Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


Скачать книгу

ersticken, welche die Angst seines Herzens ihm vor Augen stellte. Noch atemlos, begann er den Weg ins Kar.

      »Ich bitt Ihnen«, bettelte der Jäger, »tun S' doch a bißl rasten!«

      Ettingen schüttelte den Kopf.

      Sie stiegen eine Stunde. Je näher sie im Kar der letzten Grießzunge kamen, von deren Ende der Steig über brüchige Wände hinaufkletterte zum Paß, desto ungeduldiger wurden die Schritte des Fürsten, obwohl ihm Atem und Kräfte schon fast zu Ende gingen. Auch der Jäger war so erschöpft, daß er die letzte Kraft seiner Glieder geben mußte, um sich an der Seite seines Herrn zu halten.

      Einer steilen Felswand nahe, ging der Weg zwischen mächtigen Felsblöcken, die ein Bergsturz über das Grießfeld geworfen hatte. Wohl war der Nebel gestiegen und hatte sich schon über Tal und Berg zu einer regungslosen Decke gesammelt, aber das ganze Kar lag verschleiert vom dünnen Geriesel der Asche, die aus den Lüften fiel, und vom Rauch, der drüben aus dem brennenden Seetal aufstieg und im Kar sich wieder niedersenkte über die Wände.

      Nur einen Weg von wenigen Minuten hatten sie noch bis zu der Stelle, wo der Paßweg beginnen mußte, und Ettingen suchte ihn schon mit brennenden Blicken. Da rollten Steine aus der Wand herunter, an der sie vorüberschritten. Im gleichen Augenblick riß der Jäger seinen Herrn hinter einen Feldblock und stammelte: »Mar und Joseph! Nur um Gotts willen kein' Laut nimmer! Da schauen S' auffi!«

      Hoch über dem Grießfeld, in der steilen Felswand, die pfadlos schien, bewegte sich unter dem Schleier des Rauches langsam eine Gestalt.

      »Lo!« glitt es mit ersticktem Klang über Ettingens Lippen. Sein erstes Gefühl war ein Sturm von Freude. Sie nur wiederzusehen! Lebend! Doch dieser Rausch der Freude ging ihm unter in einem Grauen, das ihn fast um die Sinne brachte. Jeder Schritt an dieser Wand war ein Schritt in den Tod. Ettingen streckte die Arme. Nur helfen, helfen, dieses stürzende Leben schützen! Kein anderer Gedanke war in ihm. Er wollte schreien: Ich komme, Lo! –doch seine Stimme war nur ein Lallen. Und da preßte ihm der Jäger die Hand auf den Mund und riß ihn zurück und flüsterte: »A Laut, Herr Fürst, und Sie bringen dös Fräuln um! Da gibt's kein Helfen, wir stehen da mit leere Händ, ohne Seil und Eisen, ohne alles! Sie muß allein da runter. Da hilft ihr keiner, bloß die eigne Kraft. Und schauen S' auffi, wie's jeden Schritt probiert in aller Ruh! Sie derzwingt's! Passen S' auf, sie derzwingt's! Aber a Laut von Ihnen – a Merk von ihr, daß wer da herunten steht, und Sie grad, Sie, Herr Fürst –, und sie hat ihr Ruh verloren und –« Der Jäger sprach das Wort nicht aus, das ihm schon auf den Zunge lag. »In Rauch und Nebel hat s' den Steig verfehlt und hat sich in der Wand verstiegen. Jesus, Jesus, was muß dös Fräuln für an Weg gmacht haben in der Nacht!«

      Nun standen sie regungslos hinter dem Felsblock und spähten durch den ziehenden Rauch in die Wand hinauf. Sie sprachen kein Wort mehr, aber es hämmerte unter ihren Rippen, daß einer den Herzschlag des anderen hören konnte. Mit beiden Händen klammerte Ettingen sich an den Fels und biß die Zähne übereinander, um auch den Ton seines Atems noch zu ersticken. Immer wieder schloß er die Augen, als ginge die Marter dieses Anblicks über seine Kräfte, und immer wieder spähte er hinauf mit einem Blick, in dem seine Seele war, seine Angst und sein Hoffen. Fielen Steine aus der Wand, dann zuckte er zusammen, als träfe ihn jeder Steinschlag ins Leben. Sie schwirrten und sausten, diese stürzenden Steine, und wenn sie das Grießfeld erreichte, machten sie weite Sprünge. Der Staub, den sie aufwirbelten, dampfte an der Felswand empor und mischte sich mit den Schleiern des braunen Qualmes. Der umhüllte bald die Verirrte in der Wand, bald gab er sie wieder frei. Mit ausgebreiteten Armen, die Brust an die Felsen schmiegend, suchte sie Tritt um Tritt.

      Manchmal blickte sie über die Schulter in den Abgrund, wie um den Weg zu messen, den sie noch finden mußte. Tiefer und tiefer kam sie, und eine glattgeschwemmte Wasserfurche überspringend – Ettingen zitterte, als sie sprang –, erreichte sie ein Steinband, das ihr sicheren Grund für die Tritte gab. Sie ging, bis das Band zu Ende war. Dann rastete sie, lange, lange, um ihre Kraft für dieses letzte und schwerste Stück des Weges zu sammeln. Schräg nach abwärts hatte sie eine Felsplatte zu überqueren, die nur von wenigen Rissen durchzogen war und so kahl erschien, daß der Blick, der aus der Tiefe hinaufspähte, kaum einen Vorsprung fand, auf dem ein Fuß hätte ruhen können.

