ich, Deine Mutter, eine Mörderin bin.
Ich glaube nicht daran, doch solltest Du einmal in inneren Zwiespalt geraten, dann denke daran, daß ich ruhig und zufrieden bin, weil ich weiß, daß Du niemals mehr vor dem Mann, der dein Vater war, heimlich zu zittern brauchst.
Peter Heykens liebt Dich und wird Dich so glücklich machen, wie ich Dich immer gern sehen wollte.«
Angela weinte stundenlang nach solchen ergreifenden Briefen, die nichts als Liebe für sie enthielten.
Peter Heykens hatte nicht wieder den Versuch gemacht, sich Angela zu nähern. Sie glaubte, ihre Liebe zu ihm sei tot, aus Sorge um das ungewisse Schicksal der Mutter gestorben. Und die Mutter lebte in dem stillen Glauben, es sei alles wieder gut zwischen ihnen!
Zum ersten Male verstand Angela die Mutter nicht. Kannte sie ihr Kind so schlecht? Mußte sie nicht wissen, daß sie sich niemals ein Glück auf dem zerstörten Leben der Mutter aufbauen konnte, niemals?
So rang Angela Nacht für Nacht mit ihrer Liebe, füllt ihrem jungen, gepeinigten Herzen.
Sie war noch so unerfahren, und woher sollte sie um die Tiefe einer Liebe, wie die Peter Heykens’ wissen, neben der gleich stark die Eifersucht flammte, die schon die klügsten Männer zu voreiligen Schritten getrieben hatte?
Und dann stand auch der Schatten Reimers auf. Konnte ein aufrechter Mann wie Peter vermuten, daß ein Mann so geschickt zu lügen und intrigieren verstand?
Ach, Angela fand sich nicht mehr heraus aus diesem Wirrwarr der Gefühle, Zweifel – und Entschuldigungen.
Sie wollte ja nicht mehr an Peter denken nur an die Mutter!
Mitten in diese Zeit furchtbarer Herzenskämpfe fiel der Besuch von Frau Elke Heykens.
Eines Tages stand sie vor Angela, gramgebeugt, ein hilfloses Lächeln um den Mund.
»Ich bin Peters Mutter«, sagte sie und umschloß mit einem verlegenen und zugleich bittenden Blick das süße, leidvolle Gesichtchen der lieben Angela.
Stumm wies Angela auf einen Sessel, und stumm saßen sie sich gegenüber. Frau Elke war erschüttert, und eine Welle von Mitleid und Liebe strömte von ihr hin zu dem zarten Geschöpf.
»Verzeihen Sie, Fräulein Angela«, schluchzte sie auf, »vergeben Sie mir, wenn ich Ihren Schmerz störe und um meinen Sohn bitte! Ist es denn so furchtbar schwer, Peter zu verzeihen und an seine Liebe zu glauben? Sie dürfen Peter nicht mit dem üblichen Maß messen. Er ist nun einmal kein Alltagsmensch, folglich muß auch die Frau, die er liebt, etwas Besonderes sein. Das glaubte er, in Innen gefunden zu haben. Da begannen frevelhafte Hände, das Bild zu zerstören, das er sich von Ihnen gemacht hatte. Konnte er wissen, daß alles Lüge wart? Bis zu dem Augenblick, da er erfuhr, daß Ihr eigener Vater der Glückszerstörer war, hatte Peter unsagbar um diese Liebe gelitten. Auf einmal standen Sie wieder in aller Reinheit vor ihm, und seine Liebe erfuhr die letzte Steigerung. Sie aber stießen ihn zurück, Sie glaubten nicht mehr an seine starke Zuneigung, das raubte meinem allzeit besonnenen Jungen fast den Verstand. Er ist auf dem besten Weg, sich zu verlieren, Fräulein Angela. Ich sehe täglich diesen Verfall vor meinen Augen, und mein Herz will sich umdrehen dabei. Er schleppt sich durch die Tage, vergräbt sich in seine Arbeit und richtet sich gewaltsam zugrunde.«
Frau Elke riß die Hände Angelas an sich und fuhr in flehendem Ton fort:
»Nicht wahr, Fräulein Angela, das werden Sie doch nicht wollen, daß Peter zerbricht? Er hält sich eisern an das, was Sie ihm sagten: Sie wollten ihn nie wieder sehen. Schließlich muß ein Mann seinen Stolz haben und auch behaupten. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Peter hat bereits Schritte unternommen, um sich von Professor Langhammer zu lösen. Alles will er aufgeben – und als Kolonialarzt nach Afrika gehen. Fräulein Angela, ich, Peters Mutter, möchte Sie auf den Knien bitten, verhüten Sie diesen Verzweiflungsschritt! Nur Sie allein können Peter bewegen, diesen unseligen Plan aufzugeben. Ich weiß, ich fühle es, wenn Peter die Heimat verläßt, dann sehe ich ihn nie wieder. Er sucht Gefahr – vielleicht den Tod. Können Sie das auf Ihr Gewissen laden? Sagen Sie mir, lieben Sie meinen Sohn wirklich nicht mehr? Ist das Opfer so groß, den ersten Schritt zu wagen, nachdem Sie Peter gehen ließen?«
Angelas Zähne schlugen wie im Frost zusammen. Die leidenschaftliche Bitte einer Mutter – Peters Mutter – riß sie von einer Stimmung in die andere. Und als Frau Elke ganz erschöpft in einen Sessel sank, das Gesicht bitterlich weinend tief in den Händen vergraben, da hielt es sie nicht mehr auf ihrem Platz.
