Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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die Marter des Unglücklichen zu mehren?«

      »Das weiß ich nit. Daß ich es tun muß, ist die ander Hälft meiner Straf. Meine Kälber sind aus dem Stall gebrochen. Drum haben sie mich in den Block gelegt. Jetzt muß ich hier wachen die ganzen Nacht.« Eligius spähte durch den Kellergang und dämpfte die Stimme. »Ich schür nur ein lindes Feuer. Nit mehr, als daß sich die Wand ein lützel wärmet. Das muß ihm Wohltat sein. Der Winterfrost geht hart durch alle Mauern.«

      »Nur ein lindes Feuer? Wurde dir anderes befohlen?«

      »Ich weiß nit«, erwiderte der Bruder scheu, »ich mach es halt, wie ich den Auftrag verstanden hab.«

      Schweigend stand Herr Friedrich und starrte die Mauer an. Dann fragte er leis: »Hörst du ihn klagen?«

      Eligius schüttelte den Kopf. »Allweil ist’s still da drinnen. Nur gestern am Abend, wie der Bruder Küchenwart durch das eiserne Türl die Schüssel hineingeschoben hat, da hab ich in der Mauer ein Lachen gehört. Das ist mir durch die Seel gegangen wie ein Messer.«

      »Ein Lachen?« Der Propst bewegte die Schultern, wie von Frost geschüttelt. Plötzlich raffte er eines von den Scheiten auf und schlug mit dem Holz an die Mauer. »Immhof!« Keine Antwort. »Immhof!« Wieder schlug der Propst mit dem Scheit an die Steine. »Lebst du noch?« Kein Laut in der Mauer. Herr Friedrich warf das Holz zu Boden preßte seine Wange an die Steine und schrie: »Die Angst eines Freundes ruft. Wenn du noch lebst, gib Antwort aus deiner Nacht!«

      Da quoll es aus der Mauer, kaum noch verständlich: »Nacht ist, wo ihr seid. Bei mir ist Licht und Sonne. Bei mir ist Mai.« Die Stimme erlosch wie das Gemurmel eines Träumenden.

      »Das ist Irrsinn!« stammelte Herr Friedrich; sein Gesicht war weiß. »Eligius! Guter Bruder, sei barmherzig! Zerschlage das Feuer! Ende die Qual dieses Ärmsten, laß ihn erfrieren! Sterben ist Wohltat für ihn.« Als Eligius diesem Wort gehorchen und das Feuer löschen wollte, umklammerte Herr Friedrich seinen Arm und riß ihn zurück. »Nein! Sei barmherzig und halte die Mauern warm! Erfrieren, langsam erstarren, das muß ein entsetzliches Sterben sein.«

      »Was soll ich tun, Herr?«

      »Ich weiß nicht. Tu, was dir befohlen ist!« Mit den Händen über den Ohren, eilte der Propst davon, gejagt vom Grauen dieses Ortes. Er hatte die Leuchte vergessen und verirrte sich in den finsteren Gewölben. Er wollte rufen und brachte keinen Laut aus der Kehle. Abergläubische Furcht befiel ihn. Während er sich mit der einen Hand an den feuchten Mauern hintastete, bekreuzte er mit der anderen das Gesicht. Endlich leitete ihn ein matter Schein. Er kam zur Treppe. Keuchend sprang er die Stufen hinauf.

      Als er den Korridor erreichte, hörte er die Stimmen der Brüder, die bei der Leiche des alten Scharsach die Gebete sprachen. Er eilte weiter und erreichte in Schweiß gebadet seine Stube. Kein Schlummer kam über seine Augen, die ganze lange Nacht. Es mußten alle Kerzen brennen. Frierend saß er in seinem Lehnstuhl und schaukelte bis zum Morgen den weißen Falken.

      Der Winter blieb so streng, wie er begonnen hatte. Blauer Himmel mit glitzerndem Frost. Dann wieder Sturm. Und neuer Schnee fiel über den alten.

      Still vergingen im Gotteslehen die weißen Tage, einer wie der andere.

      War die Arbeit in den Ställen getan, dann saßen die Gesindleute beim Hauswirt in der Herdstube. Während sie in Gegenwart der Blinden fröhlich miteinander schwatzten, muntere Lieder sangen und lustige Märchen erzählten, banden sie die Speerklingen an die Schäfte, härteten am Feuer die Spannfedern für die Armbrusten, befiederten die Bolzen, machten die in der Hausschmiede gehämmerten Schwerter blank und benähten die ledernen Spenzer mit Eisenblech.

