Patricia Vandenberg

Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman


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polterte er ohne Umschweife los. »Ich hatte dich doch gebeten, das Gästezimmer für Wendy zurechtzumachen.«

      Philomena machte ein unschuldiges Gesicht.

      »Aber das hier ist das schönste Zimmer im ganzen Haus. Frau Wendel gefällt es auch sehr gut, nicht wahr?«

      Wendy hätte schwören können, dass Philomenas Lächeln verschlagen war. Da sie nicht aber undankbar sein wollte, widersprach sie nicht und sagte stattdessen: »Mach dir keine Umstände. Für zwei Nächte ist das schon in Ordnung.«

      Es war Hanno anzusehen, dass er anderer Meinung war. Doch seine Schwägerin gab ihm keine Gelegenheit, etwas zu sagen. Sie ging auf ihn zu und tätschelte ihm demonstrativ vor Wendys Augen die Wange.

      »Frau Wendel möchte sich nach der anstrengenden Autofahrt sicher frisch machen. Komm, mein Lieber. Wir lassen sie allein.«

      Hanno schickte Wendy einen sichtlich hilflosen Blick, gab sich dann aber zu ihrer Enttäuschung widerspruchslos geschlagen.

      »Gut. Wir sehen uns in einer halben Stunde unten. Ist das in Ordnung für dich?«

      Einen kurzen, heißen Augenblick lang war sie versucht, den Kopf zu schütteln. Doch dann siegte ihre Vernunft.

      »Natürlich. Bis gleich«, erwiderte sie und sah den beiden nach, wie sie das Zimmer verließen.

      Erst als Wendy allein war, ließ sie ihrer Enttäuschung über Hannos Verhalten freien Lauf.

      »Schnepfe«, stieß sie durch die Zähne hervor. Gleichzeitig verurteilte sie Hanno wegen der offensichtlichen Schwäche seiner Schwägerin gegenüber. »Warum bin ich jetzt enttäuscht?«, fragte sie sich selbst. »Ich wusste doch, dass es den perfekten Mann nicht gibt.« Trotzdem tat es weh, diese Seite von Hanno kennenzulernen. Und Wendy war sich nicht sicher, ob sie das Abenteuer an dieser Stelle nicht lieber abbrechen sollte.

      *

      Bebend vor Wut stand Marco vor dem Vorbereitungsraum zum Operationssaal. Er hatte die letzten Worte von Anians Lüge mitbekommen. Noch bevor er Gelegenheit hatte, die Angelegenheit richtigzustellen, war Teresa aber in den Operationssaal geschoben worden. Und jetzt war es zu spät.

      Anian erschrak, als er auf den Flur hinaustrat und Marco dort stehen sah. Mit ihm hatte er nicht gerechnet, und seine Miene versteinerte augenblicklich.

      »Ach, du bist auch hier?«, fragte er scheinheilig. »Ich hab dich vorhin gar nicht gesehen.«

      »Ich war vor dir bei Teresa und war kurz auf der Toilette«, erwiderte Marco eisig. Sein Blick war durchdringend, und Anian fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Unter keinen Umständen wollte er klein beigeben; er starrte herausfordernd zurück.

      »Was ist? Passt dir meine Nase nicht, oder warum schaust du mich so an?«

      Um nicht wieder eine falsche Antwort zu geben, atmete Marco ein paar Mal tief ein und aus.

      »Dich interessiert wohl überhaupt nicht, dass du mit deiner Lügengeschichte das Leben deiner Schwester ruinierst?«, fragte er schließlich besonnen.

      Anian lachte hämisch auf.

      »Ich sehe das anders. Im Gegensatz zu dir liebe ich Tessa nämlich. Ich will sie davor beschützen, dass sie in ihr Unglück rennt.« Er warf den Kopf in den Nacken und sah Marco trotzig an.

      Trotz aller Beherrschung verlor Marco allmählich die Geduld.

      »Dich interessiert deine Schwester und das, was sie sich wünscht, doch gar nicht. Sonst würdest du ihr nicht in ihrer schrecklichen Situation solche Geschichten erzählen und ihr das Leben damit zusätzlich schwer machen.«

      Der Ernst in Marcos Stimme irritierte Anian nun doch.

      »Wieso schreckliche Situation?«, fragte er verunsichert. »Es ist doch bloß ein kleiner Eingriff.«

      Marco haderte mit sich. Er dachte an das Versprechen, das er Teresa gegeben hatte. Und wusste gleichzeitig, dass er es diesmal brechen musste, wenn es überhaupt noch einen Weg für ihn und Anian geben sollte.

