zu entgehen. Zu spät. »Ich freu mich nur über diesen herrlichen Tag.«
»Und natürlich hast du dich nur für die Sonne so hübsch geschminkt und angezogen«, lachte Janine und brachte das Mittagessen, das sie am Vorabend vorbereitet hatte, in die kleine Küche. »Was hast du uns denn Köstliches gezaubert?« Ihre Stimme war dumpf, als sie mit dem Kopf im Kühlschrank verschwand.
Erschrocken schlug Wendy die Hand vor den Mund. Statt wie sonst am Abend kleine Leckereien zuzubereiten, hatte sie nach der Verabredung mit Hanno wie paralysiert bei einem Glas Rotwein auf dem Balkon gesessen und in alten Tagebüchern geblättert auf der Suche nach Erinnerungen an ihre Zeit mit Hanno Thalbach.
»Ach herrje, das hab ich ganz vergessen!«, entfuhr es ihr. »Das tut mir ja so leid.«
Janine tauchte wieder in der Küchentür auf.
»Halb so wild. Verhungern werden wir so oder so nicht«, beruhigte sie ihre Freundin anzüglich lächelnd. »Aber wenn du nicht sofort zugibst, dass deine Verwirrung mit Hanno Thalbach zusammenhängt, bekommst du keine von meinen gefüllten Olivenschnecken.«
Allein der Gedanke ließ Wendy das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Du meinst doch nicht etwa die mit der saftigen Füllung aus rotem Pesto, Frischkäse und fein gehackten Basilikumblättern?«
»Nicht zu vergessen die gehackten, leicht gerösteten Pinienkerne, die dem Ganzen das besondere Aroma schenken«, säuselte Janine, als die beide bemerkten, dass sie einen interessierten Zuhörer hatten.
»Das klingt ja ganz ausgezeichnet«, lobte Hanno Thalbach, der bei Danny den ersten Termin des Tages vereinbart hatte, um das verletzte Knie noch einmal untersuchen zu lassen. Wendy und Janine waren so vertieft in ihr Gespräch gewesen, dass sie nicht bemerkt hatten, dass er die Praxis viel zu früh betreten hatte. Von einem Ohr zum anderen grinsend stand er nun am Tresen und konnte den Blick nicht von Wendys zauberhaftem Anblick wenden. »Im Normalfall würde ich zu dieser Kreation einen gut gekühlten Chardonnay empfehlen.«
»Bedauerlicherweise ist der Genuss von Alkohol in Arztpraxen während der Arbeitszeit strengstens untersagt«, erklärte Janine und legte seine Patientenkarte für Danny auf dem Tresen bereit.
»Aber vielleicht packen Sie uns ein wenig von dieser Spezialität ein, sodass Wendy und ich sie heute Abend auf meiner Terrasse in meinem Heidelberger Haus genießen können«, verriet Hanno augenzwinkernd, was er mit seiner Jugendfreundin vorhatte. Während Janine der Mund offen stand vor Staunen, wandte er sich mit einem strahlenden Lächeln an seine Angebetete. »Oder was meinst du, schöne Frau?«
»Ich …, ähm …, ich …, nun ja …«, stammelte Wendy, als sie glücklicherweise von Danny aus ihrer Verlegenheit erlöst wurde.
Gut gelaunt stürmte der junge Arzt in die Praxis. Als er Hanno Thalbach um diese frühe Uhrzeit schon am Tresen stehen sah, blieb er abrupt stehen, ein bubenhaftes Lachen auf den Lippen.
»Guten Morgen, Herr Thalbach. Haben Sie heute ein anderes Parfum aufgetragen? Andernfalls bestehe ich auf einem Sicherheitsabstand«, fragte er gut gelaunt und entlockte dem Älteren ein amüsiertes Lachen.
»Keine Angst. Diesmal komme ich zuerst zu Ihnen und fahre erst im Anschluss zur Besichtigung auf den Hof.«
»Das klingt gut.« Zufrieden reckte Danny den Daumen der rechten Hand in die Höhe, nahm dankend die frisch gefüllte Kaffeetasse, die Janine ihm reichte, und bedeutete Hanno Thalbach mit einem Kopfnicken, ihm ins Sprechzimmer zu folgen.
Erst als die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen war, erwachte Janine aus ihrer Erstarrung.
»So, und jetzt erzählst du mir sofort, was hier vor sich geht!«, verlangte sie energisch und stemmte die Hände in die Hüften.
Glücklicherweise bemerkte Wendy in diesem Moment die nächste Patientin, die gleichzeitig mit Daniel Norden munter plaudernd die Praxis betrat. Das war ihre Rettung.
