Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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im Kopf den klappernden Alltag, beeinflußt vom Lachen und Achselzucken der Unverständigen? Wie mag da manch einem Künstler bitteres Unrecht geschehen, das bitterste gerade jenen, die das Beste zu sagen haben, und deren Stimme immer anders klingt als die Stimme der großen Schreier auf dem Markt, die allen Ohren schnell geläufig ist!

      Solch ein Unrecht hatte das Urteil der Welt an Emmerich Petri begangen. Sie hatte über den merkwürdigen Hut gelacht, den er trug, und dabei versäumt, ihm durch die Augen ins Herz zu sehen. –

      War der Magd die schweigende Zeit, die Ettingen vor diesem letzten Bilde stand, zu lang geworden? Oder hatte sie es ihm vom Gesicht abgelesen, was er von den »Taferln« ihres Herrn dachte? »Gelten S'«, sagte sie plötzlich, »unser Herr hat's können! Ja! Und kommen S' – da därf ich sonst kein' net einiführen –, aber Ihnen muß ich schon zeigen, wie er ausgschaut hat.« Sie öffnete die Tür der Nebenstube. »Da hängt er, schauen S', wie er sich selm verkonterfeit hat. Dös is der Fräuln Lolo ihr Stüberl. Vor zwei Jahr auf Weihnächten hat sie's kriegt von ihm, die Taferl da.«

      Ettingen zögerte einzutreten, und lächelnd blickte er von der Schwelle in den Raum. Es war von allen Zimmern, die er gesehen hatte, das bescheidenste. Ein schmales Stübchen, mit einem einzigen Fenster nur. Weiße Wände, das eiserne Bett mit weißem Tuch überhangen, ein kleiner Tisch mit einfachem Holzstuhl vor dem Fenster, durch das die Blumen hereinleuchteten, der Tür gegenüber ein Pianino und ein Holzgestell mit Notenheften, neben der Tür ein bis zur Decke reichendes Bücherregal und an der Rückwand des Stübchens eine große schwere Kommode, über der, als einziger Schmuck des Raumes, das Selbstporträt des Künstlers hing, umgeben von einem Kranze frischer Edelrosen. Und dieses Bild war für Ettingen ein neues Rätsel. Er hatte ein schmales, fein geschnittenes Gesicht zu sehen erwartet, einen Kopf, der auf einen Musiker raten ließ, mit bleichen Wangen, tiefliegenden Augen und langem Haar. Und da sah er einen derben, grobknochigen Kopf mit dichtem, kurz geschnittenem Braunhaar und starkem Bart, mit hoher, kräftig gewölbter Stirn und gesundem, sonnverbranntem Gesicht, dem das schöne Antlitz der Tochter in keinem Zuge glich. Nur die Augen, wenn sie auch von anderer Farbe waren, hatten den gleichen träumerischen und warmen Blick, und um die streng geschnittenen Lippen spielte das gleiche sinnende und milde Lächeln.

      Das Bild war nur wenige Jahre alt; aber nach Zeichnung und Farbe hätte man auf ein Werk aus der Zeit des jüngeren Holbein raten können. In einer Ecke des graugrünen Hintergrundes sah man ein verschnörkeltes weißes Schildchen, das eine rote Inschrift in lateinischer Sprach trug: »Emmericus Petri in seinem fünfzigsten Lebensjahre. Eines Menschen Gesicht ist seine Seele nicht. Willst du das Wesen seines Geistes erkennen, so betrachte seine Taten und seine Kinder.« Wie stolz mußte der Mann auf seine Tochter gewesen sein, um auf diese Leinwand schreiben zu dürfen: »Betrachtest du, was ich schuf, so wirst du mich nur halb erkennen – ganz wirst du nur an meinem Kinde sehen, wer ich war!«

      Während Ettingen noch vor dem Bilde stand, kam der Förster zurück, und zwar in übelster Laune. Er hatte die Erlaubnis für die Steigbauten mit schwerem »Blutgeld« vom Bürgermeister erkaufen müssen, der allen Überredungskünsten des Försters nur immer die eine Weisheit entgegengehalten hatte: »Der Herr Fürst kann zahlen! Der hat's!« Bei dem Ärger, den Kluibenschädl von diesem »Scharfrichtergang« mitbrachte, hatte er weder Sinn für die »Taferln« des »Maler-Emmerle«, noch für die Stimmung seines Herrn, und schwatzte wortreich seinen Zorn heraus. Ettingen schwieg zu allem und warf, bevor er das Stübchen verließ, noch einen letzten Blick über die Wände und alles Gerät.

      Draußen im Flur, als der Förster schon in den Garten getreten war, fragte Ettingen das Mädchen: »Haben Sie mir alles gezeigt? Ich habe ein Bild nicht gesehn, von dem mir erzählt wurde: ›Die Versuchung Christi‹?«

      »Na, Herr, da weiß ich nix!« sagte die Magd. Aber sie wurde rot.

      Also existierte das Bild noch!

