Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Alte mit ausgestreckten Händen entgegen. »Sei ohne Sorg, Herr Linhart! Ich hab geredt mit dem Herren.«

      »Du?« fuhr der junge Scharsach auf. »Der erste, der wider mich geredet hat, bist du gewesen.« Er schlug dem Greise die Faust ins Gesicht.

      Der Saal war leer. Die tränenden Kerzen, die vor dem Erlöschen heftig flackerten, gossen ihr Zitterlicht über die gestürzten Sessel und über das Kreuzbild an der Wand. Es war mit roher Kunst gemeißelt, der Körper weiß bemalt und mit roten Tropfen überspritzt, die Glieder hager und martervoll verrenkt. Bestrahlt von dem rötlichen Flammenglanze, schienen diese Glieder sich zu winden in Qual. Und die blauen Schmerzensaugen, starr geöffnet, blickten über den Saal hinweg wie in weite Ferne.

      Um die Mauern tobte der Sturm. Durch die offene Tür klang das Schluchzen des alten Scharsach; er saß im dunklen Winkel einer Fensternische, das Gesicht in die Hände vergraben; Blut und Tränen sickerten ihm durch die Finger.

      Undeutlich, erstickt vom Lärm des Regens, tönte durch die marmornen Fliesen herauf der Choral der Brüder, die vor der Mauergruft eines lebendig Begrabenen das Miserere sangen.

      8

       Inhaltsverzeichnis

      Das war im Gotteslehen ein banger Abend. Immer wieder löschte der Regen das Feuer, das sie beim Hagtor zu unterhalten suchten. Als sie Pech auf die Scheite gossen und über der Feuerstätte ein Balkendach errichteten, konnten sie die Flamme lebend erhalten. Dann trugen die Männer zusammen, was an Waffen zu finden war. Das taten sie in aller Stille, denn Jutta saß noch spinnend in der Herdstube und sollte die Gefahr nicht ahnen, die dem Hause drohte. Die Blinde war leicht zu täuschen. Sie war an diesem Abend nicht so achtsam wie sonst auf alle Geräusche im Haus. Nur als die Helgard kam, um Jutta in ihre Kammer zu führen, fragte sie: »Warum kommt der Vater mit den Leuten nit in die Stub? Ich hör, wie der Regen rauscht. Warum bleiben sie draußen?«

      »Der Sturm hat an den Ställen die Dächer aufgerissen. Das müssen die Mannsleut bessern. Das Vieh will trockene Liegestatt.«

      Während in Juttas dunkler Kammer ein träumendes Herz die Sonne und den Maien sah, stieg draußen in Sturm und Regen der Gotteslechner zum Lugaus in den Gipfel der Ulme hinauf. Der alte Baum erzitterte. Unter dem Druck des Sturmes stöhnten die mächtigen Äste, und der Lugaus mit seinem Holzgeländer schaukelte gleich einer Wiege. So dunkel die Nacht auch war und so dicht die Schleier des Regens den Baum umwehten, dennoch konnte Greimold tief im Tal einen roten Schimmer erkennen wie den Schein einer Feuerstätte. Es war der Lichtschein des großen Rosettenfensters am Kapitelsaal. »Du guter Bub! Ich fürcht, du wirst um meinetwillen ein hartes Stündl haben.« Er schien nicht zu fühlen, daß seine Kleider von Nässe troffen. Immer spähte er nach dem roten Schein im Tal. Dann stieg er mit schwerem Seufzer die steile Treppe hinunter.

      »Hast du was gesehen?« fragte der Steinhauser.

      »Licht im Kapitelsaal.«

      »Solang sie noch raiten, haben wir Ruh. Und schau den Regen an! Heut kommen sie nimmer. Die haben’s gern, wenn ihnen die Gurgel naß ist. Ihren heiligen Hintern haben sie lieber trocken.«

      »Vorsicht, die zuviel tut, ist besser als Fürwurf, der hinter dem Schaden lauft. Von den Sennbuben der jüngste und die Ruglind sollen am Tor das Feuer hüten. Das Mädel hört wie ein Fuchs. Die Mannsleut ruf mir in die Tenn, daß wir reden. In der Herdstube geht’s nit. Man tät das Kind wecken. Geh derweil! Ich möcht nur schnell hineinschauen, ob sie schlaft.«

      Greimold trat ins Haus und tauschte im Flur das triefende Wams gegen ein anderes. In der Stube war’s dunkel. Der Schein erlöschender Kohlen, der den Herd umschimmerte, beleuchtete schwach die Kunkel, an welcher Jutta gesponnen hatte, und die Zwerggestalten der Alraunen, die an die Herdwand genagelt waren, um das Haus vor Feuersgefahr und Blitzschlag zu behüten.

