Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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ich leb. Das will ich beim heiligen Brot beschwören. Ich tu’s, Herr Propst, sobald Ihr den Jäger in Freiheit gebt, den Ihr um meintwillen in Buß genommen.«

      »Ich verstehe dich nicht. Wen meinst du?«

      »Den Jäger Irmi.«

      »Ich hab keinen Jäger dieses Namens.«

      Der Gotteslechner klammerte seine Hand in das Pelzgewand des Propstes. »Den Jäger, Herr, der mir geholfen hat, wie Eure Fronknecht über mich hergefallen sind.«

      »Den meinst du?«

      »Den gebt mir wieder! Ich hab nimmer Ruh, solang ich den Buben in Buß und Elend weiß. Ich kauf ihn los, Herr Propst, ich zahl an Bußgeld, was das Kloster verlangt. Und wär’s mein halbes Gut. Gebt mir den Buben heraus! Der soll nit leiden müssen.«

      Seufzend nickte Herr Friedrich vor sich hin: Er fand einen Menschen! Sich niederbeugend, legte er seine Hand auf die Schulter des Bauern. »Du bist ein redlicher Mann. Das will ich dir gedenken.«

      »Herr?« stammelte der Gotteslechner, als wäre ein Schimmer von Hoffnung in ihm erwacht.

      »Dem Jäger, den du meinst, kann ich die Freiheit nicht geben. Der ist hartem Gesetz verfallen.«

      »Herr! Schauet mich an: Ich leb und sterb für mein freies Mannstum. Geht’s nimmer anders, in Gottes Namen, so nehmt mir die Freiheit! Morgen komm ich und laß mich scheren. Ich will dem Kloster ein Höriger sein in Treu. Aber gebt mir den Jäger heraus! Den muß ich haben.«

      »Laß mich in Ruhe, Bauer!« Die Stimme des Propstes klang müd und ärgerlich. »Ich habe dir schon gesagt, den kann ich dir nimmer geben. Den hab ich selber verloren. Könnt ich ihn dem Leben zurückgewinnen –«

      »Herr?« Dem Gotteslechner fielen die Arme, als wären sie gelähmt.

      »Könnt ich das, ich gäbe mehr dafür, als der Haarschopf deiner Freiheit wert ist.«

      Ein erstickter Laut in der sinkenden Nacht. »Der Bub ist tot?«

      »Geh! Ich kann mir nicht helfen. Auch dir nicht. Gott verzeih mir meine Schwäche!«

      Herr Friedrich spornte das Maultier, daß es schnaubend zu traben begann. Die beiden Knechte hielten die Fackeln hoch und schlossen hinter dem Propst die Straße.

      Regungslos stand Greimold im Schnee und starrte der gaukelnden Helle nach. Als sie verschwunden war, reckte er sich auf. »Kloster! Den Buben sollst du mir zahlen! Der kostet Blut.« Keuchend ging sein Atem, als er sich auf der Straße niederkniete, um die Schneereifen unter seine Schuhe zu binden.

      Da leuchtete über der Ache drüben, auf der steil zum Kloster führenden Straße der Schein der Fackeln wieder auf. Die Knechte waren aus dem Sattel gestiegen. Der eine führte die beiden Pferde, der andere das Maultier, das Herrn Friedrich trug.

      Die Bürgergasse war schon menschenleer und still. Wie zwei hohe schwarze Zäune zogen sich die winkeligen Giebelwände der Häuser unter den schwer beschneiten Dächern hin. Aus dem Kloster, vor dem die Schlagbrücke über den Graben gelegt war, um den Fürsten eintreten zu lassen, fiel die flackernde Helle eines Pfannenfeuers. Stimmen und Gelächter im Laienhof, dazu das jämmerliche Wehgeschrei eines Menschen. Vor der Tür der Fronstube war ein Bauer mit entblößtem Rücken an den Bußpfahl gebunden. Knechte und Fronboten standen um den schreienden Sünder her, und der Scherg, der den Bauer die gesalzene Rute zu kosten gab, hatte just mit lauter Stimme gezählt. »Neunundzwanzig So! Und nun den letzten zu unseres Herrn Ehr! Dreißig!« Der Gezüchtigte stieß einen gellenden Schrei aus. Dann hing er ohnmächtig am Bußpfahl.

      Mit abgewandtem Gesicht ritt Herr Friedrich durch den Laienhof. Den Bruder Pförtner, der das Innentor öffnete, fragte er: »Was hat der Bauer verschuldet, der da gebüßt wurde?«

      »Ich weiß nit, Herr! Sie haben ihn gebracht vor einer Weil, und Herr Wernher hat ihm dreißig Gnädige zugesprochen.«

      »Recht gnädig sind sie ausgefallen!« meinte der Propst mit galligem Spott. »Da darf der Bauer von Glück sagen, daß er die Scharfen nicht zu schmecken bekam. Ja, guter Bruder, wir haben einen barmherzigen Dekan.«

      Die »Gnädigen«, das waren Hiebe mit der blanken Rute, während die »Scharfen« mit der Geißel verabreicht wurden, in deren Stricke kleine Bleikugeln eingeknotet waren.