»Nichts geht vor sich«, erwiderte sie freundlich lächelnd. »Ich habe nur beschlossen, das Leben in Zukunft etwas leichter zu nehmen. Alles kann, nichts muss.« Damit wandte sie sich an Simone Becker, die an den Tresen getreten war, und begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln.
Zähneknirschend musste sich Janine fürs Erste mit dieser Antwort zufriedengeben. Doch schon jetzt konnte sie sicher sein, dass sie spätestens in der Mittagspause alles erfahren würde, was sie wissen wollte. So gut kannte sie Wendy inzwischen, dass sie ihr Geheimnis letztlich doch mit ihr teilen würde, und sie freute sich schon jetzt auf die vielversprechenden Details.
*
Als selbstständiger Softwareentwickler konnte Marco auch auf dem Hof seiner Freundin arbeiten und verbrachte den Vormittag im Arbeitszimmer, das er schon öfter genutzt hatte. Vom Schreibtisch aus blickte er hinaus auf Felder und Wiesen, die von einem sattgrünen Mischwald eingefasst wurden. Dieser Anblick war inspirierend und beruhigend zugleich, und der Gedanke daran, vielleicht schon bald immer dort arbeiten zu können, beflügelte Marco. Gegen Mittag rollte er vom Schreibtisch zurück, streckte sich und stand auf, um eine Pause zu machen. Wenn alles normal lief, kam Anian in einer Stunde nach Hause, und Marco hatte sich vorgenommen, ihn mit einem Mittagessen zu begrüßen.
»Vielleicht merkt er dann, dass das Zusammenleben auch angenehme Seiten hat«, murmelte er hoffnungsvoll, als er Zwiebeln schnitt und Tomaten für eine frische Nudelsauce würfelte.
Der rustikale Holztisch auf der Terrasse war gedeckt, und das Nudelwasser brodelte auf dem Herd, als Marco das Knattern des Mofas hörte. Er wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab und trat vor die Tür, um Teresas Bruder zu begrüßen.
»Hallo, Anian, wie geht’s?«, fragte er freundlich, als der junge Mann überraschend aufgekratzt auf ihn zukam.
»Hey, alles gut.« Anians Blick fiel auf den gedeckten Tisch. »Hast du gekocht?«
»Wir Männer brauchen doch eine Stärkung«, schlug Marco einen kameradschaftlichen Ton an. »Hilfst du mir beim Tragen? Der Salat steht in der Küche, und die Nudeln sind inzwischen bestimmt auch fertig.«
»Klar!«, erklärte sich Anian zu Marcos Überraschung ohne Zögern bereit.
Seite an Seite gingen die beiden in die Küche.
»Wie war’s in der Schule?«
»Ganz cool. Hab ’ne zwei in Mathe rausbekommen.«
»Das sind ja gute Nachrichten. Gratulation«, freute sich Marco ehrlich. Anians Sinneswandel kam zwar überraschend, aber er nahm es als Zeichen, dass sich der junge Mann Gedanken gemacht und seine Meinung geändert hatte.
»Danke!« Zufrieden griff Anian nach dem Topf mit der Sauce und wartete auf Marco, der Salatschüssel und Nudeltopf auf ein Tablett stellte. »Dafür hab ich mir eine Belohnung verdient«, stellte er selbstsicher fest.
»Soso, eine Belohnung willst du?«
»Als Mama und Papa noch hier waren, gab’s immer was für gute Noten«, erinnerte Anian den Freund seiner Schwester an sein tragisches Schicksal. Das tat er nicht ohne Grund, verfolgte er doch einen Plan.
»Okay«, erklärte sich Marco ahnungslos bereit, dieses Ritual auch in Zukunft fortzusetzen. »An was hast du denn gedacht? Fünf Euro? Einen vollen Moped-Tank?« Er stellte das Tablett draußen auf den Tisch und wollte schon seinen Geldbeutel aus der Hosentasche ziehen, als Anian den Kopf schüttelte.
»Ich brauch keine Kohle«, erklärte er schlicht.
»Was stellst du dir dann vor?« Verwundert schob Marco das Portemonnaie zurück in die Tasche.
Anian antwortete nicht sofort. Er setzte sich auf die Bank an der Hauswand und wartete darauf, dass Marco ihm gegenüber Platz nahm.
»Heute Abend ist doch dieses Festival«, ließ er die Katze endlich aus dem Sack und blinzelte ins helle Sonnenlicht. »Da würd ich gern hingehen.«
Marco hatte nicht damit gerechnet, in diese Diskussion hineingezogen zu werden, und fühlte sich im