      In die Kohlen blasend, entzündete Greimold einen dürren Span. Lautlos trat er in die Kammer seines Kindes. Das war ein kleiner Raum, erfüllt von milder Wärme, die aus der gemauerten Herdwand der großen Stube strahlte. Die anderen Wände waren braunes Gebälk; der Lehmboden mit Juttas blumigen Strohgeflechten überbreitet. Diese wunderlich geformten Blumen schienen zu duften. Oder kam dieser Wohlgeruch von den dürren Kräutern, die überall in den Fugen des Gebälkes staken? Das ganze Gerät der kleinen Kammer bestand aus einer Truhe und einer Holzbank, die neben dem sorgsam geordneten Gewand der Schlummernden einen zinnernen Becher trug und dicht bei ihrem Lager stand. Das war mit einer aus schwarzen Lammfellen genähten Decke belegt; linde Felle, in weißes Leinen eingeschlagen, verhüllten den im Schlaf ruhenden Leib. Wohlig lag das Köpfchen, ein wenig zur Seite geneigt, in die krause Wolle versunken, umringelt vom Goldgelock der Haare. Ein Lächeln umspielte den roten Kindermund, und die schmalen Wangen waren überhaucht von der Wärme des Schlafes. Leise hob sich unter dem weißen Linnen die junge Brust bei jedem Atemzug. Von den nackten Armen war der eine gestreckt, so daß die Hand auf der Holzbank ruhte – als hätte Jutta träumend nach dem Becher greifen wollen, in dem die verdorrte Blume des Jägers in frischem Wasser stand.

      Die weiße Zenta hatte sich erhoben. Als der Bauer zum Lager trat, stellte sich die Hündin auf und legte die Pfoten auf den Saum des Bettes.

      Sorge in den Augen, beugte sich Greimold zu seinem schlummernden Kind und machte über der Schlafenden das Zeichen des Kreuzes. Sie schien die Nähe eines Lebenden zu fühlen, atmete tief und bewegte leis die Lippen. »Irmi!«

      Greimold nickte. »Allweil, wenn ich sie gekreuzet hab im Schlaf, ist ihr Wörtl ›Vater‹ gewesen.« Seufzend löschte er den Span, und während die weiße Hündin wieder ihre Ruhstatt bei der Herdwand suchte, schlich er aus der Kammer.

      Als er an die Tenne kam, an deren Tor eine Pechfackel brannte, waren die anderen schon versammelt: der Steinhauser, der Altsenn und die Buben. Sie saßen auf Hafergarben und hatten auch für den Hauswirt einen Platz gerichtet. »Leut«, sagte der Gotteslechner, »jeder weiß, was geschehen ist. Was weiter kommt, weiß keiner von uns. Kann sein, daß sie ein Einsehen im Kloster haben. Und alles ist gut. Kann sein, sie wollen’s mit Gewalt durchsetzen und mich hörig machen. Da wehr ich mich.«

      »Hast recht, Hauswirt!« fiel der Altsenn ein. »Unrecht muß keiner leiden, solang er Faust hat. Reichen die deinigen nit, so hast du die unsrigen. Wir stehen zu dir, ob Freud im Haus ist oder ob die Not ans Hagtor pumpert. Bist uns allzeit ein guter Hauswirt gewesen. Wie der Herr ist, müssen die Knecht sein.«

      »Vergel’s Gott!« Greimold nickte dem Alten und den Buben zu. »Aber du, Steinhauser? Meine Hirten sind ledige Leut. Du hast ein junges Weib in der Stub und harrest in Freud auf junges Leben im Haus.«

      »In Freud! Da hast du recht! Es fehlt nimmer weit. Ich hab fleißig dazugetan, und meinem Weib ist übel bei Tag und Nacht, als hätt sie Speck auf grüne Birnen gegessen.« Der Steinhauser lachte, und die Hirten lachten mit. »Wird’s ein Bub, so muß er Greimold heißen. Taufen ihn die im Kloster nit, weil Händel sind zwischen uns und ihnen, so tauf ich ihn selber. Und du? Gelt, du hebst ihn? Schlag ein!« Sie schüttelten sich die Hände. »Jetzt red, Bauer! Wie teilen wir uns ein zur Wach und zur Arbeit?«

      Als sie alles abgeredet hatten, sagte der Gotteslechner: »Die erste Wach bis zum Morgen nimm ich selber. Legt euch schlafen, Leut! Kommen sie, so weck ich mit dem Alphorn. Aber ich denk, solang grob Wetter ist, sind wir sicher. Geht morgen das Schaffen und Schanzen an, so laßt vor dem Kind kein Eisen klirren und redet kein unvorsichtiges Wörtl. Tut sie eine Frag, so muß halt jeder suchen nach einer freundlichen Lug. Ihr ist alles Wahrheit, weil sie das Widerspiel nit kennt. Jetzt gute Ruh, Gesindleut!«

      Greimold ging zum Hagtor. Der Steinhauser ging mit und sagte: »Sieben Mannsleut sind wir. Das sind vierzehn Fäust. Und du könntest noch mehr haben. Viele weiß ich, die dir dankbar sind um deiner Guttaten willen. Und viele sind unzufrieden und in Verdruß wider die Klosterleut. Die möchten wohl ihre Sach an die deinig hängen.«

      Der Gotteslechner schüttelte den Kopf. »Ich will dem Kloster keinen Unfried schüren. Das tat mich ins Unrecht setzen, und ich könnte nimmer zuschlagen,