Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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der Medikus?«

      »Der weiß sich nimmer zu helfen und redet lateinisch. Er sagte: ›Ex prima fronte febrim esse videtur, quem typhon medici vocant!‹ Erst haben sie ihn gebadet, jetzt liegt er in der Krankenstube.«

      Der Propst fuhr erschrocken auf. »In dem Bett, in dem der alte Scharsach starb?«

      »Die Krankenzelle hat kein anderes. Es ist das Bett, das auf uns alle wartet.«

      Das Gesicht von Schweißperlen bedeckt, bis zu den Ohren unter die Felle gemummelt, lag Herr Friedrich, ohne Schlummer finden zu können. Hans Pütrich mußte bei ihm wachen, bis der Morgen graute.

      Ein trüber Tag stieg auf. Der ganze Himmel war verhangen mit grauem Gewölk, und neuer Schnee schien fallen zu wollen. Um die Zinnen des Watzmanns und der Watzmannkinder begann es im ersten Frühlicht schon zu stöbern. Langsam zogen die weiß fallenden Schleier über den Königssee heraus.

      Als es völlig Tag geworden, fielen auch über dem Gotteslehen schon die Flocken.

      Beim Hagtor stand der Steinhauser mit Ruglind und dem Altsenn. In Sorge blickten sie über die weißen Wiesen gegen den Wald hinunter, auf den Hauswirt harrend, der zur Nacht nicht heimgekommen war. Und als es nun zu schneien anfing, sagte der Steinhauser: »Jetzt krieg ich Angst! Wir müssen ihn suchen.«

      Da kreischte Ruglind: »Er kommt! Sell drunten beim Wald!« Nun sahen auch die anderen den Heimkehrenden und schrien ihm zu mit frohen Stimmen.

      Langsam stieg der Gotteslechner vom Waldsaum herauf, bis an die Schultern im Schnee, mühselig jeden Ruck erkämpfend. Von der Achenstraße durch den steilen Bergwald, das hatte ihn die ganze Nacht gekostet. Sein Körper dampfte, und die grauen Haare klebten naß um sein erschöpftes Gesicht.

      Ruglind war ins Haus gelaufen, und man hörte sie rufen: »Juttla! Der Vater ist da!« Die beiden Männer wateten dem Hauswirt entgegen und wühlten eine Gasse in den Schnee, damit ihm das letzte Stück des Weges leichter würde. Greimold nickte ihnen zu. »Gelt, Leut, ich hab euch in Sorg gebracht? Aber ich hab einen Gang hinunter ins Tal gehabt. Den hab ich machen müssen.« Daß sich bei solchem Schnee der Weg ins Tal hinunter und wieder herauf erzwingen ließe, das wollte der Steinhauser kaum glauben. »Mein Weg ist hart gewesen. Was ich heimbring, ist noch härter. Frag nit! Nur heim! Ich mein, daß ich umfallen muß und liegenbleiben. Ist das Kind in Angst gewesen?«

      Der Altsenn schüttelte den Kopf. »Gestern um Mittag hat sie dich gemangelt und hat gefragt: ›Ich hör den Vater nit, wo ist er?‹ Aber wie ich ihr gesagt hab, du wärst hinunter ins Jägerhaus, da muß sie eine Freud gespürt haben. Wie Sonn ist’s über ihr Gesichtl gegangen. So ist sie allweil beim Herd gesessen und hat gesponnen. Daß sie um deintwegen keine Sorg spüren sollt, haben wir dem Kindl verhehlt, wie’s an der Zeit ist. Sie sitzt noch allweil in der Stub und meint, es ging erst auf den Abend zu.«

      Als sie zum Haus kamen, bellte in der Herdstube die weiße Hündin. Dem Gotteslechner waren die Glieder so starr, daß ihm Ruglind die Schneereifen von den Schuhen lösen mußte. Im Hausflur zog er das von Eis umfrorene Wams herunter. »Bring mir einen trockenen Kittel! So kann ich mein Kindl nit ans Herz nehmen.« Er streifte die Nässe aus seinem Haar und trocknete das Gesicht. Dann trat er in die Herdstube, in der sich das trübe Morgenlicht mit dem flackernden Schein des Feuers mischte.

      Geführt von ihrer weißen Gesellin, kam Jutta ihm entgegen. Ihre Hände zitterten. »Guten Heimgruß, lieber Vater!«

      »Gott grüß dich, Kind!« Er legte den Arm um die Blinde und streichelte ihr die brennende Wange.

      Juttas Augen waren groß, ihre Lippen ein wenig geöffnet wie in erwartungsvollem Lauschen. Als der Gotteslechner noch immer schwieg, fragte sie leis: »Ist’s wahr, Vater? Der Fürsenn hat mir gesagt, du warst hinunter zum Jägerhaus?«

      »Ich bin drunten gewesen.«

      »Ist der Weg schon offen?«

      »Ich bin durch die Eisblumen gegangen. Und bring dir einen Gruß vom alten Hilpot.«

      Ein Lächeln zitterte um ihren Mund. »Sonst tut mich keiner grüßen?«

      »Den du meinst, der hauset nimmer beim alten Hilpot.« Greimold wollte sich zur Ruhe zwingen. Das machte seine Stimme rauh.

