Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Bloß weinen und juchzen kann er noch. Und unser Fürsenn ist auch ein Alter. Aber die vier Sennbuben, die der Vater hat, sind junge Leut. Und unsere Magd, die Helgard. Die ist mit dem Leinen drunten auf der Bleich. Und die Ruglind. Das ist unsere Alberin. Und der Steinhauser und sein Weib, die sind auch noch jung. Und der Reinold. Das ist dem alten Hilpot sein letzter Bub. Den mußt du doch kennen als Jäger?«

      »Den Reinold kenn ich. Den siehst du auch?«

      »Der und ich, wir sind in meiner Lichtzeit Spielgesellen gewesen. Vier Jahr ist er älter als ich.«

      »Sag mir, wie du ihn siehst!«

      »Ich seh einen lustigen Buben mit einem runden, roten Gesicht. Sein Haar ist ein dicker Buschen um das ganze Köpfl herum. Jetzt ist er schon lang nimmer dagewesen. Früher ist er oft bei mir gesessen und hat geplauscht mit mir und mit der Helgard. Aber ein lützel unverständig ist er. Wenn ich ihm oft gesagt hab, was ich seh und wie schön das ist, dann hat er allweil gelacht. Allweil hat er was anderes gesehen. Und wenn mir nit der Vater nachher gesagt hätt: ›Kindl, du hast recht!‹ – ich weiß nit, was ich hätt denken müssen! Da ist mir oft alles durcheinandergelaufen, wie selbigsmal in meiner Lichtzeit das Wasser. Und ich hab mir müssen vom Vater alles wieder sagen lassen, daß ich alles wieder fest gesehen hab. Das kannst du mir glauben, Irmi: Alles, was um mich herum ist, seh ich so gut wie du!« Sie schien sein Schweigen für einen Zweifel zu nehmen. »Willst du eine Prob haben?« fragte sie, während leichte Röte ihre Wangen überhauchte.

      »Sage mir, was du siehst!«

      Er nahm die Hand, die nach ihm tastete, und hielt sie mit beiden Händen umschlossen.

      Die Blinde atmete lächelnd, schob die Matte auf den Tisch und lehnte sich zurück.

      Der Nebel, der sich im matten Winde kaum merklich bewegte, umhüllte die beiden jungen Menschen gleich dem Gewölb einer grauen Mauer. Die trüben Schleier waren so dicht gewoben, daß man von Wald und Sonne keinen Schimmer mehr erkannte und auch das Haus nur stehen sah wie einen Schatten.

      »Ich seh den Himmel. Der ist blau. Wie ein großmächtiges blaues Dach ist er hingebaut über alles, was zur Welt gehört. Ich seh die Berg herunterwachsen gegen uns. Aus den Felsbergen kommen die Alben heraus. Die seh ich rot von lauter Blumen. Wie um ein Gesicht das dunkle Haar, so hangt um die Alben der Wald herum. Ich seh viel tausend Bäum, und über die kleinen wachsen die großen hinaus wie ein Vater über sein Kindl. Oft seh ich ihn völlig schwarz, den Wald. Das ist, wenn’s nachten will. Wo aber der Sonnschein drüber liegt, ist jedes Bäuml wie ein Feuer, das hinaufbrennen möcht zum lieben Himmel. Schau nur, wie schön das ist!«

      Juttas Wangen hatten sich warm gerötet. »Wie eine Mutter ihr Kindl herzet, so streichelt der Wind den Wald. Jedes Bäuml rührt sein Köpfl und redet. Wenn die Bäum so reden zum Wind, das tut, wie wenn der Wald ein großes Wasser war, das man rauschen hört. Wenn der Wald aber schweigt, so hörst du die Vögel singen, die im Wald ihre Nester haben. Das ist süß und schön. Wenn ich’s hör, so werd ich allweil ein lützel traurig und spür in meiner Seel, was ich keinem Menschen sagen kann. Und allweil möcht ich was haben, was ich nit seh und was keinen Namen hat. Spürst du das auch so, wenn im Wald die Vögel singen?«

      »Ja, Mädchen! Und nicht nur du und ich. Das fühlen die Menschen alle. Die Vögel singen vom Glück, und wenn die Menschen das hören, ist Sehnsucht in ihren Herzen.«

      »Glück? Das ist ein Wörtl. Das hab ich die Leut oft sagen hören. Aber keiner hat’s noch von ihm selber gesagt. Ein jeder sagt’s bloß allweil vom andern. Was Glück ist, seh ich nit recht.«

      »Das Glück ist ein schönes junges Weib. Das leuchtet, als wäre sein Leib aus Sonne geschaffen. Und Augen hat es, schön wie die Sterne und tief wie ein Brunnen. Wo es wandelt, blühen die Blumen auf seinem Weg. Und lächelt das Glück einen Menschen an, dann fühlt er nimmer Kummer und Weh, und sein Herz ist voll von Freude.«

      Lauschend hatte Jutta sich an die Schulter des Jägers geschmiegt. »Hast du das Glück schon gesehen?«

