Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Kopf, ganz so entschieden wie damals. »Nein! Nur weil ich ein bißchen malen gelernt habe? Das macht mich noch lange nicht zur Künstlerin. Dazu fehlt mir alles, Talent, Gedanke und Phantasie. Ich eine Künstlerin? Nein! Und eine Handwerkerin will ich nicht sein. Ich zeichne und male nicht aus Beruf. Ich tu es nur, um besser sehen zu lernen, um mir das Schöne, das ich liebhabe, recht tief einzuprägen, damit es Dauer hat in mir. Mit dem Betrachten allein kommt man der Natur gegenüber nicht aus. Da sieht man nur, was jeder sieht, das Oberflächliche, das zuerst in die Augen springt. Die stille Seele eines solchen Bildes und den innersten Reiz übersieht man immer, auch wenn man seine Wirkung fühlt, und deshalb will auch das Bild, so schön, wie es war, nicht in unserem Erinnern haften. Man hat immer was Verschwommenes im Gedächtnis. Sie haben doch auch Verständnis für die Natur und Liebe zu ihr. Ist es Ihnen noch nie aufgefallen, daß Sie sich an ein schönes Landschaftsbild schon wenige Stunden später nicht mehr genau erinnern konnten? Man sieht noch irgendeine große Linie, irgendeine auffällige Farbe. Aber das will in der Erinnerung nicht mehr wirken.«

      »Ja, Fräulein, das ist wahr. Ich hielt das immer für einen Mangel an Gedächtnis. Aber Sie mögen recht haben: es war Mangel an richtiger Beobachtung.«

      »Früher war das auch bei mir nicht anders. Aber wenn ich ein paar Stunden geduldig vor solche einem Bild saß, wenn ich jede kleinste Linie nachzuzeichnen, jeden Reiz des Lichtes und jeden Ton des Schattens nachzuahmen versuchte – gleichviel, ob mir das gelingt oder nicht –, dann hab ich das Große ich das Kleinste so genau gesehen, daß ich das Bild habe, in mir, fest und für immer. Und das Schöne so zu besitzen, das ist eine große Freude, die das bißchen Mühe wert ist. Zeichnen Sie nicht auch?«

      »Ich? Nein!«

      »Warum versuchen Sie es nicht einmal?«

      Ettingen lachte. »Da möchte was Hübsches herauskommen!«

      »Gewiß nichts Schlimmeres als bei meinem ersten Versuch.«

      »Zu dem hat wohl Ihr Vater Sie veranlaßt?«

      »Ja! Und das werde ich nie vergessen. Ich war damals noch ein Kind, sieben Jahre, und Papa hatte eine Ulmer Dogge gekauft, die er zu einem Bilde brauchte. Das Tier war so entsetzlich groß, daß ich Angst vor ihm hatte. Ein paar Tage überwand ich's. Aber als der Hund einmal auf mich zukam, fing ich zu schreien an: ›Papa, Papa, ich fürchte mich vor dem Hund!‹ Da lachte er, gab mir ein Blatt Papier und einen Rotstift und sagte: ›Versuche es, Lo, und zeichne den Hund, aber recht, recht genau mußt du ihn ansehen!‹«

      »Und das haben Sie getan?«

      »Ja!« Lächelnd blickte sie zu ihm auf. »Als das Kunstwerk fertig war, meinte Mama, das wäre ein Lehnstuhl. Aber Papa sagte ganz ernst: ›Nein, Mutter, das ist ein gute, braver Hund, der keinem Kinde was zuleide tut!‹ Und Papa hatte recht. Ich habe den Hund nicht mehr gefürchtet. Jetzt wußte ich, daß er schöne braune Augen hatte, und daß er die Lippe verziehen konnte, als ob er lachten möchte. Wir haben den Hund viele Jahre gehabt, auch hier in Leutasch noch, und als er im Alter so leidend wurde, daß man ihn aus Erbarmen erschießen mußte, das ist für uns alle ein trauriger Tag gewesen. Besonders für Papa.«

      Ettingen nickte. »Ihr Vater muß ein großer Tierfreund gewesen sein und muß für das Seelenleben der Tiere ein seltenes Verständnis besessen haben.« Er sah den fragenden Blick ihrer Augen und fügte bei: »Daß ich diese Beobachtung machen konnte, das ist nur der bescheidenste Teil des Gewinnes, den der heutige Tag Ihnen brachte. Soll ich Ihnen sagen, woher ich komme? Wo ich zwei Stunden verbrachte, die ich nie vergessen werde? Im Haus Ihres Vaters!«

      Sie atmete tief und sah mit schimmernden Augen über den Weiher hin. Und es zitterte ihr die Hand, mit der sie die Palette hielt.

      »Sie schweigen? Und fragen nicht, welchen Eindruck ich von der Kunst Ihres Vaters empfing?«

      »Nein!« erwiderte sie leis und beugte sich über die Leinwand, als wollte sie die Arbeit wieder beginnen.

