Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Schritte an sich vorüberwaten, ohne zu fliehen. Das Mitleid mit den hungernden Geschöpfen hielt den Gotteslechner fest. Er schlug mit seinem Schwert ein paar junge Espen nieder, damit das Wild die zarten Zweigspitzen äsen könnte. Diese Arbeit war bei der Mühsal seines Weges für ihn ein Rasten. Und er hatte sich kaum entfernt, da wateten die Tiere schon auf die gefällten Bäume zu.

      Greimold mühte sich weiter durch den tiefen Schnee. Seine Kräfte versagten schon, und er hatte den Hag des Hilpot noch immer nicht erreicht. Als der Wald sich lichtete, fand er eine frisch durch den Schnee gewatete Gasse. Da mußte einer mit Reifen gegangen sein. Und Heu lag über die Schneedecke gestreut. Hatte Hilpot dem Wilde Futter in den Wald getragen? Dann konnte er nicht weit sein. Mit hallender Stimme rief Greimold den Namen des Jägers. Ganz nahe klang die Antwort. Sie trafen sich, und beide sahen aus, als trügen sie weiße Kleider; bis zu den Schultern waren sie dick mit Schnee behangen. »Gotteslechner? Du?« Hilpot war so erschöpft, daß er kaum zu sprechen vermochte. »Was hast du verloren im Schnee? Das muß ein kostbar Ding sein; das du suchen gehst. Die Zeit ist hart, da bleibt ein jeder gern in der warmen Stub.«

      »Du bist doch auch unterwegs.«

      »Tät ich daheim hocken, ich müßt kein Jäger sein. Mein Wild ist in Not. Ich sorg mich drum, daß ich Tag und Nacht nimmer Ruh hab.«

      »Sorg um deine Hirschen? In mir, Hilpot, ist tiefere Sorg!

      Die treibt mich.«

      »Wohin?«

      »Zu dir.«

      Scheu betrachtete Hilpot den Gotteslechner. »Was willst du?«

      »Nach einem Jäger fragen. Ob er nit hauset bei dir? Ein junger ist’s, und Irmi heißt er.«

      »Ein Jäger, der Irmi heißt?« Kummer sprach aus dem wetterharten Gesicht des Alten. »Den suchst du umsonst unter meinem Dach.«

      »Sag mir, wo ich ihn suchen muß!«

      »Der hauset, ich weiß nit wo. Geh wieder heim! Und Gottes Gruß!« Hilpot wollte gehen.

      »Jäger, du verhehlst mir was! Dein Schweigen ist wie ein Stein auf meiner Sorg. Der Bub ist mir beigestanden in übler Not und hat mir geholfen wider die Herrenleut.«

      Hilpot nickte.

      »Haben sie ihn gebüßt?«

      Der Alte blickte in Unruh nach seinem Haus hinüber.

      »Red, Jäger! Ich bin ihm gut, und ich weiß nit, was ich tät für ihn!«

      »Tätest du alles, es möcht ihm nimmer helfen. Laß gut sein und frag nit weiter!«

      »Jäger!«

      Der Klang dieses Wortes schien dem Alten ins Herz zu reden. Er zögerte noch. Dann sagte er leis: »Gib mir die Hand, daß du schweigen willst! Ein paar Tage vor der Heiligen Nacht, da hab ich im Eisen einen Luchs gefangen. Selbigsmal hat der Schnee ein lützel getragen. So hab ich den Luchs hinuntergeliefert ins Stift. Ich hab den ganzen Tag gebraucht, hinunter und wieder heim. Ich hab’s getan, weil ich selber in Sorg gewesen bin.«

      »Um den Irmi?«

      »Um den Jäger, der Irmi heißt. Drunten hab ich meinen Buben gefragt. Da hat er mir’s zugewispert. Am letzten schönen Tag, wie auf dem Abend das Sturmwetter gekommen ist, haben sie zur Nacht Kapitel im Stift gehalten. Das hat dem Jäger gegolten, der Irmi heißt. Seit derselbigen Nacht hat ihn keiner im Kloster mehr gesehen. Das ist alles, was ich weiß. Mehr hat mir der Bub nit sagen mögen. Es ist genug. Den Jäger, der Irmi heißt, den sehen wir nimmer.«

      Greimold stand erschrocken.

      Mit schwerem Seufzer nickte Hilpot: »Mir hat er viel gegolten. Hat er mich angeschaut, so ist mir’s sonnig worden ums Herz. Das ist Sonn, die nimmer scheint.« Er hob das Gesicht. »Geh heim und schweig! Und Gottes Gruß deinem lieben Kind!« Er watete durch den Schnee davon, seinem Haus entgegen.

