Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman


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in dem Angela eben noch gesessen hatte. Angelas flüchtiger Schritt verlor sich über die Treppe – dann war es still.

      Bettina saß mit vorgebeugtem Oberkörper und lauschte in die Stille des Hauses.

      Es hielt Bettina nicht mehr auf dem Platz. Vor dem Schreibtisch blieb sie gedankenverloren stehen.

      Ihre Hände flogen vor Aufregung. Sich gewaltsam zur Ruhe, zum nüchternen Denken zwingend, umkrampfte sie die Schublade – und fühlte im nächsten Augenblick etwas Kaltes, Glattes zwischen den Fingern.

      Vaters Revolver! Schaudernd schleuderte sie das Fach zu, so daß von der Wucht des Anpralls ein Kinderbild Angelas von der Wand fiel und der Glasrahmen klirrend am Boden zersprang.

      Bettina achtete kaum darauf. Mit zitterndem Herzen lehnte sie am Schreibtisch, die Hände immer noch um den Griff des Faches geklammert, die Augen ins Leere, durch das offene Fenster nach dem Gartentor zu gerichtet.

      Plötzlich kam Leben in sie. Abermals nahte ein Wagen dem Haus. Fritz Hersfeld! durchschoß es sie. Kam er nicht wie gerufen? Kam er nicht im rechten Augenblick, um sie und Angela zu schützen?

      Doch da ging es wie ein Ruck durch ihren Körper. Nicht Hersfeld kam – Dr. Heykens war dem Wagen entstiegen.

      Bettina, ihrer Gedanken kaum mehr mächtig, wischte sich über die Augen.

      Ja, es war Peter, der mit festen, sicheren Schritten durch das Tor ging und auf das Haus zugeschritten kam.

      Angela – Reimer – und nun Peter?

      Gütiger Himmel! Zittern überlief sie. Sie wollte laufen, aber sie konnte nicht. Der Schreck hatte ihr die Glieder gelähmt. Aber sie mußte doch hinunter! Angela brauchte sie.

      Klang da nicht ein Schrei auf? Ein gellender, verzweifelter Schrei? Und kam er nicht aus dem Munde ihres Kindes?

      Stoßweise rang sich der Atem über ihre Lippen. Weshalb stand sie hier? Weshalb zögerte sie noch? Sie mußte zu Angela!

      Rein mechanisch hatte sie den Kasten wieder aufgeschoben. Ihr Blick fiel auf den Revolver – und da hatte sie ihn schon gepackt, mit einer ruhigen, entschlossenen Bewegung.

      Und merkwürdig, kaum fühlte sie die Waffe zwischen den Fingern, bekam sie auch die Gewalt über ihre Glieder wieder.

      Sie konnte auch wieder denken – und diese Ruhe und Kraft ging allein von dem Revolver aus, den sie in den Falten ihres Kleides barg.

      Lautlos glitt sie aus dem Zimmer.

      Angela – Peter – ich will ja nur euer Glück! dachte sie mit einem schattenhaften Lächeln.

      *

      Weder Angela noch Reimer hatten auf Frau Bettina geachtet, die fast gleichzeitig mit Dr. Heykens aufgetaucht war und auf dem oberen Treppenabsatz regungslos verharrte, das Gesicht den drei Menschen zugewandt, die sich in Bestürzung und atemloser Spannung gegenüberstanden.

      Sie zuckte nicht einmal zusammen, als ein rauhes Lachen von den Lippen Dr. Heykens brach. Sie sah nur den Mann, der sie ein Leben lang gepeinigt und gequält hatte und gegen den sie sich nicht hatte wehren können. Udo Reimer!

      Ihr Blick blieb auf dem blassen Gesicht Angelas haften, das Schreck und Verzweiflung so deutlich widerspiegelte.

      Die Linke auf den Mund gepreßt, um jeden Laut zu ersticken, die Rechte um den Revolver geklammert, vernahm sie Heykens’ kalte, schneidende Stimme:

      »Das trifft sich ausgezeichnet. Ich hätte mir diesen Weg ersparen können! Wenn ich mir bis jetzt noch im Zweifel war, dann hat mir dieses Zusammentreffen die Augen geöffnet. Wirklich fein ausgeklügelt! Der liebesblinde Dr. Heykens gibt seinen ehrenhaften Namen, um deine dunkle Vergangenheit zuzudecken. Da!« Mit einer verachtungsvollen Bewegung schleuderte er Angela den schmalen goldenen Reif vor die Füße. »Behalte ihn als Andenken! Beinahe wäre ich deinem frevelhaften Doppelspiel zum Opfer gefallen. Ich brauche mir wenigstens nicht den Vorwurf zu machen, daß du an Liebesleid zugrunde gehst – mein Nachfolger hat sich ja bereits eingefunden.«

      »Peter – ich bitte dich – halt ein!« schrie Angela gequält auf und streckte flehend die Arme aus. »Hör mich an, Peter…«

      Sekundenlang hatte es den Anschein, als warte er nur darauf, daß Angela, die ihm diesen wahnsinnigen Schmerz zugefügt hatte, sprechen, sich verteidigen möchte, aber dann traf ein schneller, schräger Blick das höhnisch lächelnde Gesicht Reimers, und wortlos wandte er sich zur Tür, um wie angewurzelt stehenzubleiben vor dem gebieterischen »Halt!«, das hart in das qualvolle Schweigen fiel.