      »Nein?« Fast schien es, als hätte ihn dieses Wort verletzt. Doch er lächelte schon wieder. »Halten Sie mein Kunstverständnis für so zweifelhaft, daß es bei einem Urteil über die Bedeutung Ihres Vaters nicht in Frage kommt?«

      Da blickte sie zu ihm auf, fast erschrocken. Dieser Blick gab ihr die Ruhe wieder, und es lag nur noch ein wenig Beklommenheit in ihrer Stimme, als sie sagte: »Daß Sie mich so sehr mißverstehen könnten, das glaub ich nicht. Wer die Natur liebt wie Sie, muß doch auch Verständnis und Liebe für die Kunst haben. Und daß ich ein hartes Wort über meinen Vater nicht hören würde, das wußte ich doch. Hätten Sie nicht Anteil an seinem Schicksal genommen, so hätten Sie unser Haus nicht besucht. Und würden Sie nicht anerkennend über seine Arbeit urteilen, so hätten Sie zu mir von diesem Besuche nicht gesprochen. Aber wie gut Sie auch von meinem Vater denken mögen, ich selbst denke doch wohl noch besser von ihm. Für Sie kann er immer nur der Künstler sein, von dem Sie das oder jenes halten. Für mich ist er auch der Vater, das Liebste, was ich auf der Welt besaß. Und hätten Sie über ihn – nicht einen Tadel, nur ein Befremden geäußert –, nicht über sein Denken und Fühlen, denn da müssen Sie ihn verstanden haben – vielleicht nur über seine Art zu sehen, über die Eigenart seines Schaffens –, ich hätte es doch wie einen Tafel empfunden, und mir, seinem Kinde, hätte das weh getan, gerade von Ihnen! Weil ich das fürchtete, deshalb schwieg ich.« Sie legte die Palette fort und erhob sich. »Aber ich sehe ein, daß ich unrecht hatte. Verzeihen Sie mir!«

      Ettingen nahm ihre beiden Hände und sah ihr so herzlich in die Augen, daß sie vor diesem Blick in Verwirrung geriet. »Soll jetzt in Ihrem Herzen nicht ein leiser Zweifel zurückbleiben, dann muß ich sprechen!« Er hörte Stimmen, und als er aufblickte, sah er am Ufer des großen Weihers den Förster mit dem Fischer um die Waldecke biegen. »Schade! Da kommen Leute, die mich holen. Aber ich hoffe noch die Stunde zu finden, die mich ungestört mit Ihnen plaudern läßt. Ich habe Ihnen viel mehr zu sagen, als ich jetzt in ein paar Worte fassen kann. Und habe manche Frage zu stellen, die Sie mir beantworten müssen, über das Leben Ihres Vaters, über den Entwicklungsgang seines Schaffens, über die Zeit, in der diese Bilder entstanden. Ich denke nicht sonderlich gut von der Urteilsfähigkeit der Welt, die mit dem Tage lebt und schreit. Aber sie hat trotz allem Augen und hat doch auch ein Herz. Und wäre Ihr Vater vor seiner Flucht in die Berge als Künstler schon der gleiche gewesen, der er war, als er den Hermeskopf mit der Viper und den Jesusknaben mit den Faunkindern schuf – die Welt hätte ihn anerkennen müssen, mehr noch, ihn bewundern und lieben!« Fester umspannte er ihre zitternden Hände. »Ihr Vater war ein großer Künstler. Ich schränke dieses Wort durchaus nicht ein, wenn ich sage, daß in ihm der Mensch und Dichter vielleicht noch größer war als der Maler. Ich kann Ihnen gar nicht schildern, welch einen tiefen Eindruck ich heut aus Ihrem Hause mit forttrug. Es war ein Eindruck, der den Wunsch in mir weckte: hätt ich diesen seltenen Menschen doch gekannt, hätt ich doch mit ihm leben dürfen! Aber ich glaube doch, daß ich ihn kenne. Ich habe schon so viel von seinem Leben erfahren, durch Sie und durch andere. Seit heute weiß ich auch, wie er starb – wie nur ein großer und guter und starker Mensch zu sterben vermag, der seinem Leben keinen Vorwurf zu machen hat. Und ich habe in seinem Haus die Luft des reinen Glückes geatmet, das er sich und den Seinen erkämpfte, habe gesehen, was er schuf – und ich kenne sein Kind. Nun weiß ich, wer Ihr Vater war, und kann Ihnen nachfühlen, was Sie bei jedem Gedanken an ihn empfinden müssen. Sie sind ein glückliches Kind!« Er küßte ihre Hand, und rasch, als möchte er jede störende Begegnung von ihr fernhalten, ging er auf die beiden Männer zu, die schon über das Wehr des letzten Weihers kamen.

      Unbeweglich, die großen schönen Augen feucht umschleiert, stand Lolo Petri am Ufer und blickte über das Wasser zum Wehr hinüber. Sie sah nur den einen, der von ihr gegangen war, sah nicht, daß der Förster ihr zuwinkte mit dem Hut, und hörte den Gruß nicht, den er laut, um das Wasser zu übertönen, zu ihr herüberschrie. So stand sie, bis die drei Männer im Tor eines Blockhauses verschwanden. Dann atmete sie auf, und wie in einem Sturm von Empfinden preßte sie die Hand, die er geküßt hatte, an ihre Lippen – als möchte sie ihm danken für seine Worte und wüßte keinen anderen Dank als diesen. Dann kam es über sie wie treibende Ungeduld. Sie klappte den Feldstuhl zusammen, brachte den Malkasten in Ordnung und schabte hastig mit einem Messer das ganze fertige, noch