Augen an seinem Mund. Sie hat mit einem Schwächeanfall zu kämpfen. Wie sehr muß Albert unter dem Verlust des einzigen Sohnes leiden! Armer Günther! Er hat sich als ein so prächtiger Kamerad erwiesen, und sie hat ihm vor seinem Abflug alle Hoffnungen genommen.
Sie legt das Gesicht in die Hände.
»Fräulein Braun – Marina«, hört sie wie aus weiter Ferne die geliebte Stimme, die Stimme, die sie bis in ihre Fieberträume hinein verfolgt hat. »Ich weiß, Sie haben meinen Sohn geliebt.«
Lange bleibt es still zwischen ihnen, bis Marina endlich begriffen hat.
»Nein!« schreit sie förmlich. »Ich habe ihn nicht geliebt. Er war mir ein guter Kamerad, mehr nicht.«
Voller Bestürzung erhebt Gellert sich.
»Aber mein Sohn hat mir doch gesagt –«
Er verstummt vor ihrem traurigen, flehenden Blick. Da läßt er sich wieder nieder. Behutsam nimmt er ihre Hand, die zittert.
»Ich will Sie nicht quälen, Marina. Jetzt tut es mir leid, daß ich Sie mit dieser Nachricht überfallen habe. Ich konnte doch nicht wissen –«
Er verstummt. Er weiß wirklich nicht, was er von Marina denken soll. Wie konnte er sich so irren? War er nicht immer in dem Glauben gewesen, Marina und Günther würden heiraten? Er hätte nie etwas dagegen gesagt, so sehr er auch darunter gelitten hätte. Daß Günther Marina geliebt hat, davon ist er fest überzeugt. Ist Marina nicht etwas wie ein Vermächtnis Günthers? So sehr ihn der Schmerz um den Verlust des Sohnes peinigt, etwas erfüllt sein Herz mit Hoffnung: Er könnte um Marina werben. Vielleicht könnte er ihr Herz, ihre Liebe gewinnen?
Und noch etwas läßt sein Herz höher schlagen. Er wird Marina in Zukunft besuchen können, um über ihre weitere Genesung zu wachen. Jetzt gibt es keine Rivalität mehr zwischen seinem Sohn und ihm.
Immer noch hält er Marinas Hand. Sie hat den Kopf zurückgelegt, und unter den seidigen Wimpern quillt es hervor, rinnt über die Wangen. Besorgt betrachtet Gellert das junge Mädchen, das lautlos vor sich hin weint.
Annemarie kehrt aus der Küche zurück und stellt das Tablett auf den Tisch.
»Mein Gott, Liebes, du weinst?« Ganz bestürzt beugt sie sich über die Freundin. »Hast du Schmerzen? Fühlst du dich nicht wohl?«
Sie weiß, daß Marina in letzter Zeit oft weint. Was sie nicht weiß, ist, daß Marina sich morgens häufig erbrechen muß.
An ihrer Stelle antwortet Gellert.
»Leider gab ich den Anlaß zu Fräulein Brauns Weinen. Mein Sohn ist tot – abgestürzt.«
Annemarie muß sich schnell hinsetzen. »Das ist doch nicht möglich«, stößt sie hervor.
»Leider ist es so. Meine Nachricht hat Fräulein Braun erschreckt. Aber ich wollte es ihr persönlich sagen, da ich annahm –«
Wieder vollendet er nicht, aber Annemarie errät, was er sagen wollte. Auch er ist der Meinung, Marina habe seinen Sohn geliebt.
Trotzdem, sie waren gut befreundet, und es ist immer ein schwerer Verlust, einen guten Freund zu verlieren.
So kann sie Marinas Schmerz gut verstehen.
Verlegen schiebt sie dem Generaldirektor ein Glas zu, das dieser dankend nimmt und austrinkt. Marina nippt nur. Immer noch laufen ihr die Tränen über die Wangen. Sie scheint aufzuatmen, als Gellert sich verabschiedet.
Draußen sagt er zu Annemarie: »Es ist doch gestattet, wiederzukommen?«
»Sie sind uns jederzeit herzlich willkommen.«
»Danke.« Mit einer höflichen Verbeugung geht er aus der Tür und langsam die Treppe hinab. Auf seiner Stirn steht eine steile Falte.
Er hört Marinas Stimme in seinen Ohren klingen: Nein – ich habe ihn nicht geliebt.
