Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Bäumen trat ein junger Bursch hervor, stämmig und gesund, ohne viel Gedanken im harmlosen Blick der blauen Augen, doch mit der Farbe lachender Jugend auf den Wangen, um die sich das Blondhaar ringelte. Er trug das bunte Falknerkleid, das über die Brust herunter in die Farbe geteilt war, zur Hälfte rot und zur Hälfte grün. Der spielende Wind rollte ihm das gezaddelte Tuch der langen Schlitzärmel um die Hüften und machte die Strähnen seines Haares wehen. Auf der linken Faust, die in grobem Handschuh steckte, trug er einen isländischen Weißfalken, dem der Kopf mit der Falkenhaube bedeckt und die Schwingen mit der hirschledernen Kreuzfessel gebunden waren, so daß er keine Feder bewegen konnte. Als Hilpot den Falken sah, wußte er gleich, weshalb der Bub aus dem Tal heraufgestiegen war. »Tu dich nimmer sorgen, Mutter«, sagte er, »ich denk, der Falk hat eine Wann Schwungfeder gebrochen, die ich spulen muß.«

      Mutter Hanna atmete auf, während Hilpot seinem Buben entgegenging, den der Hund mit freudigem Gebell umsprang. »Gottes Gruß, Reinold!« sagte der Alte und bot seinem Buben die Hand. »Tust du dich auch wieder einmal anschauen lassen bei uns daheim?«

      Reinold konnte den Gruß nicht erwidern, denn der Falke, den das Gebell des Hundes unruhig machte, zerrte mit den gebundenen Schwingen an der Fessel. Scheltend jagte Reinold den Hund zurück, nahm die Schwanenfeder vom Käppl und strich sie dem Falken ein paarmal schmeichelnd über den Rücken; das schien dem Vogel wohlzutun; er wurde ruhig. Verschnaufend nickte Reinold dem Vater zu. »Da schau, was ich bring! Mit dem hat mich der Herr heraufgeschickt, weil keiner das Spulen so gut versteht wie du.«

      »Hat er eine Wann gebrochen?« Hilpot nahm seinem Buben den Falken von der Faust.

      »Wenn’s nur eine wär! Zwei Wannen sind wurzab, und die dritte hat einen Letz gekriegt. Wie der Herr den Falken so gefunden hat, ist ihm das Weinen nah gewesen.« Reinold wischte mit dem Ärmel über die Stirn. Der rasche und steile Aufstieg hatte ihm warm gemacht. »Ich sag dir’s, Vater, wenn du die Wann nimmer spulen kannst, so kriegen wir Trauerzeit im Kloster und sehen bei unserem Herren kein Lachen nimmer, wer weiß wie lang!« Reinold zog die beiden Daumen ein und spuckte über die Schulter, um das gefürchtete Unheil zu beschwören. Dann ging er auf die Mutter zu. »Grüß dich! Hast du allweil gute Zeiten?«

      »Wie’s der Tag bringt und nimmt.« Hanna legte die Spindel in den Schoß und faßte Reinolds Hand. Matte Röte stieg ihr in die verhärmten Wangen, als sie ihren Buben, den letzten von sieben, so vor sich stehen sah in lachender Jugend, strotzend von Gesundheit. »Und du? Wie geht’s dir?« »Allweil gut! Bei einem Herren, der die Falken lieb hat, haben die Falkner sieben Feiertag in jeder Woch. Und Wein und Met und Mahlzeiten, daß man auseinand geht wie Hefenteig in der Wärm.« Er schlug sich lachend mit den Fäusten auf die Rippen und wandte sich an den Vater, der den Falken zur Hausbank trug. »Was sagst du?«

      »Ein Falk, wie ich meiner Lebtag keinen zweiten gesehen hab, so schön und stark und stolz! Ich kann’s deinem Herrn nachspüren, daß ihm der Vogel wie sein Leben gilt. Schau her, Mutter«, auf der Faust hielt der Alte seinem Weib den Falken hin, »hätten wir den Haufen Gold, den der da gekostet hat, wir wären reiche Leut. Hundert Heimwesen wie das unsrige könntest du kaufen dafür, und es tat dir noch allweil ein Herrengut übrigbleiben.« Hilpot ließ sich auf die Hausbank nieder, nahm den Falken auf den Schoß, löste ihm die Kreuzfessel und begann die gebrochenen Schwungfedern zu untersuchen. Um den Falken bei Ruhe zu erhalten, streichelte ihm Reinold mit der Schwanenfeder den Rücken und plauderte dazu. Den Falken, erzählte er, hätte Herr Friedrich, der Propst zu Berchtesgaden, auf billige Weis erworben. »Wie unser Kloster in alter Kaisertreu nach dem Fall des Welfenfürsten Otto dem jungen Herren im Deutschen Reich die Huldigung schickte, hat der neue Kaiser unsere Stiftsherren gefragt: ›Wie heißt euer Propst?‹ Und wie sie ihm gesagt haben: ›Friedrich, wie du!‹, da hat der junge Kaiser gemeint: ›Wer Friedrich heißt, dem müssen die Falken lieb sein, so wie mir!‹ Und gut getroffen hat er’s.« Reinold lachte. »Die Stiftsherren haben ihm sagen können, daß es für unseren Fürsten liebere Kurzweil nimmer gab als Beiz und Federspiel. Und da hat der Kaiser, um dem Kloster alle Treu zu lohnen, unserem Propst den schönsten Eisländer aus seinem Falkenhof geschickt.«