      »Unmöglich! Das ist unmöglich!« hauchte Ettingen. Sein Gesicht war weiß.

      »Nur Ruh, Herr Fürst, nur Ruh ums Himmels willen!« flüsterte der Jäger. »Von droben schaut's besser aus als wie von unt auf! Und sie derzwingt's, und alles is gut!«

      War dieses Schwere überwunden, dann war's gewonnen. Unter der Felsplatte winkte ein Rasenfleck, auf dem sie sicher stehen konnte. Wohl war dann das letzte Stück des Weges bis auf den Sand hinunter noch immer gefährlich, aber die Felsen boten hier feste Kanten für den Fuß und Schrunden für die greifenden Hände.

      Noch immer rastete Lo. Während sie die Arme um einen Felszacken geschlungen hielt, prüfte sie vorgebeugten Kopfes schon den Weg, den sie nehmen mußte. Nun wollte sie beginnen. Man sah, wie ihre Gestalt sich streckte und ihr Arm sich zögernd von dem stützenden Schrofen löste.

      Praxmaler umklammerte die Hand seines Herrn, als hätte er Sorge, daß die Seelenangst, die ihm aus Blick und Zügen redete, in diesen entscheidenden Minuten durch einen Ruf, durch eine unvorsichtige Bewegung sich verraten könnte. Doch Ettingen stand regungslos und stumm, wie zu Stein verwandelt. Auch sein Atem schien erloschen. Nur seine Augen lebten noch und griffen hinauf mit ihrem Blick, wie die Angst mit Armen und Händen greift.

      Dicht angeschmiegt an den Fels, machte Lo mit ruhiger Vorsicht den ersten Schritt in die Platte, einen zweiten und dritten. Während sie mit der einen Hand immer angeklammert hing an einer Schrunde, fühlte sie mit der anderen gleitend am Gestein hin, um einen neuen Halt zu finden. Zwei Schritte noch. Dann hielt sie rastend inne, mit ausgebreiteten Armen, wie an den Fels gekreuzigt. Wieder begann ihr Fuß zu tasten, ihre Hand zu suchen, denn sehen konnte sie nicht, da sie mit Körper und Wange sich an die steile Mauer pressen mußte, um das Gleichgewicht zu halten. So erkämpfte sie Schritt um Schritt, immer rastend und wieder klimmend.

      Oft tastete sie mit Hand und Fuß eine lange Weile am Felsen hin, bis sie einen Tritt und einen Griff zu finden vermochte. Schon hatte sie die Hälfte der Platte überquert, und immer näher kam sie dem Rasenfleck, der sich mit festem Sockel aus der Wand herausbaute. Doch immer kürzer wurden ihre Schritte, immer langsamer und müder suchte ihr Fuß, und immer länger währte ihre Rast, als gingen ihre Kräfte zu Ende.

      »Sie zittert!« hauchte Ettingen und krampfte die Hände um die Kante des Felsblockes.

      Beängstigend lange hing Lo in der Felswand an eine aus der Tiefe kaum erkennbare Rinne geklammert. Dann machte sie ein paar hastige Schritte, und nun war sie nur noch durch einen schmalen Felspfeiler von dem Rasen getrennt.

      »Nur Ruh, Herr Fürst! Sie gwinnt!« stammelte der Jäger. Die Hoffnung, die er seinem Herrn einredete, schien ihm selbst zu fehlen. Er betete flüsternd: »Lieber Herrgott, hilf ihr die paar Schritteln, nur die paar Schritteln noch!«

      Unruhig tastete Lo mit dem Fuß. Immer schwerer schien ihr Körper an den Armen zu hängen. Nun fand ihr Fuß den gesuchten Tritt. Als sie sich vorschob und ausgriff mit der Hand, wich der Stein, auf den sie getreten war – ein leiser Schrei – und während sie schon taumelte, wagte sie den rettenden Sprung –

      Mit stöhnendem Laut stürzte Ettingen der Felswand zu. Da klang hinter ihm ein Jubelschrei des Jägers.

      Sausend flog der gelöste Stein aus der Wand herunter, doch Lo hatte im Sprung den Rasen gewonnen. Sie sank in die Knie und wollte sich an den Fels lehnen. Hatte sie den Schrei dort unten gehört und den Menschen erkannt, der mit erhobenen Armen über das Schuttfeld emporstürmte? Oder löste sich, da sie an die Rettung glauben durfte, die gewaltsame Spannung ihrer erschöpften Kräfte zu einem Anfall jäher Schwäche?

      Ihr Kopf glitt am Felsen hin. Lautlos sank sie auf den Rasen nieder und regte sich nimmer.

      »Sie ist ohnmächtig! Hinauf!« schrie Ettingen wie von Sinnen. »Praxmaler! Hinauf! Hinauf!«

      Ehe der Jäger den Fuß der Wand erreichen konnte, war