      Drei Augenpaare starrten auf Bettina, die langsam, fast feierlich die Stufen herabkam und am Fuß der Treppe erneut den Schritt hemmte.

      Angela faßte mit beiden Händen nach ihrem Hals. Ihr war, als presse eine Hand ihre Kehle zusammen.

      »Mutti!« preßte sie atemlos hervor. Sie wollte an die Seite der Mutter flüchten, aber eine herrische Handbewegung bannte sie an ihren Platz. Ihre Nerven waren zum Reißen gespannt, und ihr Herz arbeitete fieberhaft. Etwas Schreckliches, unsagbar Beängstigendes kam mit Riesenschritten auf sie zu. Sie spürte aber, daß keines ihrer Worte das Ohr der Mutter treffen würde.

      Anders, ganz anders wirkte Bettinas Auftauchen auf Dr. Heykens. Sein Mund verzog sich zu einem fast mitleidigen Lächeln.

      »Auf eine weitere Erklärung Ihrerseits verzichte ich, gnädige Frau«, sagte Dr. Heykens kalt und unpersönlich.

      Bettina hob die Hand, die die verdunkelten, flammenden Augen von Reimers Gesicht zu lassen, und hinderte ihn so am Weitersprechen. Mit dem Finger auf Reimer weisend, sagte sie ruhig:

      »Schweig jetzt, Peter, jedes kränkende Wort vermehrt Angelas Herzeleid noch. Dieser Mann da wird dir nunmehr die einzige wahrhafte Erklärung geben.« Ihre Stimme wuchs zu einem Drohen an. »So wahr ihm Gott helfe – er wird die Wahrheit sagen.«

      Keiner hatte auf Reimer geachtet, der unwillkürlich ein paar schleppende Schritte nach der Tür gemacht hatte. Sein Gesicht war mit einem fahlen Grau überzogen, in den tiefliegenden Augen flackerte die Furcht auf.

      Seltsam war das mit ihm. Er brachte kein Lächeln, das Sicherheit und Überlegenheit vortäuschen sollte, mehr zustande. Nur ein Verzerren der Mundwinkel, in denen es heimlich zitterte, war es. Er vermochte auch den Blick nicht von den drohenden Frauenaugen zu lösen.

      Blitzschnell hasteten die Gedanken hinter seiner Stirn. Sie wollte ihn zwingen zu sprechen? Sie verlangte, daß er das Lügennetz, das er so sorgfältig geknüpft hatte, zerriß? Was bis jetzt nach Wunsch geklappt hatte, sollte er dicht vor dem Ziel aufgeben? Eine Zukunft der Sorglosigkeit und des Wohllebens sollte er dem verrückten Frauenzimmer opfern?

      Reimer rettete sich mit unglaublicher Gewandtheit hinter eine unbefangene Miene. Sein Ton klang harmlos, erstaunt.

      »Eine Erklärung – von mir? Die kann ich dem Herrn Doktor schon geben, vielmehr einen guten Rat. Ich würde an seiner Stelle den Schauplatz dieser Szene so schnell wie möglich verlassen. Für Menschen mit übertriebenem Ehrgefühl bleibt schließlich keine andere Lösung.«

      »Ist das deine – Erklärung?« fragte Bettina, und ihre Augen schlossen sich vorübergehend wie im Schmerz zu einem Spalt, um im nächsten Augenblick weit geöffnet und drohend den Sprecher zu treffen. »Ich gebe dir noch ein paar Minuten Zeit, dein schändliches Spiel zu enthüllen, womit du zwei junge Menschen auseinanderzureißen gedachtest, dann – dann ist auch meine Geduld erschöpft.«

      »Ein Spiel? Ich verstehe nicht! Nie war es mir ernster zumute als gerade jetzt. Angela soll ihn doch laufenlassen. Ein viel größeres Glück wartet auf sie, wenn sie auf mich hört…«

      Ein erstickter Laut des Entsetzens fiel von Angelas Lippen.

      Langsam wandte sich Dr. Heykens voll namenloser Verachtung zum Gehen.

      Doch die dunkle, vor Erregung heisere Frauenstimme, von der etwas Zwingendes ausging, veranlaßte ihn abermals, abwartend stehenzubleiben.

      »Du gibst also zu, daß