      Jutta, die neben dem Herde saß, flocht ihre Blumen oder spann. Sie war wunderlich still geworden. Auf das Geplauder der Gesindleute schien sie nicht zu hören, schien auf kein Geräusch zu achten. Was in der Stube auch geschah, sie stellte nie eine Frage. Oft ließ sie durch Stunden die sonst so fleißigen Hände ruhen und blickte mit großen unbeweglichen Augen ins Leere. Oder sie streichelte unter leisem Lächeln immer die Stirn der weißen Hündin, die ihren Kopf im Schoß der Blinden hatte. Zenta durfte nicht von ihrer Seite weichen. Jutta wurde unruhig, wenn sie die Nähe des Tieres nicht fühlte. Immer rief sie gleich: »Weiße, wo bist du?« Kam Zenta gesprungen und schmiegte sich an die Blinde, dann fand auch Jutta ihr ruhiges Lächeln wieder. Das Tier war mehr für sie als nur ein treu ergebenes Geschöpf, es war für sie eine Freundin, mit der sie ein Geheimnis teilte, eine träumende Erinnerung.

      So still sie auch geworden, die Freude am Lied war ihr geblieben. Kaum eine Stunde verging, in der sie nicht eines von ihren Liedern sang, am häufigsten das Maienlied.

      Die Gesindleute schwatzten oft von dem Wandel, der über das Hauskind gekommen war. Und der Altsenn sagte einmal: »Ihr Herzl ist lebig worden. Ich mein, sie hat den Reinold gern.«

      Die Helgard fuhr auf wie eine Natter. »Das ist gelogen!«

      Einer der Jungsennen lachte dazu. »Dir möcht’s taugen, wenn der Klosterstieglitz nach einer anderen ausschauen tät! Der schaut halt lieber nach einem weißen Gesicht! als nach Rosmucken.« Sommersprossen

      Im Zorn hätte Helgard den Waschklöppel, den sie gerade in der Hand hielt, dem Spötter ins Gesicht geschlagen. Ruglind sprang dazwischen. »Wollt ihr euch die Köpf blutig schlagen? Im Streit um die Lieb? Ihr Narren! Lieb ist Elend und ist keinen Streich nit wert.«

      Von diesem Tag an wurde Helgard eine andere gegen Jutta. Sie ließ wohl äußerlich in der Fürsorge, die sie der Blinden zu widmen hatte, nichts vermissen; doch alles tat sie verdrossen, wie etwas Erzwungenes. Und häufig redete sie in einem Ton, daß der Gotteslechner mahnen mußte: »So darfst du nit reden mit dem Kind! So greift man einen Besen an, aber nit ein Blüml.«

      Mit wachsender Sorge sah Greimold den Wandel, der sich im Wesen seines Kindes vollzog. Hand in Hand mit dieser Sorge ging eine Freude. In Jutta war es immer wie ein dürstender Wunsch, dem Vater ihre Liebe zu zeigen. Sie streckte die Arme nach ihm, wenn sie seinen Schritt in der Nähe hörte. Lange hielt sie ihn oft umschlungen, hielt seine rauhe, bärtige Wange an ihr Gesicht gepreßt und streichelte ihm das Haar. Und Greimold empfand solche Zärtlichkeit wie einen Trost in seinem ruhelosen Kummer.

      Niemals sprach sie von dem Jäger, auch dann nicht, wenn sie mit dem Vater allein war. Plauderte Greimold von ihm, dann schwieg sie und träumte mit großen Augen vor sich hin.

      Nur zwei Fragen waren geblieben. Die stellte sie immer wieder.

      »Vater? Stehen die Eisblumen noch allweil hoch?«

      »Sie stehen hoch.«

      »Dauert’s noch lang, bis es lenzet?«

      »Nimmer lang. Die Sonn tut bald jeden Weg wieder auf.«

      Und die andere Frage:

      »Vater? Weißt du den Ort noch, wo du sein Blüml vergraben hast?«

      »Freilich, den find ich wieder, wenn die Eisblumen schwinden!«

      Christzeit war schon vorüber. Der harte Winter wollte nicht linder werden.

      Von Juttas Wangen war alle Farbe geschwunden, ihr Gesicht war schmal geworden. Ein Zug von Sehnsucht lag um den stillen Mund, und immer schimmerten die Augen, als wäre ihnen das Weinen nahe. Sie zitterte, so oft sie im Flur einen Schritt vernahm. Das konnte Greimold nicht länger mit ansehen. Eines Morgens, um die Lichtmeßzeit, machte er sich wegfertig. Beim Hagtor band er die Schneereifen unter seine Schuhe. Der Steinhauser fragte verwundert: »Wo willst du hin?«

      »Hinunter zum Jägerhaus.«

      »Da plagst du dich umsonst. Du kommst keine hundert Gäng.«

      »Ich muß hinunter.«

      Greimold begann den Weg. Über die Wiese bis zum nahen Waldsaum hinüber brauchte er länger als eine Stunde. Der Steinhauser rief ihm nach: »Kehr um, du kommst nit durch!«

      Greimold kämpfte sich weiter. Hätte er nicht die Reifen an den Schuhen getragen, er wäre völlig im Schnee versunken.

      Im