Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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ist leeres Gewäsch! Der Bauer hat in Aufruhr gelästert wider uns. Das ist bezeugt, und so richten wir ihn.« Er schrie, daß die Wände hallten: »Geht Eure Meinung anderen Weg, Herr Friedrich, so seid Ihr wider unser heiliges Haus. Dann seid Ihr der Herr nicht, den wir gewählt in gutem Vertrauen, daß er unseren Nutzen wahren soll und unser Gut. Zur Schand und uns zum Possen tragt Ihr den gezobelten Mantel, den wir Euch umgetan. Wer geben kann, der kann auch nehmen. Ich bin der erste, der sagt: Herunter mit Euch! Herunter den Mantel, den einer tragen soll, der würdiger ist!«

      Er streckte die Hand und wollte den Mantel fassen. Der bucklige Isengrimm stieß ihn zurück und stellte sich neben den Sessel des Propstes. Herr Friedrich war bleich geworden. Lächelnd raffte er seinen Mantel über den Schoß und sagte: »Greif du nach der Weinbitsche! Um die zu heben, reicht deine Kraft noch aus! An meinen Mantel sollst du nicht greifen! Du nicht und kein anderer!«

      »Schmähen sollen wir uns auch noch lassen?« brüllte Linhart Scharsach. »Nicht die Weinbitsch will ich heben, meine Stimm erheb ich und ruf zum Fürstengericht. Und klag wider dich, der du über uns Herr bist wie der Stieglitz über den Falken. Fürstengericht, ihr Herren! In aller Ordnung. Dekan, gebt mir das Wort!«

      »Hast du zu klagen, so kann ich dir das Wort nicht weigern!« sagte Wernherus. »Sprich!«

      Einen Augenblick war Stille im Saal. Dann hörte man die weinerliche Stimme des alten Scharsach: »Euer Tun ist Nacht. Da geh ich lieber und leg mich schlafen.« Bevor ihn sein müder Schritt zur Schwelle brachte, wurde die Tür geöffnet. Zwei Chorherren erschienen, Philipp von Saaleck und Hans Pütrich, im Jagdgewande, mit Armbrust und Weidgehäng, die Mäntel und Kleider triefend vom Regen.

      Wernherus, als er die beiden gewahrte, nagte in Zorn an der Lippe und streckte die Hand, als möchte er noch hindern, daß Linhart Scharsach zu sprechen begänne. Der fing seine schreiende Klage schon an: »Friedrich von Ortenburg, ich klag wider dich! Du bist ein Herr ohne Treu und Kraft. Statt für uns zu stehen, die wir dich gewählt haben zu unserem Herrn, stehst du wider uns und wider deinen Eid. Deine Falschheit und dein Unverlaß –« Mit einem Fluch verstummte der Kläger, als er Saaleck und Pütrich sah, die mit blanker Waffe zwischen ihn und den Stuhl des Propstes traten. Ratlos blickte er auf Wernherus.

      »Meinen Gruß, ihr Herren! Hat’s euch die Jagd verregnet?« fragte der Propst.

      »Wir sahen am Kapitelsaal das Fenster leuchten«, erwiderte Hans Pütrich, »und da hab ich mich fragen müssen: Wenn sie Kapitel halten, warum schickt uns der Dekan zur Hirschjagd aus?«

      »Er schickte euch?« Herr Friedrich lächelte.

      »Da sind wir geritten, was die Rosse laufen konnten. Ich merke, wir kommen zu übler Stund.«

      »Üble Stunde? Nein, guter Pütrich! Die ist vorbei. Ihr kommet zum lustigen Nachspiel. Herr Linhart Scharsach hat einen Rausch. Nichts weiter. Steck deinen Fänger ein! Das ist eine Stätte des Friedens hier. Blanke Waffen in geweihtem Raum und unter dem Kreuzbild? Wie häßlich, pfui!« Herr Friedrich lachte. »Wäre es ernst geworden in dieser Stunde, hätt es ein Nüchterner gewagt, an meinen fürstlichen Mantel zu rühren, ich hätte dein Eisen nicht gebraucht. Mich hätte mein treuer Dekan geschützt wider alle Ungebühr. Hab ich recht, Wernherus?«

      »Ich hätte getan, was dem Wohl unseres heiligen Hauses dient!« entgegnete Wernherus. Seine Stimme klang ruhig, sein Gesicht war grau wie Asche. Da faßte ihn Linhart Scharsach am Arm. »Zum Teufel mit Eurer Ruhe, Dekan! Der Karren ist angeschoben, jetzt laßt ihn laufen! Redet! Euer Wort hat besseren Hieb als das meinige. Hört, ihr Herren! Jetzt klagt der Dekan.«

      »Auch du, Wernherus?« Herr Friedrich erhob sich. »Auch du willst klagen wider deinen Fürsten? Freilich, ich besinne mich – wolltest du nicht fragen vor versammeltem Kapitel, mit welchem Recht ich Botschaft erhalte, die ich deiner Würde verhehle? Ich will dir Antwort geben, eh du fragst. Vor versammeltem Kapitel, wie du es verlangtest, sollst du die Botschaft hören, die mein Vetter Bayern mir und dem Kloster schickte.« Er nahm das Pergament aus dem Mantel und gab es Hans Pütrich. »Lies! Und laut! Meinen treuen Lämmern ist dickes Fell über die Ohren gewachsen.«

