Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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dich ruhig, Linhart!« befahl Wernherus in verweisendem Ton.

      Herr Friedrich lachte. »Regt sich schon wieder die Strenge in dir, du Milder? Hart gegen deinen besten Freund? Mild nur gegen jene, die du vernichten möchtest? Das ist verkehrt. Laß deine Milde auch walten über dem Borstenhaupt dieses Rüpels! Der Wein hat ihm die Augen verschleiert, daß er den Kapitelsaal für die Kellerstube hält.« Die Rede des Propstes wurde mit Gelächter und Murren aufgenommen. Der junge Scharsach schwieg und blickte fragend zu Wernherus auf, während er in Ungeduld mit beiden Fäusten auf den Knien trommelte.

      »Zur Sache, Dekan! Verliere die Zeit, die dir kostbar schien, nicht mit leeren Worten! Klage! Mehr, als diese Stunde dir bringt, erwartest du nicht, und wenn du auch die Geduld einer Spinne hättest!«

      Stille war im Saal. In das Rauschen und Pfeifen des Sturmes mischte sich ein dumpfes Geräusch. Das klang, als käme es aus der Tiefe der Mauern. Waren es Stimmen? Lauschend hatte Wernherus das Gesicht erhoben. Ein spottendes Lächeln lag wie versteinert um seinen Mund: »Ich will Eure Mahnung bedenken, mein edler Fürst! Und erweise Euch den Dienst eines raschen Wortes. Ich klage wider einen Mann, für den mein Erbarmen reden möchte. Gottes Zorn hat schwer auf ihm gelastet. Weil er den Willen des Himmels nicht erkennen wollte, ist Blindheit auf die Augen seines Kindes gefallen, Wahnsinn in die Seele seines Weibes. Hätte der Mann in Demut seinen Nacken gebeugt, wir hätten ihn freundlich aufgerichtet und Gottes Vergebung für ihn erfleht. Er verharrt in Trotz und stiftet Aufruhr wider die Diener Gottes. Das macht mein Erbarmen schweigen. So klag ich gegen Greimold, den Bauer im Gotteslehen.« Diese letzten Worte gingen unter in wirrem Stimmenlärm, der sich auf der Treppe hören ließ, die hinunter zum Kreuzgang führte.

      »Dietmar!« rief der Propst. »Sperr die Tür dort hinten und stoße den Riegel vor! Da kommt Gesellschaft, die unserem milden Dekan die sanften Wege stören könnte.«

      Herr Dietmar hatte sich erhoben und das den Saal durchschneidende Geländer aufgetan. Da sprang ihm der junge Scharsach in den Weg. »Bleib sitzen, Alter!« Lachend eilte er zum Ende des Saales und riß das eiserne Türlein auf, das die Wendeltreppe verschloß. Hinter Medardus, dem Zinsmeister, drängten die dienenden Brüder in den Saal. Die Chorherren sprangen auf; die einen schwatzten heiter, andere schalten über die Ungebühr der Brüder, und diese Stimmen machten einen Tumult, daß man den Lärm des Sturmes nicht mehr hörte.

      Herr Friedrich war aufgesprungen, in Zorn die Fäuste ballend. Dann lachte er, ließ sich wieder auf den Sessel nieder, und als sich der Lärm ein wenig dämpfte, rief er: »Was suchen meine frommen Lämmer hier im Saal?«

      Zwanzig Stimmen gaben Antwort. Eine überschrie die andere, so daß kein Wort zu verstehen war. Da trat Wernherus in die Mitte des Saales und hob die Arme. »Haltet Ruh, ihr guten Brüder! Ich spreche für euch.« Wie sein Gesicht, so hatte sich auch seine Stimme verwandelt. Mit hartem Klang erfüllte sie den Raum. »Die Ihr höhnend Eure frommen Lämmer nennt, Herr Friedrich, kommen zu rechter Stunde. Unter ihnen ist einer, dessen Zeugnis das Kapitel hören soll, wenn ich klage wider den Bauer im Gotteslehen.«

      »Das Recht dieser Klage bestreite ich Euch, Dekan Wernherus.«

      Alle Augen richteten sich auf Irimbert, der diese Worte gerufen hatte.

      »Darf der noch reden?« schrie der Eschelberger. »Stopfet ihm das Maul!«

      »Rat und Gericht will nüchterne Männer. Du bist betrunken!«

      Immhof kehrte dem Schreier den Rücken und wandte sich an den Propst. »Solche Klage in diesem Saal ist wider das Recht des Kaisers. Der Mann im Gotteslehen ist dem Kloster nicht hörig. Als freier Bauer steht er unter dem Gericht des Reiches. Nur der kaiserliche Viztum kann richten über ihn.«

      Der junge Scharsach sprang auf Immhof zu. »Ein freier Bauer? Wer?«

      »Schweig, Linhart!« fiel Wernherus ein. »Rat und Gericht will nüchterne Männer. Da hast du wahr gesprochen, Immhof! Gericht und Rat will aber auch Männer, die ohne Schuld und Makel sind. Solch einer bist du nicht.«

