Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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hast du wunderliche Zeichen in deine Matte geflochten. Was bedeuten sie?«

      Nun lachte sie heiter, als hätte sie einen Scherz gehört.

      »Aber, Jäger! Das sind doch Blumen!«

      »Blumen? Das?«

      »Freilich! Die mußt du doch kennen als Bergjäger! Die roten, das sind Albrosen, und die blauen, das sind Enzianglocken. Der Vater und alle Hausleut sagen mir allweil, daß meine Blumen ausschauen, als ob sie blühen täten, grad so wie die richtigen Blumen. Aber weißt du, Jäger – geh, sag, wie heißt du denn? Ich kann doch nit allweil Jäger sagen. Tu mir deinen Namen nennen, ich sag dir den meinigen auch.« »Ich heiße Irimbert.«

      Nachdenklich wiederholte das Mädchen den Namen »Irimbert?«

      »Deinen Namen weiß ich schon. Du bist Jutta, die Tochter im Gotteslehen.«

      »Hat dir Mutter Hanna oder der gute Hilpot von mir gesagt?«

      »Nein. Als ich kam, da hörte ich, wie ein Bauer mit dir schwatzte. Der nannte dich Juttla.«

      »Der Steinhauser, ja. Der ist unser Inrainer. Ein guter und treuer Mann. Sell drüben, schau, das Häusel ist sein. Der Steinhauser, ja, der ruft mich Juttla. Aber der Vater sagt Juttula. So hat mich auch die selig Mutter gerufen. Und die Helgard heißt mich Luttei. Und der traurige Jacho – mein Nam ist das einzige Wörtl, das er weiß und sagen kann –, der ruft mich Uttu.« Das Mädchen lachte. »Ein jeds, das mich lieb hat, macht ein anders Wörtl aus meinem Namen. Und die Albleut sagen Hauskind zu mir. Aber Jutta hat mich noch keiner geheißen. Du bist der erst. Freilich, du hast mich noch nie gesehen, und ich hab dir noch nie was helfen können. Die einem gut sind, machen die langen Namen kurz und die kurzen lang.« Wieder lachte sie, und dieses heitere Lachen wandelte den verträumten Ernst des schmalen Gesichtes in holden Liebreiz. »Wärst du mein Bruder und tätest Irimbert heißen, ich müßt dich Irmi rufen.«

      »So hat meine Mutter mich genannt.«

      Lauschend hob Jutta das Gesicht und wandte ihre stillen Augen dem Jäger zu. »Jetzt auf einmal hast du eine andere Stimm. Jetzt hat deine Seel geredet.« Langsam fragte sie. »Hast du auch die Mutter schon verlieren müssen?«

      »Ja.«

      »Gelt, das tut weh! Nimmer haben und halsen dürfen, was einem lieb ist? Das ist das einzig Harte am Leben. Alles andere ist gut.«

      Der Jäger schwieg.

      Da streifte das Mädchen mit beiden Händen über den Tisch hin und fand eine Hand des stillen Gastes. »Wie lieb mußt du deine Mutter gehabt haben! Ich hab’s aus deiner Stimme gehört. Und spür’s, weil du jetzt kein Wörtl hast. Ich mein, ich seh, wie deine Augen trauern. Aber gelt, du hast doch Heimleut, Vater und Geschwister, die dir das Harte tragen helfen?«

      »Nein. Den Vater hab ich nie gekannt. Mein Bruder hat mich gehaßt und hat mir die Mutter getötet. Nein, Kind, erschrick nicht! Es war kein Töten mit der Waffe in der Hand, es war ein Ermorden mit Worten, die aus steinernem Herzen kamen.«

      »Kann’s das geben?« stammelte Jutta, als hätte sich jäh vor ihrem Blick eine grauenvolle Tiefe des Lebens aufgetan.

      »Einen Sohn, der seiner Mutter weh tut, kann’s das geben?«

      Irimbert schien nicht zu hören, was sie sagte. Unter den Händen des Mädchens ballte sich seine Faust. So saß er und schwieg, ohne zu fühlen, wie sanft seine Hand gestreichelt wurde. Dann blickte er auf, versunkenes Feuer in den Augen. »Die Mutter verlieren? Das war das einzig Harte am Leben? Und alles andere wäre gut? Das ist das Wort eines Kindes, dem das Leben fremd ist. Ich sage dir: Einer Mutter Liebe ist am Leben das einzig Gute. Alles andere ist Häßlichkeit und Ekel, unwert des Erlebens. Das hab ich erkannt, seit ich im Leben einsam stehe. Meine Mutter hat mich geliebt, an ihrem Herzen hat das meine gehangen. Seit sie die schönen Augen schloß, hat mich niemand mehr geliebt, und keinem Menschen mehr bin ich gut gewesen.«

      Eine Weile war Stille. Nur die welken Blätter raschelten, die aus dem Gezweig der Ulme niederfielen.

