Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Manne mit derbem Gesicht und groben Fäusten ausgewachsen, der an das Trauerspiel seines Hauses nimmer dachte und der beste Freund des Kellermeisters war. Man hatte ihn aus der Weinstube zum Kapitel holen müssen, daß er lange dort gesessen, war aus seinem Lachen zu hören. Zwei andere Chorherren, Otto von Goldeck und Düring von Steflingen, hatten ihre nachbarlichen Plätze eingenommen. Laut schwatzend standen die drei Heinriche beisammen: der Eschelberger, der von Pühel und der Bruckberger. Einer mit buckliger Schulter, Herr Isengrimm von Niederheim, wanderte zwischen den Stühlen auf und nieder, während die beiden jüngsten Chorherren, Marquard Hausperg und Walter von Wenns, unter kicherndem Gezischel bei der Treppe standen.

      Eine bunte Mischung von Gestalten und Köpfen! Neben kräftigen Männern, die der Harnisch besser gekleidet hätte als das weiße Ordensgewand, sah man Gestalten von kränklicher Schwäche und wohlgenährte Herren; neben einem sonnverbrannten Gesicht ein bleiches, neben gallig verdrossenen Mienen energische Züge und runde Vollmondgesichter, denen die Freude am Leben aus den Augen glänzte.

      Draußen heulte der Sturm und trommelte der strömende Regen gegen Mauer und Fenster. Das machte jede Stimme laut, die gehört sein wollte. Es war ein Schwatzen und Lachen, als wäre das Kapitel nicht versammelt, um Gericht und Rat zu halten, sondern um eine Lustbarkeit zu beschließen. An einem gereizten Wort, das zum lachenden Ton nicht paßte, und an Blicken, die getauscht wurden, konnte man merken, daß eine ernste Stunde wartete und daß alle wußten, was diese Stunde bringen würde. Wenn solch ein enthüllendes Wort sich hören ließ, genügte ein Wink aus den Augen des Wernherus, um den vorlauten Schwätzer zum Schweigen zu bringen.

      Da öffnete sich eine der Türen. Irimbert von Immhof trat in den Kapitelsaal. Er schien die spöttischen Blicke nicht zu gewahren, mit denen man ihn musterte. Nur der bucklige Isengrimm begrüßte ihn freundlich, und der alte Dietmar Scharsach erhob sich, ging müd auf ihn zu und reichte ihm beide Hände. Grobes Lachen übertönte die Stimmen der anderen. Es war der junge Scharsach. Ein höhnendes Wort schien auf seiner Zunge zu liegen. Immer lauter wurde der Lärm.

      Die Ungeduld des Wartens verwandelte die erzwungene Heiterkeit in unverschleierten Ärger. Nur Irimbert saß ruhig auf seinem Platz und hörte schweigend an, was ihm der alte Dietmar zuwisperte.

      Draußen vor dem Rosettenfenster war es schon dunkler Abend geworden, als der Eschelberger mit rauher Stimme die anderen überschrie: »Wie lange sollen wir noch warten? Ziehet die große Münsterglock! Herr Friedrich muß Wolle in den Ohren haben, weil er nicht hören will.«

      »Oder er lauset seinem Falken den Bauch«, rief Linhart Scharsach, »und das kann lang dauern, bis er die letzte gefangen hat. Ein Falk hat mehr Inwohner im Federkleid als der Teufel arme Seelen im Feuer.«

      Lautes Gelächter füllte den Kapitelsaal, während der alte Dietmar seinem Sohn entgegentrat: »Schäm dich, Herr Linhart, daß du eine solch’ Stallbubenred über deinen Fürsten tust!«

      »Wie ein Herr sich führt, so ist die Red über ihn. Du tätest besser auf deinem Sessel sitzen, statt daß du dreinredest in Sachen, für die dein Kopf zu alt ist.«

      »Mein Kopf ist alt geworden, ja! Wie er noch jung gewesen, hätt ich ihn mir lieber abschlagen lassen, als daß ich ihn tragen hätt mögen wie du den deinen.«

      »Heb das Kinn ein wenig höher, Herr Dietmar! Es tröpfelt dir der müde Zorn auf den seidenen Rock.«

      Unwillig trat Wernherus zwischen die beiden. »Haltet Ruh, ihr ewigen Zänker! Da kommt der Herr.«

      Propst Friedrich stand auf der Schwelle. Die breite Hutkrempe warf einen Schatten über sein Gesicht, so daß man nicht sah, wohin seine Blicke gingen. Im Saal verstummte der Lärm, die Chorherren nahmen ihre Plätze ein. Man hörte das dumpfe Rauschen des Sturmes, der um die Mauer fuhr. Herr Friedrich entblößte vor dem Kreuzbild das Haupt. Sich wieder bedeckend, stieg er auf die Marmorstaffel. »Ich sehe zwei Stühle, die leer sind. Philipp von Saaleck und Hans Pütrich? Wo sind sie?«