      Mit johlendem Beifall drängten die Brüder durch die offene Schranke in den Kapitelsaal. Und Medardus, der wohlwollende Zinsmeister, dem vor Aufregung die Hamsterbacken glühten, kreischte mit der Stimme eines weinenden Kindes: »Wider das eigene Fleisch hat er gebissen. Dem Greimold, den ich festgenommen, weil er geschmäht hat wider Kloster und Himmel, hat er die Stricke zerschnitten. Hat geduldet, daß der Bauer mich bedroht hat mit dem Messer. Hat dazugeholfen, wie des Bauern Gesind mit Stecken über mich her ist.«

      Die kreischende Klage ging unter im Geschrei der anderen. Immhofs Stimme hob sich über allen Lärm. »Das lügst du, Medardus! So ehrlos und falsch wie deine Rede, so schuldlos und rechtlich ist der Mann, wider den du in Meineid klagst.« Da drängten alle gegen ihn und hoben die Fäuste. Herr Friedrich wollte Ruhe gebieten, niemand achtete seines Zornes. Nicht der Propst, sondern Wernherus schien der befehlende Herr im Saale zu sein. Er durfte nur die Hand erheben, und alle hörten auf ihn. »Euer Zorn ist gerecht, doch schweiget, ihr Herren und Brüder! Ich allein, kraft meines Amtes, will rechten mit diesem treulosen Sohn der Kirche, die unsere heilige Mutter ist!« Er trat auf Immhof zu. »Wer bist du? Wie kommt der Mut in dich, das Wort eines Treuen, der in Eifer unserem heiligen Hause dient, als Lüge zu schmähen? Willst du Zeugnis legen? Du? Der selber unter Klage steht. Denn ich klage, Irimbert von Immhof, ich klage wider dich. Du hast gehandelt wider den Vorteil unseres Hauses. Gesetz und Regel hast du gebrochen, als du wider mein Verbot aus dem Kloster wichest. Ein Meineidiger bist du selbst. Und meine Stimme ist die erste, die dich schuldig spricht.«

      »Schuldig!« rief der Eschelberger. »Doppelt schuldig!« schrie der junge Scharsach. Und alle schrien es nach: »Schuldig, schuldig!« Nur Herr Dietmar hob wehrend die Hände. Und der bucklige Isengrimm rief mit seiner hohen Stimme in den Lärm: »Das ist Narrengericht! Was der Immhof tat, hat jeder von euch schon dutzendmal getan. Und übler! Der Immhof hat nur den schreienden Hirsch gejagt im Bergwald droben. Ihr anderen pirschet in heimlichen Nächten auf feines Wildbret unter stillem Dach. Ich spreche den Immhof ledig.«

      Mit einem Fluch trat der junge Scharsach dem Buckligen entgegen, während der Eschelberger den Tumult der anderen überschrie: »Schuldig mit allen Stimmen gegen zwei! Das Urteil, Dekan! Das Urteil! Für den meineidigen Mann die härteste von allen Bußen!«

      Wernherus lächelte. »Die Buße zu bestimmen, ist meines Amtes nicht. Das steht der Würde des Propstes zu. Ich gebiete Schweigen für unseren fürstlichen Herrn!«

      Es wurde still im Saal. Im Gesicht des Propstes bewegte sich keine Miene. Er rückte nur, als Wernherus sich ihm näherte, tiefer in den Stuhl zurück.

      »Ihr seht, Herr, alle schweigen und harren auf Euer Wort. Ich hoffe, Euer Spruch wird so gerecht und klug sein, als ihn diese Stunde von Euch fordert.«

      Herr Friedrich sah die lauernden Blicke, die auf ihn gerichtet waren. »Ich danke deiner ehrlichen Meinung, mein lieber Wernherus! Von meinen treuen Söhnen bis du der treueste, immer bedacht, die Ehre deines fürstlichen Herrn zu wahren. So gerecht deine Klage war, so streng soll der Spruch sein, den ich fällen will. Irimbert von Immhof!«

      »Herr?«

      »Bekennst du, wider Hausgesetz und Regel gefehlt zu haben?«

      »Das bekenne ich.«

      »So strafe ich dich erbarmungslos mit der härtesten der Bußen, die das Gesetz bestimmt. Noch in dieser Stunde sollst du unser heiliges Haus verlassen, um auf frommer Bußfahrt –«

      Wildes Geschrei unterbrach den Propst.

      »Er will ihn retten, er reißt den Schuldigen aus unseren Händen!«

      Wernherus hob die Arme, und als der Lärm sich dämpfte, sprach er mit schneidendem Hohn: »Euer Spruch ist zu hart! Seid christlich, Herr! Laßt Euch zur Milde mahnen! Bedenket, wen Ihr so grausam straft! Euren Liebling! Dem Ihr Honig reichtet, wenn Ihr uns bitteres Salz zu schlucken gabt. Seid gnädig, Herr! Mich jammert des Schuldigen, der Eure Liebe verscherzte. Wenn Ihr ihn verbannt aus diesen heiligen Mauern, wo soll er eine Heimat finden, er, den der eigene Bruder aus dem Haus seiner Väter jagte?«

      »Wernherus!«