Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Wasser und Berge.«

      »Ein Wasser kann verlaufen, ein Berg kann fallen.«

      »Das wird an dem Tag geschehen, der mich erlöst vom Leben. Wir müssen scheiden, Greimold!«

      Der Bauer wollte die Hand des Jägers nicht lassen. »Mir ist bang um dich. Not über Not seh ich kommen. Und meine Angst hat doppelten Weg: Der eine geht heim und der ander zu dir. Herr du mein, wie hart ist das Leben!«

      »Es muß so sein, wie es ist. Mir scheint, der Klügste von uns allen ist der traurige Jacho.«

      Der Bauer atmete tief. »Du hörst wohl diemal im Kloster was von der Welt sell draußen? Das mit dem König Wute, der tief im Untersberg hauset und einmal kommen soll, seinen Goldschild an den Birnbaum hängen und Frieden machen auf der Welt? Das ist heidnisches Märenzeug, an das ich nit glauben mag. Aber sag mir, ob das wahr ist, daß der Kaiser Rotbart nimmer lebt und daß er im Judenland versunken ist in einem reißenden Wasser.« »Das ist Wahrheit.«

      »So kann’s auch der nimmer sein, der kommen und helfen soll?«

      »Auch der nicht!«

      »Bub!« Die Stimme des Bauern war wie ein Schrei der Sehnsucht. »Es muß doch einer kommen, der alle Not verjagt und im Leben steht wie ein Turm mit mächtigen Glocken, die hinaustönen ins weite Land: Bei mir ist Recht, bei mir ist Frieden! So einer muß doch wieder kommen!«

      »Das ist die Sehnsucht aller Zeiten und Menschen. Nie erfüllt sie sich.«

      »Die gute Zeit ist doch gewesen einmal!«

      »Hättest du gelebt in ihr, sie wäre dir schlecht erschienen.«

      »Warum lebt man dann?«

      »Das weiß ich nicht.« Der Jäger gewahrte am Wegsaum eine halb verdorrte Blume. Er brach sie und reichte sie dem Bauer hin. »Bring deinem Kind meinen Gruß und diese Blume. Sie ist welk und hat keinen Duft mehr. Das Herz deines Kindes wird sie blühen sehen.«

      Greimold hielt den dürren Stengel in seiner zitternden Hand. »Irmi?«

      Wortlos wandte sich Irimbert und schritt dem Hag des Jägerhauses entgegen.

      Die Sonne, die über dem Wald gelegen, war erloschen, und der Himmel begann sich zu trüben. Langgezogene Dunstwolken stiegen über die Berge herauf.

      In der Hofreut des Jägerhauses saßen Mutter Hanna und Reinold auf der Steinbank. Die Alte spann, und der junge Falkner aß von einem kalten Stück Wildbret, das er in der Hand hielt und mit dem Messer in Scheiben schnitt. Kauend murrte er vor sich hin: »Allweil ist die Angst in dir, mit der du mich plagst. Ging’s nach dir, so dürft ich nit reden und dürft nit schweigen, sollt das eine nit tun und nit das ander. Was hab ich denn da vom Leben?«

      »Laß dir raten von deiner Mutter! Die hat sechs verloren und banget um ihren letzten. Sei gescheit und verhehl’s im Kloster, daß du droben gewesen bist. Und schwatz nit solches Zeug! Er kennt doch die Leut sell droben nit. Wird halt im Zufall zum Gotteslehen gekommen sein und gerastet haben.«

      »Zufall? So? Hättest du nur gehört, wie er geredet hat mit ihr! Als ob er selber blind war, oder –« Der Falkner sprang erschrocken auf.

      Irimbert hatte den Hof betreten.

      Auch Mutter Hanna erhob sich. »Guten Tag, Herr! Mein Mann hat dich gesucht. Hat er dich nit gefunden?«

      »Er fand mich.«

      »So wird wohl alles gut sein. Dein Zeug, Herr, hab ich in der Stub zurechtgelegt.«

      »Ich danke dir, Hanna!« Irimbert trat ins Haus. Stimmen ließen sich im Wald vernehmen. Der alte Hilpot, mit vier Männern, brachte auf einer Schleifbahre, die aus Fichtenästen geschränkt war, die beiden Hirsche zum Jägerhaus.