      »Keinen Menschen wissen, der dich lieb hat? Und keinen haben, dem du gut bist?« sagte Jutta mit halb erloschener Stimme. »Dann tust du mich erbarmen, Irmi.« Ihre stillen, großen Augen schwammen in feuchtem Schimmer.

      Da nahm der Jäger die Hände des Mädchens, und der Ernst seiner Züge löste sich zu mildem Blick. »Ich bin dein Bruder nicht. Warum nennst du mich Irmi?«

      »Ich hab so sagen müssen.«

      Er lächelte. »Ich glaube, daß ich dir von Herzen gut sein könnte. Denn du bist gut.«

      Es ging über ihre Züge wie ein rosiger Hauch.

      »Und vieles an dir erinnert mich an meine Mutter. So wie du konnte sie manchmal lächeln, versöhnlich und geduldig. Ihre Hände waren so ruhig wie die deinen, so lind und warm. Wenn sie dachte, ich weiß nicht an was, dann hatte sie den gleichen stillen Blick wie du, mit so großen Augen, in denen der Schleier einer Sorge oder eines überwundenen Leides war.«

      »Ist deine Mutter auch blind gewesen?«

      »Blind?« Erschrocken hatte sich Irimbert erhoben, so jäh, daß Zenta zu murren begann. »Juttula? Du? Und blind!« In ratloser Erschütterung sah er das Mädchen an. Eine Frühlingsblume! An der man seine reine Freude hatte! Und da kam ein Tier und trat auf die Blume. Sie hat ihre Farben noch, ihren lieblichen Kelch, ihren Duft. Dennoch muß sie welken in langer Nacht, die keinem Morgen weicht. Soll nimmer blühen, nicht atmen und lieben wie andere Blumen. »Blind!« Es schien, als könnte er dem finsteren Worte nicht glauben. »Du? Und blind?«

      »Hast du das nit gleich gemerkt?«

      »Nein, nein!«

      Jutta lächelte. »Du tust, als ob das ein Jammer wär! An deiner Stimm kann ich hören, wie du erschrocken bist.« Sie tastete in die Luft, als möchte sie die Hand des Jägers suchen.

      »Schau mich an! Ich tu doch lachen und hab keine Klag.«

      »Blind? Und keine Klage? Die Menschen nicht sehen können, die dich lieben? Nicht den Himmel, die Berge, den Wald?«

      »Aber ich seh doch alles! Ich hab als Kind meine guten Augen gehabt. Erst wie ich ins sechste Jahr gegangen bin, hab ich das Licht verloren. Und wie ich in meiner Lichtzeit alles gesehen hab, die Leut und den Himmel, die Berg und den Wald, so seh ich heut noch alles. Was ich seh, ist alles schön. Das hat keinen Wechsel und bleibt sich allweil gleich.«

      Mit ihrem stillen Lächeln nickte die Blinde vor sich hin. »Ich mein, daß ich besser dran bin als die anderen Leut. Die hör ich oft reden von bösen Sachen. Als Kind in meiner Lichtzeit hab ich so was nie gesehen. Wie soll ich wissen, wie das ausschaut? Und die mir’s sagen möchten, versteh ich nie. Was die Leut den Tod heißen, das kenn ich nit. Ich weiß bloß, wenn eins gestorben ist, kann’s nimmer reden zu mir und kann mir die Hand nimmer geben. Aber sehen tu ich die Mutter allweil noch. Gelt, Mutter?« Lächelnd sprach die Blinde diese zärtliche Frage in den grauen Nebel. »Den Vater seh ich auch. Wie er geht und lacht, wie er schaut und die Arm auseinander tut, das seh ich alles. Der ist von allen Menschen der best. Grad so wie du, so stark und hoch ist der Vater. Braune Augen hat er. Die lachen allweil. Und ein brauner Bart ist um sein liebes Gesicht herum. Sein Haar, das hangt ihm glanzig herunter bis auf die Schulter. Jetzt lebt er schon an die fünfzig Jahr, und allweil schaut er noch aus wie ein Junger.«

      Bewegt und gefesselt von jedem Wort dieses stillen Geplauders, saß Irimbert vor der Blinden. »Du siehst deinen Vater mit dem Herzen, Kind! Das sieht besser als die besten Augen.«

      »Gelt ja!«

      »Siehst du auch die anderen Menschen so gut?«

      »Freilich! Aber nit so fest wie den Vater und die Mutter. Als Kind hab ich ein Wasser gesehen. Da hab ich lang hineingeschaut, wie’s gelaufen ist, und das ist allweil anders worden und ist doch das gleiche Wasser gewesen. So geht’s mir oft, wenn ich andere Leute seh.«

      »Siehst du auch Menschen, die alt sind?«

      »Freilich! Der Hilpot