      »Tess geht es viel schlechter, als du denkst. Eigentlich ist sie zu schwach für eine Narkose. Aber die Entzündung im Fuß bedroht ihr Leben. Diese Operation ist ein Wettlauf mit der Zeit«, erklärte er sehr ernst, sich der Dramatik der Lage wohl bewusst. »Wenn es den Ärzten nicht innerhalb kürzester Zeit gelingt, den Infektionsherd zu entfernen, dann schwebt deine Schwester in Lebensgefahr.«

      Anian schluckte. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.

      »Aber sie war doch ganz munter vorhin. Gut, ein bisschen blass. Aber sonst …«, stammelte er verzweifelt.

      »Teresa geht bis an ihre Grenzen und darüber hinaus, um die schöne Fassade für dich aufrechtzuerhalten. Du sollst nicht noch mehr leiden, als unbedingt nötig. Das ist ihr größter Wunsch. Dafür würde sie alles tun.«

      Anian biss sich auf die Lippe. Doch noch war er nicht so weit, seinen Fehler einzugestehen. Er starrte auf die Spitzen seiner ausgetretenen Turnschuhe und presste beleidigt die Lippen aufeinander.

      »Hast du schon mal drüber nachgedacht, dass Tessa auch einen Verlust erlitten hat, als eure Eltern gestorben sind? Dass auch ihr Leben seither nicht mehr dasselbe ist?«, fuhr Marco fort.

      Doch davon wollte Anian nichts wissen; er presste die Hände auf die Ohren.

      »Hör schon auf mit deinem salbungsvollen Geschwafel«, schimpfte er wütend. »In Wahrheit interessiert sich doch auch keiner für mich. Oder hast du schon mal eine einzige Sekunde drüber nachgedacht, warum ich solche Geschichten erzähle?«

      Marco seufzte.

      »Ehrlich gesagt habe ich im Augenblick andere Probleme.«

      Langsam nahm Anian die Arme wieder herunter.

      »Es ist wegen des Festivals«, fuhr er leise fort, und plötzlich meinte Marco, Tränen in den Augen des Teenagers glitzern zu sehen. »Das Mädchen, mit dem ich hingehen wollte, geht jetzt mit meinem besten Freund.« Verstohlen wischte er sich mit dem Ärmel über die Augen und ärgerte sich gleichzeitig darüber, vor Marco Schwäche zu zeigen.

      Dem ging langsam ein Licht auf.

      »Und so jemanden nennst du deinen besten Freund?«, fragte er ungläubig.

      Anian zuckte mit den Schultern.

      »Sie hätte ja nicht Ja sagen müssen, als er sie gefragt hat.«

      »Er hätte sie gar nicht erst fragen dürfen«, widersprach Marco energisch. »Aber abgesehen davon war das Mädchen dann einfach nicht die Richtige für dich.«

      »Das sagst du so einfach«, entfuhr es Anian, und er wirkte auf einmal wie ein hilfloser kleiner Junge, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hatte. »Ich hab nicht so viele Chancen bei den Mädchen. Christina war die erste seit Wochen, die sich mit mir treffen wollte.«

      Im ersten Augenblick wollte Marco laut herauslachen. Doch dann erinnerte er sich an seine eigene Jugend, an all die Sorgen und Nöte und Unsicherheiten, mit denen er sich als Teenager herumgeschlagen hatte. Sie waren nicht weniger bedeutungslos gewesen als die von Anian. Und doch hatten sie sich wie echte Probleme angefühlt, waren schwerwiegend und dramatisch gewesen.

      »Ich kann mich gut dran erinnern, wie sich das anfühlt«, gestand er mit vollem Ernst und brachte Anian damit zum Staunen.

      »Dir ist so was auch schon passiert?«

      »Na klar!« Jetzt lachte Marco doch. »Und nicht nur einmal. Es hat Jahre gedauert, bis ich eine Frau wie deine Schwester treffen durfte. Ich war dem Schicksal unendlich dankbar, dass es mir Teresa geschickt hat.« Er hielt inne und biss sich auf die Lippe. Marco konnte nur ahnen, was Anians Lüge in Teresa bewirkt haben mochte. Und er wusste auch, wie sie sich im Zweifel entscheiden würde, entscheiden musste, selbst wenn ihr Herz eine andere Sprache sprach. »Dass es jetzt wahrscheinlich vorbei ist, ist das Schlimmste, was mir passieren konnte. Teresa zu verlieren …« Er konnte nicht weitersprechen.

      Erst