      »Nein! Ich glaube, daß es keinen Menschen gibt, der es sah.«

      »Wie können dann die Menschen wissen von ihm? Der erste, der vom Glück erzählt hat, muß es doch gesehen haben.«

      »Wer dieser erste war, das weiß ich. Der hat es gesehen.«

      Irimbert lächelte. Und während er das in Erregung glühende Gesicht der Blinden betrachtete, schien er kaum zu wissen, was er sprach: »Wie der Mächtige, den die Menschen den Schöpfer heißen, alles Bestehende erschaffen hat, da ist die Welt entstanden, und noch ein anderes, die Unwelt, von der wir wissen, daß sie sein muß, irgendwo, hinter den letzten Bergen und über dem blauen Himmel. Und mit der Welt und der Unwelt sind zwei Geschwister entstanden, ein Bruder und eine Schwester. Diese Schwester wohnt in der Unwelt, die wir nicht kennen. Hier auf der Welt, mit uns Menschen zusammen, wohnt der Bruder. Das ist der Schmerz. Wenn er mit seinen Fäusten unsere Herzen drückt, erzählt er den Leidenden von seiner Schwester, von dem schönen Glück in der Unwelt.«

      Jutta bewegte die Schultern, als wäre ihr ein wehes Frösteln durch die Seele gegangen. Dann richtete sie sich auf, und wie in Angst die Hände des Jägers drückend, sagte sie: »Nein, du! Das alles muß anders sein. Ich seh viel Schönes und Liebes in der Welt. Das kann nur gewachsen sein, wo das Glück gegangen ist. Schau nur den Wald an! Sieht er nit aus, wie wenn er hangengeblieben war an der Welt, ein Stückl vom grünen Mantel, den das Glück getragen hat, wie’s vorbeigegangen ist an meines Vaters Haus. Und wo der Wald ein End hat, seh ich die Wiesen kommen mit tausend Blumen. Wo ich die meisten Blumen seh, da hausen die guten Menschen, rund um uns herum. Da hat ein jeder sein Haus, der Nachbar das größte, und der am weitesten hauset, der hat das kleinste. Bei jedem Haus, da seh ich ein Feld, auf dem das gelbe Traid wachst, und seh den Wiesgarten, in dem die Birnbaum stehen. Das ganze Menschental, um das die Berg herum sind, ist wie ein großer Kreis, und da laufen die Wasser um und um. Wo ich hinhorch, hör ich ein Bächl rauschen und seh, wie das Wasser lacht in der Sonn. Und zu mittelst drin in der schönen Welt, da liegt unser Gotteslehen und unser Haus. Schau, wie’s dasteht, groß und fest! Um unser Haus rum seh ich den ganzen Hof. Und zu mittelst im Hof, da steht unser Ulmenbaum. Da sitzen wir zwei. Wie das blaue Himmelsdach über der schönen Welt, so seh ich den großen Baum wie ein grünes Dach, über dir und mir!« Die Blinde atmete tief und wandte das Gesicht dem Jäger zu. »Siehst du was anderes, Irmi?«

      »Nein, Jutta!« Zärtlich, wie ein Bruder zu seiner Schwester, legte Irimbert seine Hand auf den Scheitel des Mädchens. »Ich sage, wie dein Vater sagt: Du hast recht gesehen. Die Welt ist so, wie deine hellen Augen sie schauen.« Er streichelte der Blinden das Haar.

      Da sagte sie leis: »Mein Vater hat eine linde Hand. Aber linder noch ist die deinig. Ich spür, Irmi, daß du mir gut bist.«

      »Das bin ich, Juttula!«

      Sie lächelte. »Schau, so ist’s nimmer wahr, daß du keinen Menschen hast, den du leiden magst, und keinen, der dir gut ist. Auch mein Vater wird’s gern haben, wenn du diemal zusprechen magst im Gotteslehen.« Während sie den Jäger mit regungslosen Augen zu betrachten schien, grub sich eine Furche zwischen ihre Brauen.

      »Was denkst du, Mädchen?«

      »Wieviel ich gab drum, wenn ich dich sehen könnt! Darf ich dich ein lützel anschauen?«

      Er begriff diese Frage nicht. Doch als sie mit scheuem Zögern die Hände gegen sein Gesicht erhob, verstand er und neigte sich zu ihr. »Schau mich an!«

      Mit sanftem Fühlen glitten ihre zarten, rührsamen Fingerchen über sein Gesicht und über die Schultern auf seine Arme. Dann schwellte ein leiser Seufzer ihre Brust. »Ich seh dich nit! Nur dein Schießzeug und das Bolzentäschl an deinem Gurt. Arg jung noch mußt du sein. Ich hab kein Fläuml auf deiner Wang gespürt. Aber dein Gesicht, das seh ich nit. Bloß deine Augen. Ich seh zwei Augen, die gut und traurig schauen. Die seh ich, weil du so traurig reden tust.«

      Da fuhr die weiße Hündin auf und rannte bellend gegen das Hoftor. Irimbert erhob sich. Er schien wie aus einem Traum zu erwachen, berührt von einem unwillkommenen Gedanken an die Wirklichkeit.

      Die