      Der Gotteslechner stand an einem Baum gelehnt, bis an die Brust im Schnee. Langsam fuhr er mit dem Arm über sein Gesicht. Von dem Schnee, der den Ärmel umkrustete, blieben ihm schmelzende Stücke am Bart und an den Brauen hängen. In ratlosem Kummer blickte er durch den Wald hinauf zur Höhe, auf der sein Heimwesen lag, und wieder hinunter ins weiße Tal.

      Er schüttelte den Schnee von seinem Körper. »Tu dich nit härmen, Kind! Ich lös ihn. Wenn er noch lebt, so lös ich ihn.«

      Er begann zu waten, durch den Wald ins Tal hinunter, mit zäher Ausdauer den harten Weg erkämpfend, als wäre in seinen erschöpften Gliedern neue Kraft lebendig geworden.

      9

       Inhaltsverzeichnis

      Der Abend dämmerte im verschneiten Tal. Hier und dort an einer Hütte schimmerte Herdschein aus der offenen Tür. Droben auf dem Hügel, der das Kloster trug, leuchteten große Fenster mit strahlender Helle ins Grau hinaus. Hoch in den Lüften hingen trübe Nebelschleier, noch rötlich angeflogen von einem Nachglanz der Sonne, die im Westen freien Himmel gefunden; im Zwielicht der Tiefe war schon über den Schnee ein mattblauer Schein gegossen. Der Herdrauch, der aus den Dächern quoll, lag fein verteilt in der kalten Luft und mischte sich mit dem dünnen Nebel, der aufdampfte aus dem Bett der Ache. Im Rauschen des zwischen vereisten Ufern dahinschießenden Wassers gingen die letzten Geräusche des entschlummernden Tages unter, menschliche Stimmen und das Gebell eines Hundes.

      Im Tal war der Schnee nicht so schwer gefallen wie droben auf den Gehängen der Berge. Hier unten ging auch der Schneepflug, mit zwanzig und dreißig Rossen bespannt, und nach jedem neuen Schneefall mußten die Bauern Frondienste leisten, um die vom Kloster ausziehenden Wege und die Talstraße am Ufer der Ache freizuhalten für den Verkehr der Salzkarren, für den Steuerschlitten des Zinsmeisters, für die Pferde und Maultiere der zum Weidwerk reitenden Chorherren.

      Schon wurden die Schleier des Himmels grau, und es dunkelte im Tal. Da gaukelte auf der Achenstraße der Schein zweier Fackeln einher. Troßknechte des Klosters ritten dem Propste voran, der ihnen auf klingend geschirrtem Maultier folgte, in warme Pelze gemummt. Lässig hielt er den Zügel und war hinter den Fackelträgern zurückgeblieben. Plötzlich scheute sein Tier. Als Herr Friedrich aufblickte, sprang ein Mann, der weiß mit Schnee behangen war, aus dem Waldsaum hervor und faßte den Zaum des Maultiers. Der Propst erschrak und rief nach den Knechten. Beim Rauschen der Ache hörten sie den Ruf ihres Herren nicht und ritten weiter.

      »Aus dem Weg!« Herr Friedrich wühlte unter seinem Pelz.

      »Ohne Sorg, Herr!« sagte der Mann im Schnee. »Den Griff nach dem Eisen mögt Ihr lassen! Ich tu Euch nichts.«

      »Wer bist du?« – »Der Bauer im Gotteslehen.«

      Der Propst schien beruhigt. »Was willst du?«

      »Ich hab gesehen, daß Ihr ausreitet, und hab gewartet auf Euch, um eine Bitt zu tun.«

      »Deshalb überfällst du mich auf der Straße? Komme zu mir ins Kloster! Morgen am Tag. Dann will ich deine Bitte hören.« Herr Friedrich spornte das Maultier.

      Greimold hielt den Zügel fest. »Ins Kloster? Habt Ihr nit gehört, Herr Propst? Ich bin der Gotteslechner. Fangwild muß getrieben werden. Von selber lauft keines ins Garn.«

      »Gib den Weg frei!« befahl der Propst. »Du bist im Kloster so sicher wie jeder andere meines Landes.«

      »Ja, Herr«, sagte Greimold bitter, »genauso sicher bin ich auch.«

      Die Knechte mußten gemerkt haben, daß der Propst nicht hinter ihnen ritt. Mit erhobenen Fackeln kamen sie auf der Straße dahergesprengt. Herr Friedrich rief: »Ich komme gleich.« Er blickte auf den Bauer nieder und sah beim Schein der nahen Fackeln ein erschöpftes Gesicht mit gramvollen Augen. »Rede! Was willst du?«

      Greimold trat dicht an den Sattel heran. Die Erregung würgte ihm die Kehle. »Herr Propst! Ich bin ein freier Bauer und muß nit zinsen, wie man zu Unrecht verlangt von