Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Der Rausch von Freude, der ihn erfüllte, als er ihre Hand erfassen konnte, verwandelte sich in neue Sorge. Wie schmal dieser Rasen war! Eine Bewegung im Erwachen, und sie mußte stürzen. Aus Angst und Liebe wuchs ihm die Kraft, daß er das fast Unmögliche versuchte: die Ohnmächtige über die steilen Felsen hinunterzutragen. Den einen Arm um einen Schrofen klammernd, zog er mit dem anderen die Bewußtlose an sich. Sie fiel ihm schwer entgegen. Wie leblos lag ihm ihr Kopf auf der Schulter.

      Da stand schon der Jäger dicht unter ihm und stemmte den Arm an eine Kante der Felsen. »Da können S' drauftreten, Duhrlaucht! Meine Knochen halten aus.«

      So stiegen sie langsam hinunter. Für jeden Schritt des Fürsten suchte der Jäger eine feste Kante am Gestein, stützte ihn mit der Schulter oder hielt ihm bald den Arm, bald wieder die Fäuste oder das Knie als Staffel hin.

      Als sie den sicheren Grund erreichten, taumelte Ettingen und ließ sich niederfallen auf den Sand. Aber er fühlte die eigene Schwäche nicht, nur den Jubel, die Geliebte gerettet zu wissen, sie so zu halten, in seinen Armen, an seiner Brust. »Meine Lo!« Ein anderes Wort fand er nicht, während er wie ein Irrsinniger ihre geschlossenen Augen küßte, ihr Haar und ihre Stirne.

      Der Jäger stand vor den beiden, erschöpft, verlegen lächelnd. Dabei leckte er mit der Zunge von seiner Hand das Blut fort, das ihm über die Finger tropfte. Und dann sprang er zu den Felsblöcken hinunter, um mit dem Hut von dem Wasser zu schöpfen, das zwischen den Steinen rann. Vorsichtig brachte er den vollen Hut getragen. »Da haben S' Wasser, Herr Fürst! Sie müssen 's Fräulein a bißl derfrischen!«

      Als Ettingen aufblickte, sah er das Blut an den Händen des Jägers.

      »Praxmaler! Ihre Hände!«

      »No ja, natürlich, Sie haben halt a bißl scharfe Nägel an die Schuh. Macht nix! Ich hab eh a wengerl z'viel Blut im Leib. So a kleiner Schröpfer is mir gsund. Aber jetzt denken S' net an mich –«

      »Wie soll ich Ihnen diese Stunde danken!«

      »Was? Danken? Dös wär mir 's Richtige: auf die Fünfhundert und auf'n Oberjager auffi! Aber da hab ich 's Wasser! Brauchen S' a Tüchl? Na, um Gotts willen, wie 's Fräuln ausschaut!«

      Erst bei diesem Wort des Jägers bekam Ettingen Augen, um zu sehen. »Ach!« Das war ein Laut, als würde ihm das Herz zerdrückt. Mit zitternden Armen preßte er die Ohnmächtige an sich, schmiegte ihren Kopf an seine Brust und streichelte ihr das Haar und die Wange. Wie müd und erschöpft ihr schönes Antlitz war, wie entstellt von Rußflecken und vom Staub der Asche! »Und ihre lieben Hände!« Sie waren grau vom Steinsand, wund von Rissen, fast alle Nägel gebrochen und mit Blut unterlaufen.

      Wie ein Schwindel überkam es ihn, als er sein Tuch in das Wasser tauchte, das ihm der Jäger hinbot. In scheuer Zärtlichkeit blies er die Asche aus Lolos Haar, wusch ihr den Ruß vom Gesicht und streifte immer wieder das nasse Tuch über Stirn und Augen. Sie erwachte nicht, doch ihr Atem begann sich zu beleben. Er wusch ihr die Hände, küßte jede Wunde. Und während der Jäger fortlief, um frisches Wasser zu holen, nahm er sie wieder in seine Arme.

      Ein stockender Atemzug erschütterte ihre Brust. Sie schlug die Lider auf.

      »Lo!«

      Sie sah das Gesicht, das sich in Glück und Sorge über das ihre beugte, fühlte schauernd den Druck seiner Arme, die sie umschlungen hielten, und trank den Blick der Liebe, der auf ihr ruhte. Dann lächelte sie müd und schloß die Augen wieder, als wüßte sie: das ist ein Traum, der verschwinden muß, wenn ich wach und mit offenen Augen sehe!

      »Lo! Kennst du mich nicht? So sieh mich doch an!«

      Sie öffnete die Lider.