      Hans Pütrich las: »Im Namen Gottes. Wir, Otto, nach Herzog Ludwig der rechtmäßige Herr und Erbe im Herzogtum Bayern, senden Dir, unserem treulieben Vetter und Propst zu Berchtesgaden, Dir, Friedrich von Ortenburg, wohlmeinenden Gruß und Beistand Deiner gerechten Sache. Wir, nachdem wir Deine Klage wider den Ungehorsam Deiner Kapitularen vernahmen, haben erkannt, Dich gebührend in allen Rechten Deiner Würde zu schützen. Sollte Dich dieser angelobte Beistand nicht der Gefahr entheben, deren Du Dich von der Treuverweigerung Deiner Kapitularen zu versehen hast, so betrachten wir, im Falle einer Schädigung Deiner Person und Würde, das Erbgut Deines Hauses als zu Unrecht an das Stift gefallen und sind gesonnen, hundert Rosse vor die Mauer von Berchtesgaden zu legen, um allen Besitz Deines Namens an die Herzogskrone von Bayern heimzufordern. Auf daß unsere Meinung Dir und Deinen Kapitularen kund und offen würde, haben wir das vorliegende Schreiben aufzeichnen und besiegeln lassen mit unserem Insiegel. Dieser Brief ist gegeben nach unseres Herren Geburt eintausend zweihundert achtunddreißig Jahr. Im Herbstmonat. Am St. Michelstag. Amen.«

      Mit verdutzten Gesichtern standen die Chorherren. Der Eschelberger flüsterte: »Dekan, jetzt haben wir Fasttag!« Und Linhart Scharsach schrie: »Er hat uns an den Herzog verkauft! Das ist Verrat am Stift.«

      »Nenn’s, wie du magst! Das Gift, das man den Ratten legt, ist auch kein Speck!« rief ihm Herr Friedrich zu. »Habt ihr mich für blind und taub gehalten? Ich hab lang gemerkt, was ihr spinnet wider mich, und hab euch den Haspel gestellt, bevor euer Garn ins Laufen kam. Hattet ihr mit Recht eine Klage wider mich, so war’s die Klage wider meine Schwäche. Ihr sollt erfahren, daß ich diesen Fehler bessern kann. Nur schade, meine Reu kommt einen Tag zu spät.« Die Stimme des Propstes versank. »Das kostet mich einen, um den mir leid ist.« Er richtete sich auf. »Saaleck und Pütrich! Ihr nehmt den Linhart Scharsach fest wegen Ungebühr wider seinen fürstlichen Herrn und gebt ihn in Gewahr des Vogtes.«

      Murrende Stimmen wurden laut. Herr Friedrich schien sie nicht zu hören.

      »Heinrich von Eschelberg, du bleibst in Haft deiner Zelle, bis ich dich löse! Und du, mein getreuer Dekan! In dir ist fromme Kraft der Rede. Sprich diesen bockenden Lämmern ins Gewissen und weck in ihnen die Sanftmut, die zu ihrer weißen Wolle paßt! Sie sind auf halbe Kost gesetzt und sollen Wasser trinken, das ihnen gesünder ist als der feurige Frechauer. Der Wein ist ihnen genommen von heute bis zur Heiligen Nacht. Wollen sie schreien dagegen, so sag ihnen, was ich euch allen sage: Noch bin ich euer Herr, und ich denke es zu bleiben, solang ich Leben habe!« Herr Friedrich ging zur Tür, umrauscht von dem schleppenden Seidenmantel.

      Wernherus sah ihm nach. »Solang du Leben hast?«

      Auf der Schwelle wandte sich der Propst. »Ulrich Thurn! Trage mir den Leuchter nach, wie es als Kämmerer deines Amtes ist! Ich will keine Ehre missen, die meiner Würde zukommt.« Den Mantel raffend, schritt er in den langen Korridor hinaus, den die kleinen Wachslampen nur spärlich erhellten. Hier stand in einer Fensternische der alte Scharsach an die Mauer gelehnt. »Herr«, bettelte seine zittrige Stimme, »seid gnädig, tut dem verführten Buben nit zu weh!«

      »Gib dich zufrieden! Ich reiß ihm den Wolfszahn nicht aus dem Leben. Um deinetwillen.« Herr Friedrich lächelte bitter. »Nimm deinen Nachttrunk, Alter, und leg dich schlafen! Besseres hast du nimmer!«

      Ulrich von Thurn kam mit eisernem Leuchter, auf dem drei Kerzen flackerten. Im Saal war Schweigen geblieben. Hans Pütrich brach es mit den Worten: »Ergib dich, Linhart! Es ist der Wille des Fürsten.«

      »Dekan?« Der junge Scharsach trat vor Wernherus hin. »Das laßt Ihr geschehen? Ihr habt mich hineingehetzt wie den Gimpel ins Garn, jetzt löset mich!«

      Wernherus sagte mit kaltem Lächeln: »Es ist der Wille des Fürsten. Gehorche! Und ihr anderen, wenn ich euch raten darf, versöhnet mit einem Fußfall den strengen Herrn! Hätt er nicht so milde zu mir geredet, ich wäre der erste, der es täte. Er hat mich aufgehoben, noch eh es mir einfiel, das Knie zu beugen.« Er ging zur Tür. Vor der Schwelle blieb er lauschend stehen. Man hörte dumpfen Gesang, der aus den Tiefen der Mauern tönte. Mit steinernem Gesicht nickte Wernherus