Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


Скачать книгу

lag ruhig und konnte lächeln. Wieder begann er im Fieber zu reden, flüsternd, in zusammenhängenden Worten, wie ein Gesunder spricht. Versunkenes Glück schien auferstanden in seiner Seele. Er redete wie einer, der von siegreicher Fehde heimkehrt zu den Seinen. Frühling ist’s. Über den grünen Bäumen der blaue Himmel. Da ruht er mit seinem Weib im Gärtlein der Burg und plaudert, während drei schmucke Mädchen, seine Töchter, singend auf der Mauer sitzen. Sie haben rosige Wangen, tragen lichte Gewänder, und von den Blumen, die sie fanden, windet sich jede ihr Kränzl. »Wo ist der Bub? Ei, schau nur, wie er reitet auf seinem Stecken! So komm doch her zu deinem Vater! Warum bleibst du so weit von mir?« Suchend tastete der Kranke, fand die Hand des Propstes, hielt sie fest an seinem Herzen und streichelte sie. »Du kleiner Reiter, komm, ich laß dich reiten auf deines Vaters Knie. Besseres Rößl gibt’s nit in der Welt. Hei, hopsa, hopsa! Müller, Müller, Säcklein, den Esel schlägt das Stecklein, das Rößl aber, hopsahei –« Schritte klangen im Korridor. Mit dem Medikus trat Linhart Scharsach in die Zelle. Sein Gewand war verwüstet, struppig standen ihm die Haare über der Stirn, und sein Gesicht war dunkel gerötet. Zögernd trat er an das Lager, sah den Sterbenden an, und so stand er wortlos, den Stiernacken gebeugt, die Hände übereinandergelegt.

      Der Fiebernde sah und hörte nicht. Er redete immerzu: »Schau, Mutter, wie der Bub schon reiten kann! Der reitet einmal zum Glück hinauf und wird was Rechtes im Leben. Gelt, mein Bürschl? Wenn du ein richtiges Rößl hast, ein lebendiges, wohin willst du reiten?« Immer schwieg er ein Weilchen, wie um der Antwort des Knaben zu lauschen. »So weit? Du Närrle! Kaiser werden?« Der Fiebernde kicherte vor sich hin. »Nein, Bürschl, da mußt du klüger wählen! Tätest du Kaiser werden, was hättest du? Ein Leben in kaltem Gold und heißen Sorgen. Wo er geht und steht, da schreien sie: ›Herr! Mächtiger Herr!‹ Und ducken die Köpf. Sie geben ihm Ehr nur ins Gesicht und speien ihm rücklings auf den Mantel. Jeder Kleine will größer sein, jeder möcht ihn ziehen nach seinem Willen, und die tausend, die ihren Knecht aus ihm machen, wachsen ihm über den Kopf. Tut er das Böse, so fluchen ihm die Guten, tut er das Rechte, so stehen die Bösen wider ihn auf und binden ihm Hand und Fuß. Nein, lieber Bub! So ein großer und reicher Herr ist ein armer kleiner Mann. Such dir was Besseres aus!«

      Es ging dem jungen Scharsach übers Gesicht, als wäre eine Erinnerung in ihm wach geworden. Näher zum Lager tretend, streckte er die Hand. »Vater?«

      »Fort! Laß mich in Ruh!« Der Kranke wehrte in weinerlichem Ärger mit dem Arm. »Haben sie noch Durst, meintwegen, gib ihnen noch zu trinken! Aber gieß ihnen Wasser in den Wein! Besser ein nüchterner Feind im Haus als ein rauschiger Knecht! Schon gut! Tu, was du magst! Mich laß in Ruh bei Weib und Kind!« Der Fiebernde streckte sich in Behagen. »So Bürschl, jetzt red! Was willst du werden? Ein Bischof? Hör doch, Mutter, was der Bub da werden will! Ein Bischof! O du Närrle, du! Ein Bischof ist ein trauriger Mann. Und ist er lustig, so ist er ein schlechter.«

      Da lachte der junge Scharsach rauh und heiser. »Das geht nicht auf Euch, Herr Friedrich, obwohl Ihr von den lustigen einer seid. Das ist nur Fieber. Das zeigt ihm vergangene Zeit. Solch Red hat er einmal getan, wie ich noch ein Bub gewesen. Das geht nicht auf Euch.«

      »Schweig!« In den Augen des Propstes funkelte der Zorn. »Das geht auf mich und auf uns alle.«

