gewesen.«

      »Martin?«

      »Ja! Er hat dich neulich auf die Jagd geschickt, und während du fort warst, wurde meine Stube in ein Boudoir für die Prankha verwandelt! Also? Soll ich den Förster rufen? Und willst du noch ein übriges tun, so schreib mir auf eine Visitenkarte: ›Mache mein Haus rein, Goni, und ich werde dir dankbar sein!‹ – Willst du?«

      »Nein!«

      »Siehst du, wie ich dich kenne?«

      »Sie ist unter meinem Dach, sie ist mein Gast. Und ich habe diese Frau geliebt. Eine Roheit an ihr begehen, um sie abzuschütteln? Nein! Das kann ich nicht.«

      »Roheit? Ich danke für das Kompliment. Aber ich bin nicht gekränkt. Ich vermute sogar, daß du schon morgen für meinen Rat empfänglicher sein wirst. Du hast sie geliebt, ja! Und daß du von dieser Liebe geheilt bist, das glaub ich auch. Nur die Blindheit ist dir geblieben. Aber ich, Heinz, ich habe diese Person gehaßt. Um deinetwillen! Und der Haß hat Augen. Ich kenne sie. Besser als du. Ohne Gewaltstreich wirst du mit der nicht fertig. Sei vornehm, wohlerzogen, höflich, und in drei Tagen hat sie dich wieder eingefangen.«

      »Da irrst du dich.«

      »Beweis es mir, und ich leiste Abbitte. Aber nun weißt du, daß die beiden unter deinem Dach sind, und deiner vornehmen Seele muß es als Unhöflichkeit erscheinen, liebe Gäste so lange warten zu lassen. Komm!« Lachend ging Sternfeldt auf Kluibenschädl zu. »Na also, lieber Förster, fertig zum Heimweg! Unsere gute Durchlaucht hat über ernste Dinge nachzudenken. Aber wir beide plaudern? Ja? Was macht die Jagd? Und wo ist der Zwölfender gefallen?«

      »Droben beim Sebensee, Herr Graf! Und wann S' dös Gweih sehen –«

      Sie waren noch nicht weit gegangen, als sie laute Stimmen im Wald vernahmen. Über den Weg, der zur bayerischen Grenze, zur Knorrhütte und zur Zugspitze führte, kam mit Lachen, Schwatzen und Singen eine lustige Touristengesellschaft herunter, vier junge Leute mit dick angepackten Rucksäcken, und zwei hübsche Mädchen, zu deren runden, vergnügten Grübchengesichtern die Maskerade des ländlichen Kostüms nicht übel paßte. Pfundweis trugen sie die Blumen auf Hüten und Bergstöcken.

      Ob das der richtige Weg nach der Tillfuß-Alpe wäre? fragten sie den Förster.

      Nur immer gradaus, und sie könnten nicht fehlen.

      Und ob in der Sennhütte für sechs Leute Platz zum Übernachten wäre?

      »Natürlich! Auf'm Heuboden halt! Da liegen S' gut!«

      Das wirkte auf die heitere Gesellschaft, als hätte man ihr eine köstliche Sache in Aussicht gestellt. Lachend und singend wanderten die jungen Leute davon und begrüßte das Ziel ihres Marschs mit Jauchzen und Jodelrufen, von denen mancher etwas zweifelhaft ausfiel. Das gab Anlaß zu neuer Heiterkeit. Schwatzend musterten sie die Wagen, guckten in den Stall und grüßten einen Kutscher: »Guten Abend, Herr Vetter!« Als sie an Mazeggers Hütte vorüberkamen, blickte eines der Mädchen neugierig durch das offene Fenster in die Stube. Kichernd fuhr die Kleine zurück, winkte ihrer Freundin und flüsterte: »Du, da mußt hineinschauen, da sitzt einer drin, der macht ein Gesicht wie der Hamlet nach dem Monolog: Sein oder Nichtsein!« Als die andere mit lachenden Augen in die Stube spähte, fuhr Mazegger auf: »Was wollen Sie? Machen Sie, daß Sie weiterkommen!« Die Folge war, daß von den jungen Touristen einer nach dem anderen ans Fenster trat und sich höflich verbeugte: »Habe die Ehre!« Und dann ging's mit Gelächter hinunter zur Sennhütte.

      Mazegger hatte im ersten Zorn das Fenster zugeschlagen. Als die lustigen Stimmen verklangen, öffnete er die Scheiben wieder und kehrte zu seinem Lauerposten neben dem Herd zurück.

      Rittlings saß er auf dem Holzstuhl. Seine Augen schienen nichts anderes zu sehen als Tür und Fenster des Fürstenhauses.

      Da schoß ihm das Blut ins Gesicht, und hastig griff er nach dem Fernrohr.

      In der Tür des Jagdhauses war Baronin Prankha erschienen. Während sie über die Stufen herunterstieg in den Hof, stützte sie sich auf die Goldkrücke ihres Spitzenschirmes. Sie trug eine weiße Sportmütze aus schottischer Seide und ein weißes Lodenkleid mit breitem Ledergürtel von schillerndem Kupferglanz. Faltenlos, wie angegossen, umschmiegte der linde Stoff den schönen Frauenkörper, der bei aller Grazie leicht zur Fülle neigte. Der langsame Gang war von weichlicher Geschmeidigkeit; bei jedem Schritt, bei jeder leisen Bewegung der Arme, bei jedem Wenden und Neigen des Kopfes schien der ganze Körper mitbewegt. Und wie dieses Haar in der Sonne schimmerte! Es war nicht blond, nicht rot, es hatte den dunklen Farbenglanz, den sterbende Blätter an einem schönen Herbsttag haben. In seiner kapriziösen Modefrisur, in dem lockeren Gewell, das sich über die Schläfe hinauslegte, umschloß dieses Haar gleich einer leuchtenden Goldhaube ein rundes Gesichtchen, wie von Watteau gemalt, weiß und rot, mit zarten Grübchen und bläulichem Schatten, mit den klar gezeichneten Sicheln der dunklen Brauen und mit heißen Lippen. Diese Farben wirkten wie Natur. Waren sie Kunst, dann verstand sich diese Frau wie eine Meisterin auf das corriger la beauté. Bei der rosigen Frische dieser Farben hatte das Gesichtchen etwas jugendlich Unreifes, fast Kindliches. Dem widersprachen aber die feinen, wie mit der Nadelspitze gezogenen Linien an den Mundwinkeln. Und die Augen! Ihre Farbe war ein