Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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feigen Frieden. Weil die Schwachen den Starken jagen wollen, soll er die Waffe seiner Kraft aus der Hand legen, soll lieben lernen, was er haßt, ehren, was er verachtet, meiden, was er begehrt. Wie mir ekelt vor ihnen!« Er schüttelte die jungen Arme. »Kampf! Wie schön bist du! Wie lieb ich dich!«

      In dunkler Ferne dröhnte der Schrei des Hirsches, daß es widerhallte im finsteren Wald.

      »Du und ich! Auf morgen!« Treibenden Schrittes stieg der Jäger über den Hang empor. Nach kurzer Wanderung kam er zu einer Almhütte, die schwarz im Dunkel lag. Die Tür stand offen, und man spürte noch den Dunst der Herde, welche die Alm vor wenigen Tagen verlassen hatte. Zögernd trat der Jäger in den finsteren Raum. Bei dem bläulichen Schein des Schwefelfadens, den er mit Feuerstein und Zunder in Brand versetzte, gewahrte er einen Haufen dürrer Äste. Als aus der Asche des Herdraumes die Flammen aufzüngelten, blickte er umher. Kahle, rußgeschwärzte Balken, ein zerklüftetes Dach und in der Ecke eine Stangenpritsche, mit zerlegenem Reisig bedeckt. Dieses Lager schien den Müden nicht zu locken. Oder fühlte er keine Müdigkeit? Er legte die Armbrust und den Bolzenköcher ab, warf ein paar klotzige Äste in die Flammen und trat ins Freie. Neben der Tür ließ er sich auf einen Holzblock nieder. So saß er, die Arme um das Knie geschlungen, und blickte sinnend in die Nacht hinaus.

      »Einsame Stille! Wie bist du schön! Und wie süß das wäre, solch ein Schweigen ewig zu genießen, im Tod seiner Ruhe bewußt! Ob der Tod die Ruhe bringt? Sie sagen: nein!« Der Jäger lächelte vor sich hin. »Himmelsfreude dem Guten, Höllenqual dem Bösen? Wie klein und menschlich wäre Gott, wenn er lohnen und strafen würde gleich einer Kindermagd. Dem guten Kind den Honigkuchen, dem schlimmen die Rute. Wie sie erbärmlich von ihm denken!« Wieder lächelte er. »Und wer ist gut? Der denen dort unten wohlgefällt und zu ihrem Nutzen handelt? Wer böse? Der seine eigenen Wege geht und seine Kraft gebraucht, um sich der anderen zu erwehren? Sieht Gott nicht heller als diese Blinden in ihrem Eigennutz? Und wenn er auch die Starken haßt, weshalb erschuf er sie?«

      Fern und verschwommen klang ein Jauchzer durch die Nacht, und in der Tiefe, wo zwischen den Buchenwäldern die Niederalmen lagen, glomm ein winziger Lichtschein auf. Die Almendirn, die den Gruß ihres Liebsten vernommen hatte, mußte die Tür der Hütte geöffnet haben, damit das Herdfeuer dem Kommenden leuchten und ihm sagen möchte: »Sieh, wie ich brenne für dich!« Hell und weich, wie eine schwingende Saite, klang der freudige Jodelruf der Sennerin, ihr Bub gab jauchzende Antwort, und die beiden Stimmen umschlangen sich in der schweigsamen Nacht und flossen ineinander zu einem einzigen Laut. Sie verstummten. Und der Lichtschein dort unten erlosch.

      »Zwei Herzen, die sich suchen mußten und die sich fanden, damit aus ihrem Glück eine neue Not des Lebens wachse!«

      Lange blickte der Einsame zur Tiefe nieder, wo der Lichtschein aufgeglommen und erloschen war. »Wieder eines von den tausend Rätseln, die ich nicht fasse und nicht löse! Daß es den Mann zum Weibe zieht, das Weib zum Manne? Sie sagen, das wäre das Tier im Menschen. Ob es nicht das einzig Göttliche in ihm ist, dieses jauchzende Sorgen für die Ewigkeit des Lebens? Wenn aber Gott das in die Menschen legte, weshalb soll es mir ein Fremdes bleiben? Weil ich geschieden bin von den anderen? Gelöst von allem Lachen des Lebens? Weil sie mir sagen: Wider die Natur zu leben, ist wohlgefällig vor Gottes Augen? Das Wort ist Torheit oder Lästerung. Kann ein Menschenwort die Zwecke Gottes hindern und die Natur verkehren? Wenn aber Gott das in die Menschen legte als einen Trieb, den das Lächeln eines Weibes weckt, wie in der Blume ein Sonnenstrahl den Willen zu blühen? Weshalb erwacht es nicht in mir? Mein Herz ist stumm und ohne Sehnsucht. Mich sehnt nach Ruhe.«

      Tief atmend erhob er sich und wollte in die Hütte treten, vor der Schwelle blieb er stehen.