      Das feine Ohr der Blinden hörte den Klang, der ihr fremd war an der Stimme des Vaters. Erschrocken hob sie das Gesicht. »Warum redest du, als ob du ein anderer wärst?«

      »Weil mir weh tut, was ich dir sagen muß.«

      Da klammerte sie die Arme um seinen Hals. Und Greimold drückte ihr Haupt an seine Brust, als könnte er den suchenden Blick dieser blinden Augen nicht ertragen. »Ich hab doch allweil schon gemerkt, daß du harrest auf ihn. Drum hätt ich ihm gern einen Gruß gebracht. Von dir! Und bin hinunter ins Jägerhaus und hinunter ins Klostertal. Und hab ihn nimmer gefunden.« Greimolds Stimme klang schwer und langsam. »Es sagen die Leut, seine Herren hätten ihn fortgeschickt, bis hinter die letzten Berg hinaus, in die große Ebnet.«

      Jutta richtete sich auf. »Die große Ebnet? Ist die weit von uns?«

      »So weit, daß keiner mehr kommt, der einmal draußen ist. Jetzt darfst du nimmer harren. Aber mit liebem Sinn sollst du denken an ihn. Der Irmi ist uns von Herzen gut und treu gewesen, dir und mir.«

      Wortlos nickte sie, während ihr die Tränen über die Wangen fielen.

      »Geh, Kindl, mußt nit weinen! Das tut deinen Augen weh.«

      Sie lächelte traurig und tastete mit zitternden Händen ins Leere. »Weiße, wo bist du? Komm, tu mich führen!«

      Die Hündin kam vom Herd, und zu der Blinden aufschauend, schmiegte sie sich an ihre Knie.

      Greimold fragte: »Magst du nit hersitzen zum Feuer?«

      »Ich bin so müd, ich weiß nit wie! Das muß vom Warten sein. Komm, Weiße, ich will zur Ruh gehen! Es muß schon Nacht sein, gelt?«

      »Ja, Kindl, ‘s ist finstre Nacht worden. Hast recht, geh schlafen! Ruh haben ist von allem das Beste.«

      Greimold ließ sich neben dem flackernden Feuer auf den Herdrand nieder. Von der weißen Zenta geführt, ging Jutta langsam auf die Tür der Kammer zu. Bevor sie die Schwelle erreichte, blieb sie stehen, mit weit geöffneten Augen.

      »Kindl? Was hast du?«

      Ohne das Gesicht zu wenden, sagte sie leise: »Wie die Mutter von uns gegangen ist? Gelt, Vater, da hast du ihn auch gesehen?«

      »Wen?«

      »Den armen Erdenbruder vom schönen Glück in der Umwelt.«

      »Wen meinst du, Juttula? Ich versteh dich nit.«

      »So viel hab ich allweil drüber sinnen müssen. Und hab mir doch niemals denken können, wie er ausschaut. Jetzt seh ich ihn. Ist noch ein junger Mann und hat schon weißes Haar wie ein Alter. Sein Leib und sein Gesicht sind mager, als hätt er zehren müssen von seinem eigenen Fleisch. Ganz still ist er, kein Wörtl hör ich ihn reden. Tiefe, dunkle Augen hat er, die traurig sind. Wenn ich hineinschau, Vater, muß ich weinen. Und seine Hand, die mich anrührt im Herzen, ist kalt, wie die Eisblumen sind.«

      In Sorge hat Greimold sich erhoben. »Kind, was redest du? Wer soll das sein, den du siehst?«

      »Der Schmerz!« Tief atmend wandte Jutta das Gesicht. Der Schein des Herdfeuers machte auf ihren Wangen die Tränen funkeln, als wären es leuchtende Blutstropfen. »Das ist dem schönen Glück sein Bruder. Ich kann dir’s nimmer sagen, wie mir’s der Irmi gesagt hat. Das ist schön gewesen. Wenn der Irmi wiederkommt, so mußt du ihn fragen drum!« Sie stockte. »Schau nur, jetzt hab ich völlig vergessen. Hast du mir nit gesagt, daß er nimmer kommt?« Ihr Gesicht entstellte sich. »Hätt ich’s von einem anderen hören müssen, so hätt ich gesagt: Das ist nit wahr, er hat’s versprochen, und wenn es maiet und sein Blüml lebendig wird, so kommt er wieder.«

      In ratlosem Kummer trocknete Greimold seinem Kind die Tränen von den Wangen. Ihm war, als müßte er schreien: Glaube deiner Sehnsucht! Aber