*
Als Annemarie zu Marina zurückkommt, findet sie diese von einem Weinkrampf geschüttelt vor. Liebevoll redet sie auf Marina ein. Sie trocknet ihr die nassen Wangen und hebt ihr Kinn hoch, so daß Marina sie ansehen muß.
»Geht dir Günthers Tod so nahe, Liebes?«
»Oh, mein Gott!« Aus großen, verstörten Augen sieht Marina die Freundin an.
»Ich bekomme ein Kind – und – und Günther ist sein Vater.«
»Marina!« Annemarie springt auf. »Das – das kann doch nicht möglich sein!«
»Es ist aber so, Annemarie.« Stokkend berichtet Marina, was sich damals in der Hütte abgespielt hat. »Nun kannst du mich verurteilen, Annemarie. Ich hielt Günther im Fieber für seinen Vater, den ich von ganzem Herzen liebe. Wir glaubten beide, daß wir nicht mehr aus der weißen Hölle herauskämen, und so geschah es. Wir suchten gegenseitig Schutz.« Marina schlägt die Hände vor ihr Gesicht. »Jetzt möchte ich wirklich sterben.«
In Annemarie werden alle mütterlichen Instinkte wach.
»Unsinn, Marina. Du wirst nicht sterben, du wirst leben und dein Kind mit Freude erwarten. Ich bin doch auch noch da, vergiß das nicht.«
Ja – du bist auch noch da – denkt Marina und ihre Gedanken weilen bei Albert Gellert, zu dem sie sich den Weg selbst verbaut hat. Annemaries Gedanken laufen in anderer Richtung. Gellert muß es erfahren. Er muß wissen, daß Marina seine Schwiegertochter hätte werden sollen.
Sie schweigt jedoch darüber. Sie ist liebevoll um Marina bemüht, bis diese endlich eingeschlafen ist.
Tage vergehen, Tage, die für Marina zur Qual werden, Tage, in der die innere Verzweiflung bis zur Unerträglichkeit wächst.
Annemarie beobachtet diesen verzweifelten Kampf. Sie wagt kaum noch aus dem Haus zu gehen. Nur wenn ihr Verlobter, Doktor Hartmann da ist, macht sie Besorgungen.
An einem solchen Tag macht sie sich zum Ausgang fertig. Sie hat vorher ihren Plan genau mit Hartmann besprochen, und er hat ihr voll zugestimmt.
Annemarie fährt mit ihrem Sport-zweisitzer zum Illermann-Konzern und läßt sich durch Barbara anmelden.
»Was hatten Sie mir zu sagen? Schickt Fräulein Braun Sie zu mir?« beginnt er die Unterhaltung. Entsetzt hebt Annemarie die Hände.
»Aber nein, Herr Generaldirektor. Sie weiß es nicht einmal, und sie darf es auch nicht erfahren.«
Nach kurzer Überlegung meint er: »Dann muß es etwas Schwerwiegendes sein.«
Annemarie redet sich in Erregung. Wie wird er reagieren auf das, was sie ihm unbedingt mitteilen muß? Es geht um Marina.
Sie schöpft einmal tief Atem, und dann sagt sie völlig übergangslos:
»Marina erwartet ein Kind, und Ihr Sohn ist der Vater!«
Nach diesem Geständnis bleibt es unheimlich still. Gellert ist wie erstarrt. Er blickt ins Leere. Einen klaren Gedanken kann er nicht fassen.
Annemarie wird unruhig. Sie blickt scheu in das rassige Gesicht des Mannes, das ihr auf seltsame Weise versteinert vorkommt.
Sie hat es ja geahnt, daß er nunmehr die Hand von Marina ziehen wird. Und gerade jetzt braucht sie Freunde, gute, verständnisvolle Freunde. Sie richtet sich wie zum Kampf auf. Nun gut, dann werden sie und ihr Verlobter sich um Marina kümmern.
Langsam erhebt sich Gellert. Sein Gang ist schwerfällig, als er zum Fenster geht. Annemarie unterbricht das Schweigen nicht. Sie wartet, fieberhaft und enttäuscht zugleich.
Plötzlich dreht er sich um.
»Ich werde Marina heiraten. So bekommt das Kind den Namen seines Vaters, und keiner wird auf den Gedanken kommen, daß es nicht mein Kind ist.«
Seine Stimme scheint aus weiter Ferne zu kommen. Er wird Marina heiraten. Sie wagt nicht, die schwerwiegende Frage zu stellen, ob er Marina auch liebt. Er hat es ja selbst gesagt, er will nur dem Kind seinen Namen geben.
Ob