      Ohne zu hören, hatte der Fiebernde mit leiser Stimme weitergesprochen. »Schau deinen Vater an und deine Mutter, Bub! Und denk: Ein Pfaff hat weder Weib noch Kind. Dem fehlt das Beste der Welt. Drum hat er kein Herz, kein Leben. Möcht er’s haben, so muß ihm nutzlos die Seel verbrennen. Und hat er’s missen gelernt, so ist ihm das Herz wie mageres Heu geworden, das nimmer duftet. Wie soll so einer die Lieb des Himmels fassen, wenn ihm die Lieb auf Erden fehlt? Komm, Mutter, lehn dich an mich!« Der Kranke tastete mit den kraftlosen Händen. »Kommt, ihr Geißlen, ihr weißen! Laßt eure Lieder schweigen ein Weil! Kommt her mit euren Blumen! Das müßt ihr hören, was er werden soll, mein Bub. Ein starker Mann und ein guter Mensch! Das soll er werden. Herr und Kaiser in seinem Haus. Ein seliger Erdensohn in seines Weibes Lieb. Ein lachender Vater von guten Kindern. Das ist von allem das Beste. Und dauert über Schmerzen und Tod hinaus. In allem anderen steckt halbe Freud, die andere Hälft daran ist Menschenweh und Grausen. Hausglück und Herdfreud hat ein Gütiger uns kriechenden Würmern gegeben als ewigen Erdentrost, als heiliges Gotteslehen. Komm, Bub! Nimm Mutter und Vater um den Hals! Was tust du dich sträuben, du Närrle?« Der Kranke hob die dürren Arme; kraftlos fielen sie nieder. »Bub!« Seine Stimme war ein würgendes Stöhnen. »Was tust du mir? So komm doch zu deinem Vater!«

      Mühsam richtete er sich aus den Kissen auf, und den zärtlichen Wahn seiner Fieberträume zerriß die Erkenntnis der Wirklichkeit. Mit entsetzten Augen starrte er das Gesicht des Propstes an und erkannte seinen Sohn. »Linhart!« Das klang wie ein Schrei der Verzweiflung. »Mein lieber Bub! So komm doch!«

      Linhart Scharsach stand wie ein Klotz.

      »Ich tu nit zürnen. Es hat nit weh getan. So komm doch, Bub!« Der Greis wollte die Hände strecken. Da fiel er zurück, ein heftiges Zittern lief über seine Glieder, und aus dem Mundwinkel sickerte ein roter Tropfen über Kinn und Hals.

      Der Medikus beugte sich über den Kranken und betrachtete ihn. Dann richtete er sich schweigend auf.

      »Geh«, sagte Herr Friedrich mit erloschener Stimme, »hole den Kaplan!«

      Der Propst und Linhart Scharsach blieben mit dem Sterbenden allein.

      »Linhart! Dein Vater stirbt.«

      »Daß ich einen Vater kenne, ist wider meinen Eid. Ich weiß nur von einem Chorherren Dietmar Scharsach. Der stirbt. Ich kann’s nicht ändern. Sterben muß jeder einmal.«

      »Hast du kein anderes Wort? Siehst du das Mal nicht, das deine Faust auf seine Wange zeichnete?«

      Linhart Scharsach gab keine Antwort. Nun war es still in der Zelle. Das Röcheln des Sterbenden war verstummt, seine Brust schien keinen Atem mehr zu haben. Leise knisterten die Kohlen, aus deren Glut ein dünner Rauchfaden zur Decke stieg. Dem jungen Scharsach tropften die Schweißperlen über das rot gedunsene Gesicht. Er sagte plötzlich: »Muß ich noch bleiben?«

      »Nein. Geh!«

      »Wieder in Haft?«

      »Geh, wohin du willst.«

      Linhart Scharsach ging aus der Zelle und ließ die Tür offen, weil der Medikus mit dem Kaplan erschien. Herr Pabo trat an das Sterbebett. »Der Kranke ist willig, deinen Trost zu empfangen«, sagte Herr Friedrich mit hartem Lächeln, »sieh nur, er hält schon den Mund geöffnet.« Murmelnd sprach der Kaplan das segnende Gebet und schob dem Greis die letzte Speise auf die Zunge. Die offenen Lippen schlossen sich nicht. Herr Dietmar Scharsach war eine Leiche.

      Den Propst mit einem Zornblick streifend, verließ der Kaplan die Zelle.

      Lange stand Herr Friedrich und betrachtete schweigend den Entschlafenen. Er wollte ihm die Augen zudrücken. Als er das kalte Gesicht berührte, zog er erschrocken die Hand zurück. »Schließ ihm die Lider!« befahl er dem Medikus und ging in Hast davon. Draußen schüttelte ihn das Grauen des Todes, den er gesehen und gefühlt. Wie ein Fliehender eilte er an der langen Mauer hin. Immer hörte er noch die Stimme des Fiebernden. Und hörte dazu den Klang einer anderen Stimme, die vor Tagen in verschlossener Stube zu ihm gesprochen: »Es könnte sein, Herr Friedrich, daß es von allem Glauben der beste ist, an Menschen zu glauben – von allem Glück das reinste, zu leben und zu sterben für Menschen, die man liebt.«

      Der Weg des Propstes ging an einer Treppe vorüber, die hinunter zu den Kellern führte. Herr Friedrich starrte in das Dunkel dort unten, spähte scheu nach allen Türen des Korridors, nahm hastig eine der kleinen Wachslampen von der Wand und stieg über die Treppe hinunter. Er kam durch finstere Gänge und durch Gewölbe, in deren Luft sich Modergeruch mit dem Duft des lagernden Weines mischte. Da leuchtete ihm ein roter Flackerschein entgegen, und als er um eine Ecke des Kellerganges bog, sah er ein Feuer brennen. Die flammenden Scheite lagen dicht bei einer Mauer, an der sich eine frisch gemörtelte Stelle erkennen ließ. In Mannshöhe, gleich einem versperrten Guckloch war an der Mauer ein eisernes Türlein zu sehen, mit schwerem Hängeschloß versichert. Bruder Eligius, der Schlächter, hockte neben dem Feuer auf der Erde.