      »Lo! Meine liebe, gute, kleine Lo!«

      Da hörte sie es wieder: das Wort ihres Vaters! Mit dem gleichen Ton der Liebe! Nur süßer, zärtlicher noch, durchweht von einer Glut, die hinüberschlug in ihr Herz und ihr das Blut in die bleichen Wangen trieb. Als sähe sie ein Wunder, dessen Wahrheit sie fühlte und an das sie doch nicht glauben konnte, so hob sie zögernd die Arme und faßte scheu mit beiden Händen die Wangen des geliebten Mannes. Ein Zittern rann durch ihren Körper. »Du!« Und nun schlang sie die Arme um seinen Hals, stark und heiß, und hing an seinen Lippen, als tränke sie neues Leben aus seinem Kuß. Dann schloß sie mit leisem Lächeln die Augen und sank an seine Schulter hin, als wollte sie schlummern.

      Er streichelte ihr Haar. »Du Starke, du Mutige, du! Was hast du überkämpft in diesen grauenvollen Stunden! Was mußt du erlebt haben in dieser entsetzlichen Nacht!«

      Ohne die Augen zu öffnen, flüsterte sie: »Ich weiß es nimmer – ich weiß nur, was jetzt ist – und das ist schön!«

      »Und ich schlief in dieser Nacht und träumte von meinem Glück, während du –« Er konnte nicht weitersprechen. Der Gedanke an alle Gefahr, die in dieser Nacht auf jedem Schritt mit ihr gegangen, machte ihn zittern bis ins Herz. »Ich habe nur dieses Letzte gesehen. Und nicht einmal helfen hab ich dir können! Das sehen zu müssen, so hilflos! Jeder Blick war wie ein Tod für mich. Am Morgen, als ich mein Haus verließ, um dich zu suchen, da wußte ich, daß ich dich liebe. Aber erst in diesen Stunden der Angst und Verzweiflung hab ich's empfunden, wieviel du mir bist, und daß ich nicht leben könnte ohne dich!«

      Sie lauschte seinen Worten wie der Dürstende dem Quell, den er rauschen hört.

      Daß sie so stumm war, das weckte seine Sorge wieder. »Lo? Wie fühlst du dich? Ist dir wohl?«

      Sie lächelte und atmete tief.

      »Warum siehst du mich nicht an?«

      Da schlug sie die leuchtenden Augen zu ihm auf.

      »Sag es mir, Lo! Bist du mir gut?«

      »Ach, du!« Sie hob die Arme.

      »Ich weiß es. Aber ich möcht es hören mit deinen Worten. Sag es mir, Lo!«

      »Du!« Ein anderes Wort fand sie nicht; doch sie schmiegte sich an seine Brust, daß er das Beben ihres Körpers und ihren Herzschlag fühlte.

      So hielten sie sich schweigend umschlungen, bis ein Schritt sie weckte.

      Der Jäger brachte frisches Wasser.

      Ettingen richtete die Geliebte in seinen Armen auf. »Willst du nicht trinken, Lo?«

      »Ja, Heinz, mich dürstet. Gib du mir einen Trunk!«

      Er schöpfte das Wasser, und das schlürfte sie ihm aus der hohlen Hand.

      »Wie das erquickt! Ich danke dir, Heinz!«

      Lächelnd strich er das feuchte Haar von ihrer Stirn zurück. Dann nahm er den Hut des Jägers, tat einen gierigen Trunk und hob sich auf die Knie. »Komm, Lo! Ich muß dich heimbringen, damit du ruhen kannst. Und sieh nur, deine armen Hände! Wir müssen heim.«

      »Heim!« Sie nickte ernst, und ein Schatten dämpfte den Glanz ihrer Augen. »Die Mutter! Kann es meine Mutter schon wissen?«

      »Daß der Wald brennt? Nein, Lo!« Wohl mußte er fürchten, daß die Nachricht schon hinausgeflogen wäre bis ins Dorf; doch er wollte ihr diese Sorge von der Seele nehmen. »Sie kann es unmöglich wissen, sie wird es hören mit der Nachricht, daß dein Mut dich rettete.«

      Lo atmete auf.

      »Fühlst du dich stark genug, um gehen zu können?«

      »Sage mir: Geh! Und ich kann es.«

      »So komm!«

      Zweiundzwanzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Sie begannen den Heimweg und wanderten langsam durch das von Rauch überschleierte Kar hinunter. Ettingen hielt die Hand der Geliebten in der seinen und schmiegte stützend den Arm um ihre Hüfte. Immer suchte er den besten Weg für sie. Lag ein Stein im Pfad, so schob er ihn mit dem Fuß beiseite. Sie