Vor Frau Elke ließ sie sich in die sie sinken und schmiegte ihr heißes Gesicht gegen ihre Hände.
»Ich habe ihn ja so lieb, meinen Peter«, bekannte sie innig. »Jetzt weiß ich es wieder. Zuviel brach über mich herein, mein Herz vermochte es kaum zu fassen. Nur Zeit lassen muß er mir. Wenn er mich wirklich liebt, dann wird er mich auch verstehen. Solange ich nicht um das Schicksal meiner Mutter Bescheid weiß, solange gibt es kein Glück für mich. Verstehen Sie mich doch bitte nicht falsch!«
Mit einer zärtlichen Bewegung nahm Frau Elke das schmale Mädchengesicht zwischen ihre Hände.
»Ich danke dir, Angela! Nicht wahr, ich darf so zu dir sagen? Mein Leben lang will ich es dir danken. Nun überwinde dich ganz – und geh zu Peter! Mir glaubt er nicht – aber dir, kleine Angela! Peter ist unbändig stolz, und Mitleid würde er zurückweisen. Geh zu ihm – ich bitte dich so sehr ich nur kann!«
Ein heller Schein ergoß sich über Angelas Gesicht.
»Ja, ich komme zu ihm«, kam es erlöst von ihren Lippen, und gleich darauf preßte sich ein welker, zitternder Mund dankbar auf ihre Stirn.
*
Dr. Hagedorn hatte viel Material zugunsten Frau Bettinas zusammengetragen, aber das, was er noch unbedingt benötigte, konnte er nicht erfahren. Zäh, beharrlich verfolgte er sein Ziel, und mit einemmal kam ihm wie eine Erleuchtung der Gedanke:
Ob er seine Klientin wohl zum Sprechen bringen könnte, wenn er eben an ihre große Mutterliebe appellierte? Wenn er nun zu einer einfachen List griff?
Die nächste Stunde fand ihn schon auf dem Wege ins Gefängnis, und etwas später trat er bei Bettina ein.
Unruhig wanderte sie hin und her; sie verhielt aber den Schritt, als sie ihn erblickte.
Er merkte sofort, daß sie heute anders war als bisher, ganz anders, nicht mehr so ausgeglichen, obgleich sie ihre Erregung tapfer vor ihm zu verbergen suchte.
Hatte er die Stunde günstig gewählt?
Ermattet setzte sie sich auf den
Bettrand, und das Tageslicht beleuchtete ihre Züge. Sie waren zerwühlt und verfallen. Die Augen brannten in dem farblosen Gesicht, es sah aus, als habe sie seit Tagen nicht geschlafen.
»Was wüschen Sie von mir?« fragte sie mit heiserer Stimme.
»Ich wollte mich vorerst nach Ihrem Befinden erkundigen und dann ein wenig mit Ihnen plaudern«, begann er ruhig.
Ihre Hand fuhr nach dem Herzen, und sekundenlang preßten sich ihre Lippen fest aufeinander, als wollten sie einen Schmerz gewaltsam unterdrücken. Dann schüttelte sie den Kopf:
»Danke, es geht mir gut«, erwiderte sie kurz. »Bitte kommen Sie auf den Zweck Ihres Besuches, ich – ich fühle mich sehr müde.«
Man muß ihr den Arzt schicken, sann er, und zugleich stellte er entsetzt fest, daß ihr Haar in den wenigen Tagen, in denen er sie nicht gesehen hatte, fast weiß geworden war.
Wunderbar schön und ergreifend sah sie aus, schön durch das Leid, das das schmale Antlitz noch veredelt hatte.
»Haben Sie sich schon einmal genau überlegt«, nahm er vorsichtig das Gespräch auf, »daß Sie eigentlich Ihrem Kinde mehr schaden als nützen, wenn Sie so hartnäckig über die Gründe schweigen, die Sie zu der Tat trieben.«
Mit schreckhaft geweiteten Augen sah sie zu ihm hinüber.
»Meinem Kind schaden? Ich verstehe Sie nicht recht«,