      Im Korridor des Stiftes harrte der Bruder Kämmerer, um seinem Herrn die Leuchte voranzutragen.

      »Rufe mir den Dekan!«

      »Herr Wernher erwartet Euch.«

      »Mich?« Der Propst sah verwundert auf.

      »Er hat schon in Ungeduld nach Euch gefragt.«

      Herr Friedrich stieg die Treppe hinauf. Plötzlich blieb er stehen, wie von Unruh erfüllt. »Bruder?« Forschend sah er in das regungslose Gesicht des jungen Mönches. »Du siehst das Gras wachsen und hörst in der Nacht die Mäuse laufen. Sag mir, was geschehen ist?«

      »Ich weiß nicht, Herr!«

      »Ich meine, ob dort unten etwas geschah? In der stillen Mauer?«

      »Herr, ich verstehe nicht.«

      In Ärger murmelte der Propst ein Wort. Vor der Tür seines Zimmers sah er Reinold, den Falkner, stehen. Er fuhr ihn zornig an: »Warum hütest du nicht meinen Falken, wie ich dir befahl?«

      Reinold stotterte: »Herr Wernher hat mich aus der Stub geschickt.«

      Hastig betrat Herr Friedrich das Zimmer, in dem das Kaminfeuer und die Kerzen brannten. Ohne den Gruß des Dekans zu erwidern, der sich, mit einem gefalteten Pergament in der Hand, von einem Sessel am Tisch erhob, eilte er auf seinen Falken zu. Mit Fessel und Haube saß der weiße Beizvogel wie schlummernd in seinem Ring. Herr Friedrich war beruhigt. Er blickte zu Wernher hinüber. »Daß du auf mich wartest, das ist seltene Ehre, die du deinem Herren gönnst.«

      »Daß ich hier warte, das ist Geschäft.«

      »So?« Der Propst überließ sich den Händen des dienenden Bruders. Der zog ihm die hohen, mit Lammfell gefütterten Stiefel von den Beinen, schälte ihn aus den kostbaren Pelzen, brachte ihm die linden Schuhe und den warmen Hausrock. Während das geschah, fragte Herr Friedrich: »Was hat der Bauer getan, dem du die Gnädigen zugesprochen?«

      »Er schuldet noch den Zins vom Michelstag und hat auch die Lichtmeßsteuer nicht bezahlt. Der Zinsmeister gewährte ihm eine Frist von drei Tagen. Heute hat man den Bauer ertappt, wie er auf dem Untersberg heidnischen Unfug trieb. Er wollte den König Wute beschwören und Gold suchen.«

      »Wieder solch ein armer Narr! Ist das nicht der neunte seit einem Jahr? Jeden habt ihr geprügelt bis aufs Blut. Da siehst du, was eine gnädige Rute nützt. Nein, Wernherus, mit Schlägen treibst du dem geplagten Volk die alten Mären nicht aus dem Herzen. Schaff ihm gute Zeit! Wenn du das nicht kannst, so gib ihm eine Hoffnung, an der es mit träumender Seele hängen kann. Dann wird das Volk die harte Zeit ertragen, weil es an die bessere glaubt, die kommen soll.«

      »Das Volk soll an Gott und die Heiligen glauben. Seine Hoffnung soll der Himmel sein.«

      »Der Himmel liegt hinter dem Tod. Geplagtes Volk will eine Hoffnung fürs Leben.«

      »Wie klug Ihr seid, Herr Friedrich! Erfindet solche Hoffnung! Dann geb ich sie dem Volk.«

      »Die zu finden wäre nicht schwer. Man muß nur das Alte wenden für neuen Gebrauch, aus dem Rock des Urahnen einen Kittel für den kleinen Enkel schneiden. Hat mir nicht Hans Pütrich neulich von einer alten Bäuerin erzählt, die noch immer nicht glauben kann, daß Kaiser Rotbart tot ist? Laß ihn leben für unsere Bauern! Er hat es um unser Stift verdient, daß wir ihm Ehre übers Grab hinaus erweisen. Und besser, unsere Bauern hoffen auf einen Kaiser, der ein Christ war, wenn auch ein bedenklicher, als daß sie ihr armes Hoffen an den verblaßten Spuk des alten Wotan hängen. Mein treuer Wernherus, ich halte dich für einen geschickten Mann.«

      »Daß ich es bin«, erwiderte Wernherus lächelnd, »das will ich Euch noch in dieser Stunde beweisen.«