      »Ob wohl auch meine Mutter sang, als sie jenen liebte, den ich nie gekannt? Ich habe sie nur schweigsam und weinend gesehen. Nein! Mir hat sie gesungen.«

      Überwältigte ihn die Erinnerung an jene Zeit, da ihn das Lied der Mutter in Schlummer wiegte? Oder erwachte jäh in ihm die Sehnsucht der Einsamkeit? Er streckte die Arme in die Nacht hinaus: »Mutter! Mutter! Steh auf und komm und streichle mich! Mich dürstet nach deiner linden Hand. Sieh, Mutter, ich kenne nur Fäuste, die mich schlagen.« Mit den Händen das Gesicht bedeckend, lehnte er sich an den Türpfosten. »Und wenn sie mich quälen bis aufs Blut, nur alles Schöne, an das ich noch glaube, Stück um Stück aus der Seele reißen? Das nennen sie Himmelsdienst und Liebe Gottes.« Er ließ die Arme fallen. »Mutter, wo bist du? Nirgends? Oder dort, wo sie sagen, daß die Guten sind? Über den Sternen? Sterne? Ein Wort, so leer, wie alle Worte sind! Leer? Nein! Sterne! Dieses Wort hat Glanz, weil das Rätsel leuchtet, das wir nennen mit ihm.«

      Da fiel’s in der Nacht wie ein sprühender Funke vom Himmel herunter, einen langen Feuerstreif hinter sich herziehend, und erlosch in der Finsternis wie ein Stück glühender Kohle, das zerschlagen wird.

      Der Einsame lachte vor sich hin. »Wenn auch die Sterne fallen? Was ist noch ewig in der Welt? Was hat noch Kraft, die alles überdauert? Nur die Asche, zu der alles Leben zerfällt? Und aus der das Leben wieder aufersteht, wie im Frühling die Blume aus dem Kot?«

      Er stand eine Zeitlang regungslos. Dann schauerte ihn, als wäre ihm die Kälte der Nacht bis ans Herz gedrungen. Er kehrte in die Hütte zurück, schürte die Flamme und ließ sich am Feuer nieder. In der Wärme, die den züngelnden Flammen entströmte, schien eine matte Wohligkeit durch seine Glieder zu fließen.

      So saß er, still, bis ihm die Lider fielen.

      In der Herdgrube sank das Feuer, und dann glosteten die Kohlen mit dunkler Glut.

      Als die Nacht schon auf den Morgen zuging, tönte durch die Bergwaldstille fern aus dem Tal herauf ein sanft verschwommener Hall, das Geläut einer Kirchenglocke. Leise klang es über alle Ferne her, kaum noch zu hören. Dennoch erwachte der Schläfer, wie einer, der gewohnt ist, um diese Stunde die Augen aufzutun. Verwundert sah er in der Hütte umher, die vom rötlichen Glutschein matt erleuchtet war. Dann lachte er vor sich hin und warf ein paar dürre Äste über die glühenden Kohlen. Mit Geprassel belebte sich das Feuer, und brütend starrte der Einsame in die züngelnden Flammen.

      Aus diesem Sinnen weckte ihn der dröhnende Kampfschrei eines Hirsches. Mit hastigem Griff die Armbrust und den Köcher fassend, erhob er sich und trat ins Freie.

      Wie Asche war das erste Zwielicht des Morgens über das Almfeld ausgestreut. Dort, wo die Sonne kommen sollte, waren die Sterne im fahlen Blau schon erloschen, gegen Westen flimmerten sie noch über den Bergen, deren gezahnte Grate mit grauen Linien das Dunkel durchschnitten. Scharf zog der Morgenwind von den Felsen nieder, die dürren Stauden raschelten, zu Füßen der Almgehänge rauschten die schwarzen Wälder, und das Murmeln der Bäche war wie ein müdes Lied.

      Lautlos stieg der Jäger über das Almfeld empor und erklomm einen hohen Fels, der sich, von Krüppelföhren umwuchert, einsam aus dem kahlen Weideland emporhob. Auf der Zinne des Steines ließ er sich nieder, von Büschen gedeckt, spannte die Armbrust und legte den gefiederten Bolz in die Rinne.

      Die schußbereite Waffe fest auf den Knien haltend, lauschte er hinaus in das Zwielicht. Er konnte hören, wie äsendes Wild sich näherte und vernahm den Lockton eines Muttertieres. Der Morgen dämmerte noch so grau, daß der Jäger kaum einen unbestimmten Schatten zu unterscheiden vermochte. Nur wenn von den Tieren eines den Grat des Almenhangs überstieg, war es mit schwarzem Umriß deutlich in den fahlen Himmel gezeichnet.

      Da röhrte mit zornigem Schrei ein Hirsch, drei andere gaben Antwort zu gleicher Zeit. Dann wieder Stille. Jetzt ein Rennen und Flüchten im Grau, ein Schnauben und Keuchen, das sich entfernte und wieder näher kam. Ein junges Tier begann zu klagen. Den ängstlichen Laut übertönte der mächtig hallende Schrei des Hirsches. Welche Kraft und Leidenschaft in diesem wilden Liebesliede der Natur! Es widerhallte an den Felsen und im Wald, und von allen Seiten klang die Antwort, als wäre eine riesige Orgel in den Bergen aufgestellt.

      Schon hatten die Augen des Jägers sich an das Zwielicht gewöhnt. Rings auf allen Gehängen des Weidelandes konnte er die huschenden Gestalten unterscheiden. Dieses Schattenbild der Leidenschaft, die zu ihm redete mit dröhnenden Stimmen, erregte ihn so heiß, daß ihm das Herz wie ein Hammer schlug. »Nicht Menschen um mich her! Nur Tiere! Wie mir wohl ist!«

      Die