      »Den hat der Kaiser schon auf der Hand getragen?« fragte Mutter Hanna. »Der Kaiser?«

      Seltsam hörte das Wort sich an auf diesen, welken Lippen, und hier in der Öde des Waldes, in diesem verlorenen Winkel der Berge. Weit draußen in der Ferne ging das wirre Leben einer stürmischen Zeit seinen eisernen Schritt, und nur selten brandete eine schon halb verrauschte Welle seines Lärmes in die verborgenen, von himmelhohen Felsen umschützten Täler. Ein Wort aber hat zu allen Zeiten seinen Weg auch zur entlegensten Hütte gefunden, wenn deutsche Herzen unter ihrem Dache schlugen.

      »Der Kaiser!«

      »Ja, Mutter!«

      »Der mit dem roten Bart?«

      »Aber Mutter! Der Rotbart ist doch lang schon tot.«

      »Tot?« Sinnend schwieg Mutter Hanna.

      Da sagte Hilpot: »Droben der Gotteslechner meint, das wär eine Lug. Der Kaiser Rotbart tät noch allweil leben. Daß er gestorben wär und im Judenland versunken in einem reißenden Wasser, das täten nur die anderen sagen, die Schiechen, die den Unfried machen in der Welt. Die sollten nur achthaben, meint der Gotteslechner. Eh die schiechen Unfrieder sich umschauen, war der alte Kaiser wieder im Land und tät die guten Zeiten wieder aufrichten und jedem geben, was sein Recht ist.«

      »Geh, Vater, das ist unsinniges Gered. So was müssen doch wir im Kloster wissen. Seit der alte Rotbart tot ist, haben wir schon den dritten Kaiser im Land. Aber ich weiß schon, wie die Leut reden. Droben der Gotteslechner sagt: ›Der Rotbart.‹ Und drunten im Tal die bäurischen Dickschädel, die das rechte Frommsein noch allweil nit lernen wollen, die sagen: ›Der König Wute im Untersberg.‹ Jeder möcht, daß einer käm und tät ihm helfen wider den Klosterzins. Und der Gotteslechner?« Mit einem Seufzer spähte Reinold gegen den höheren Wald empor. »Wenn der auf einen Helfer denkt, ich mein, der wird seine guten Gründ haben.« Hilpot, der auf das Geplauder seines Buben nur halb geachtet hatte, erhob sich und setzte den Falken auf Reinolds Arm. »Ich spul ihm die Wannen wieder und mach ihn wieder heil zum hohen Flug, daß unser Herr seine Freud dran haben soll.« Er trat in die Hütte.

      Freudenröte schlug über Reinolds Wangen; er wußte, daß ihm klingender Dank bevorstand, wenn er den verletzten Falken wieder flugfähig hinunterbrachte ins Kloster.

      Da fragte Mutter Hanna in Unruh: »Was hast du sagen wollen vom Gotteslechner?«

      Reinold zögerte mit der Antwort, »Ich fürcht, der Gotteslechner ist Freibauer gewesen die längste Zeit. Morgen kommen sie und büßen ihn um den Albenzins, als ob er ein höriger Bauer wär.«

      »Der wird sich wehren.«

      »Wie lang? Er sollt ein Einsehen haben.« Mit scheuem Ernst, als ginge ihm das Schicksal nahe, das dem Gotteslechner bevorstand, blickte Reinold wieder zur Höhe hinauf, um deren Wipfel das Gold des Abends in leuchtenden Wogen brandete. »Mutter? Wenn ich hinaufspringen tät und gäb ihm heimlich eine gute Rede, daß er sich fürsehen möcht?«

      Erschrocken umklammerte sie Reinolds Arm. »Bub! Bist du gescheit? Willst du reden gegen deine Herrenleut? Tu deiner alten Mutter die Lieb und laß deine Händ von aller fremden Sorg! Schau lieber, daß dir selber kein widriges Steinl auf deinen jungen Weg fallt.« Sie erhob sich, und leise Worte murmelnd, bekreuzte sie ihm die Stirn und den Mund.

      »Der Gotteslechner möcht wohl den Schnabel halten, wenn ich ihn warnen tät. Ich steh in linder Gunst bei meinem Herrn. Was könnt denn Übles kommen über mich?«

      »Was über den lieben Tag kommt, wenn die Sonn versinkt. Und was ich fürchten muß bei Licht und Finsternis, wenn ich denk, daß ich sechs verloren hab und du der letzte bist.«

      »Geh doch, Mutter!« Ein Schauer rann über Reinolds Schultern. Dann reckte er lächelnd die jungen Glieder, hob den Falken hoch und schüttelte das Blondhaar. »Was tust du dich allweil sorgen? Ich leb doch und lach.«

      Kalter Schatten fiel über Gehöft und Hütte; die Sonne war über die Wälder niedergetaucht, und nur um die Höhe, auf der das Gotteslehen stand, und um