      Ettingen trat ins Freie, blickte wieder zu der Inschrift hinauf, die über der Haustür stand, und nickte vor sich hin, als wollte er sagen: »Ich sah, was du schufst, und kenne dein Kind. Nun weiß ich, wer du warst, und weiß: du hattest ein Recht zur Freude!«

      Da bot ihm die Magd eine schöne dunkle Rose und sagte verlegen: »Da, Herr! Unser Fräuln, wenn s' daheim is und einer kommt, schenkt s' allweil a Blüml her!«

      Lächelnd nahm er die Rose. »Ich danke Ihnen.«

      Er wollte der Magd eine Banknote reichen. Aber sie schüttelte den Kopf, nahm den Rechen von der Wand und begann auf dem Kiesweg die Trittspuren zu ebnen, die der Förster mit seinen schweren Schuhen zurückgelassen hatte.

      Ettingen, dem das Blut ins Gesicht gestiegen war, zerknüllte den Schein in der Hand. Und als sich draußen auf der Straße ein alter, weißbärtiger Bauer, der im Schatten der Holunderhecke saß, etwas schwerfällig erhob und den mürbem Deckel zog, warf ihm der Fürst die Banknote zu. Der Alte riß die rot geränderten Augen auf. Dann versuchte er mit seiner heiseren, zittrigen Stimme einen Jauchzer. Das machte den Förster aufmerksam. »Ui jögerl, Duhrlaucht! Haben S' dem Brenntlinger was geben? No, ich dank schön! Der kauft sich wieder an saubern Dampus dafür.« Nach wenigen Schritten kamen sie zu einer Stelle, an der sich von der Straße ein Fußweg gegen die Felder abzweigte. »Gehen wir lieber über d' Wiesen naus!« meinte der Förster. »'s Dorf haben S' ja gsehen. Und drüben im Weiherwald, bei der Fischzucht, kriegen wir den schönsten Schatten.« Sie wanderten über die vom frischen Heugeruch umdufteten Wiesen hin. Immer wieder blickte Ettingen nach den im Sonnenglanz verschwimmenden Baumkronen zurück, über deren leuchtendes Gezweig sich blinkend das grüne Schieferdach erhob. Dann plötzlich unterbrach er das Schweigen: »Sagen Sie mir, wie starb dieser Mann?«

      »Der Herr Petri? Ja, Duhrlaucht, dös is a rechts Unglück gwesen! Der Mann is dagstanden wie a Baum im besten Saft. Und den hat d' Nächstenlieb am Gwissen. Im letzten Herbst war's – da is in der Leutasch und im Geißtal a Wolkenbruch niedergangen, daß ich meiner Lebtag so war net mitgmacht hab. Wie S' da die Wiesen sehen, is alles an einziger Bach gewesen, mit Gröll und Baumstämm, die's dahertrieben hat. Und droben, wo sich 's Tal a bißl zuspitzt, da war's am ärgsten! Zwei Häuser hat's mitgnommen, gleich am ersten Abend. Und am andern Tag, wie 's Wasser von die Geißtaler Berg herkommen is, da hat ein' 's Grausen packt. Wie die Verruckten sind d' Leut umanander grennt und haben völlig ihr bißl Verstand verloren. Bloß an einziger hat 's Köpfl in der Höh bhalten.«

      »Herr Petri!«

      »Ja! Gschafft hat er wie a Holzknecht, und Ratschläg hat er gfunden, wie man's dem traumhappeten Mannderl gar net zutraut hätt! Sell droben, wo 's Geißtal anfangt und von links und rechts zwei Waldhügel einisteigen gegen 's Wasserbett – da, hat er gsagt, da müssen wir an Riegel legen und 's Wasser brechen, damit's den Gewalt verliert. Mit die ersten Leut, die beinander waren, hat er d' Arbeit gleich angfangt, und derweil is d' Fräuln Lo im Galopp auf ihrem Muli von eim Haus zum andern gritten und hat aus'm ganzen Tal alle Mannsleut zammgrufen, daß in der ersten Nacht noch über zweihundert Menschen bei der Arbeit waren! Am linken Ufer vom Wildbach is der Herr Petri gstanden mit seine hundert Leut. Und mit eim Sprachrohr, dös er aus einer Baumrinden gmacht hat, hat er 's Kommando ummi gschrien über 's Wasser, wo die andern hundert gschafft haben. D' Weibsbilder haben 's Pech und 's Staudenwerk zammtragen müssen und 's Feuer unterhalten, daß man zur Arbeit gsehen hat in der Nacht. Und d' Manner und die Buben haben die Bäum gschlagen zum Wehr. In der Fruh um zehne, am zweiten Tag, da haben die ersten Bäum im Wasser schon ghalten, und wie's auf'n Abend gangen is, hat man schon hoffen können: 's Wehr verhebt den ärgsten Schub. Aber d' Leut sind fertig gwesen mit ihrer Kraft, und schier mit Gwalt hat der Herr Petri die letzten noch bei der Arbeit halten müssen. Wo's am schiechsten ausgschaut hat, da is er allweil vorndran gwesen. ›Mut, Leut, nur Mut‹, hat er allweil gschrien und hat schon kaum nimmer reden können, ›nur diese letzte Nacht noch, dann ist geholfen!‹ Und recht hat er bhalten! Am dritten Tag in der Fruh hat sich 's Wasser gegen 's Geißtal auffi zum Stauen angfangen, und is mit aller Ruh über die Wehrbäum abglaufen, und die ganzen Häuser sind aus der Gfahr gwesen!«

      Sie hatten den Wald erreicht und traten in den Schatten.

      »Gwiß is's wahr: wär der Herr Petri net gwesen, so hätt unser Leutascher Dörfl heut um a Dutzend Häuser