      Mutter Hanna ging ihm entgegen. »Grad ist er gekommen. Schick die Mannsleut fort! Sie müssen nit wissen, wer im Haus ist.«

      Hilpot wies den Hund zur Ruhe, der mit Gebell die Hirsche umkreiste. Dann sagte er zu den Männern: »Vergelts Gott, Leut! Wenn Feierabend ist, dann kommet zu einem festen Trunk und zur Hirschleber.«

      Als die Männer gegangen waren, blickte Hilpot in Sorge nach der Haustür. »Ich hab ihn doch schon gefunden am frühen Morgen. Wo ist er denn gewesen die ganze Zeit?« Er zog einen Hirsch von der Bahre und begann ihn zu zerwirken. »Komm, Bub, hilf mir!«

      »Daß ein Falkner mit Haarwild zu tun hat, ist gegen die Regel.«

      »So?« brummte der Alte. »Zu meiner Zeit hat ein Jäger allweil getan, was sein hat müssen.«

      »Ich hab mein gutes Zeug an. Das tät ich schweißig machen.«

      »Drum! Die Regel ist Nebensach.« »Geh, Reini«, fiel Mutter Hanna ein, um eine gereizte Antwort des Sohnes zu verhüten, »hinter dem Haus hab ich den Lein in die Sonn gelegt. Tu ihn zu einem Bund zusammen.« Reinold ging. Und Hanna sagte zu ihrem Mann: »Allweil mußt du hacheln mit ihm.«

      »Und du mußt ihn päppeln! Verderben schon die da drunten genug an ihm!« Hilpot verstummte.

      Auf der Schwelle des Jägerhauses stand Irimbert im weißen Ordenskleid der Chorherren von Berchtesgaden. Die Pelzverbrämung an der aufgezogenen Krempe des Baretts und am Saum des kurzen Mantelkragens, der die Schultern deckte, verriet, daß der Träger dieses geistlichen Gewandes aus adeligem Hause stammte. Einer Ecke des Kragens war das Wappen seines Geschlechtes eingestickt, ein blauer Helm mit goldenem Bienenkorb als Ziemier, das Wappen der fränkischen Grafen von Immhof.«

      »Gottes Gruß, lieber Herr!« sagte Hilpot. »Ich kann dir die Hand nit bieten.« Seine Arme waren bis an die Ellbogen rot vom Schweiß des Hirsches. Er trat auf Irimbert zu und fragte leis: »Warum, Herr, bist du nit lang schon daheim? Hast du dich bergen müssen? Vor denen, die dich gesucht haben?«

      »Nein.«

      »Wo bist du gewesen?«

      »Bei Menschen, die mir liebgeworden. Ich lernte dort unten im Wald den Greimold kennen und hoffe, daß ich ihm nützen kann. Wenn er fragen sollte nach mir, so will ich für ihn nur sein, was ich heute war: Irmi der Jäger. Sage das auch der Mutter Hanna und deinem Reinold!« Irimbert wandte sich zum Heimweg.

      »Gottes Gruß, Herr!« nickte Mutter Hanna.

      Da blieb er lächelnd stehen. »Sieh nur, Hanna, wie ein Tag den Menschen wandelt! Gestern war der Wunsch in mir, daß ich liegen möchte, wo ein Baum gefallen.«

      »Und heut?«

      Es sprühte in seinen Augen. »Heut ist der Wunsch in mir, daß ich selber wäre wie ein starker Baum, der mit Brausen stürzen kann, um alles Unkraut zu zerschlagen, das auf der Erde wuchert.«

      Die Spinnerin sagte ruhig: »Was tät’s dir helfen? Schlag hundert giftige Kräuter nieder, und tausend wachsen.«

      »Aber hundert wären ausgerottet. Das gäbe Raum für Blumen.« Raschen Ganges verließ er die Hofreut.

      Mit kurzen Windungen führte ein von Regenbächen ausgespülter Saumpfad über das steile Waldgehänge hinunter. Das farbige Laub, das in der Morgensonne wie Feuer geleuchtet hatte, schien im trüben Licht des verschleierten Himmels wie mit Staub überhaucht; keine Vogelstimme im Wald; sogar die Bäche schienen verstummt, als wäre bleischwere Luft, die jedes Geräusch verschlang, auf die Erde gesunken. Nun fiel ein kalter Windstoß über die Wipfel und wirbelte das welke Laub davon. Wieder Stille.

      Irimbert, in Gedanken versunken, schien nichts anderes zu sehen als den Weg, dem er folgte. Plötzlich verhielt er den Schritt, gefesselt vom Anblick eines erbarmungswürdigen und dennoch lächerlichen Menschenbildes. Neben dem Saumpfad, an den Stamm einer Buche gelehnt und bis an die Hüften eingewühlt in das welke Laub, ruhte ein Greis, nur halb noch ein lebender Körper, halb schon Gerippe. Das weiße Haar fiel in dünnen Strähnen lang herab, mit Reisigstücken und Moos behangen. Der Bart war zu ungleichen Stoppeln geschnitten, die wie ein weißer Filz das Gesicht überwucherten und nur die Augen noch übrigließen, eine graue, runzelige Nase und eine niedere Furchenstirn. Sein Gewand war nur ein hängender