      »Sagten sie mir die Wahrheit, so sind sie zum Königssee geritten«, erwiderte Wernherus, »sie erbaten Urlaub. Den gab ich ihnen.«

      »Den gibst du nicht gerne sonst. Warum diesen beiden?«

      »Weil sie jagen wollten.«

      »Oder weil ich im Kapitel zählen kann auf ihre Stimmen?«

      Herr Friedrich ließ sich auf den Sessel nieder. Abermals entblößte er das Haupt und sprach die lateinische Formel: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes, der uns erleuchten möge! Wir sind versammelt zu Rat und Tat im Dienste Gottes, dem wir hörig sind als gläubige Knechte.« Er betrachtete die Gesichter, und ein Lächeln spielte um seinen Mund. »Der Himmel gieße gerechte Milde in unsere Seelen, frommen Mut in unsere Herzen und gebe Erkenntnis unseren irdischen Sinnen. Flehet um solche Gnade und beginnet die ernste Stunde mit Gebet!«

      Gunthar und Pabo, die Kapläne, sprachen die Sätze des Gebetes vor. Bequem in ihren Lehnstühlen sitzend, fielen die Chorherren mit lauten Stimmen ein. Nur Immhof schwieg. Herr Friedrich lächelte noch immer. Als der Choral begann, bei welchem Heinrich von Eschelberg und der junge Scharsach die rauhen Stimmen hoben, als möchten sie den Gesang des Sturmes übersingen, nickte der Propst im Takte vor sich hin und sprach in den Choral hinein:

      »Cantant in choro,

       Sicut asellus in foro!«

      Die Stimmen schwiegen. Dann beugten sich alle Köpfe vor, alle Blicke waren in Spannung auf Wernherus gerichtet. Nur der alte Scharsach bewegte sich nicht; er hatte die Augen geschlossen, weil er den Sohn nicht sehen wollte, der ihm gegenüber saß.

      Der Propst bedeckte das Haupt. Mit Sorge ruhten seine Augen auf Immhof, bevor er zu sprechen begann. »Das Kapitel ist berufen ohne mein fürstliches Gebot. Dekan Wernherus! Das Kapitel zu versammeln, steht dir kraft deines Amtes nur zu, wenn du zu klagen hast.«

      Wernherus stand auf. »Ich klage.«

      »Gegen wen?«

      »Weltlicher Handel soll abgetan werden, ehe wir zu richten haben in geistlicher Sache. Ich klage gegen Hilpot, den Jäger zu Vordereck.«

      Man hörte murrende Stimmen: »Narretei! Ist ein Bär zu fahen, so läßt man den Hasen laufen.« Und Herr Friedrich fragte: »Was hat der Jäger verschuldet?«

      »Wider seine Pflicht hat er Hilfe geboten zu einer Heimlichkeit, die ein Chorherr gegen Hausgesetz und Regel beging.«

      Irimbert erhob sich. »Warum verschweigt Ihr den Namen des Chorherren?«

      »Weil ich wußte, daß er sich melden würde.«

      Immhof wandte sich an den Propst. »Der Jäger bot mir Gewand und Wehr, daß ich jagen konnte. Er ist ohne Schuld, er gehorchte nur meinem Herrenwort.«

      Wernherus lächelte. »Willst du sagen: Der Jäger wußte nicht, daß dein Weg ein heimlicher war?«

      Bevor Immhof erwidern konnte, fiel Herr Friedrich ein: »Der Mann war gehorsam. Das ist Tugend, der ich selten begegne. Ich will sie belohnen; nicht strafen. Laßt mir den Jäger in Ruhe!«

      »Ich bin dafür!« erklärte der bucklige Isengrimm mit seiner dünnen Stimme. »Ein williger Mann hat seinen Wert. Keiner von euch kann heute wissen, zu welcher Heimlichkeit er den Jäger schon morgen nötig hat.« Der Spott tat seine Wirkung und machte die Chorherren lachen. Mit diesem Gelächter war die Sache entschieden. Es schien auch, als hätte Wernherus ein anderes Urteil nicht erwartet. Keine Spur von Ärger zeigte sich in seinen Mienen. »Der Himmel hat unser Gebet erhört und hat die Herzen der Kapitularen vollgegossen –« »Mit Stein und Rechberg!« flüsterte Herr Konrad, der Kellermeister.

      »Vollgegossen mit kluger Milde. Das läßt mich hoffen für einen Mann, wider den ich ungern klage.«

      »Wen du auch meinst«, fiel Herr Friedrich ein, »ich wundere mich über deine linde Rede. In meiner Stube klang sie minder sanft.«

      »Eure Wohlmeinung belehrte mich. Ich will geduldig sein und die Kunst des Wartens üben.«

      »Wir sind versammelt, um deine Klage zu hören. Auf was wartest