wieder stirbt und verglimmt.
»An den Galgen das ganze Judenpack!« gellte es aus der Menge. »Sie sollen ihren Schicksen nicht Röcke aus Meßgewändern nähen! Sie sollen nicht Zeichen machen über die heilige Hostie! In den Dnjepr mit den Ungläubigen! Ersäuft sie!«
Dies Stichwort, das irgendeiner gegeben hatte, schlug wie der Blitz ein, die Menge strömte in die Vorstadt, entschlossen, alle Juden niederzumachen.
Den unglücklichen Söhnen Israels, die von Haus aus keine Helden waren, fiel das Herz in die Hosen, sie verkrochen sich in leere Schnapsfässer, in Backöfen und sogar unter die Röcke ihrer Schicksen; aber die Kosaken stöberten sie überall auf.
»Erlauchteste Herren!« schrie ein langer, dürrer Jude und reckte seine jämmerliche, angstverzerrte Visage über die Häupter seiner Genossen vor. »Erlauchteste Herren! Laßt doch die armen Jüden sagen ä Wort, ä einzigstes Wort! Mer wollen euch eppes verzählen, was ihr noch nie habt gehört – eine so grauße Sache, es läßt sich gar nix beschreiben, wie grauß!«
»Na, laßt ihn reden!« sagte Bulba, der immer dafür war, auch den Angeklagten zu hören.
»Erlauchte Herren!« stammelte der Jude. »Solche Herren hat mer noch niemals gesehn, Gott soll mich strafen, gar nie! So goldne, so graußmütige, tapfre Herren waren noch nich auf der Welt!« Seine Stimme erstarb und bebte vor Angst. »Wer hat gesagt, daß mer könnten denken eppes Schlechtes von den Herren Kosaken? Das sind nich ünsere Leut, was machen den Pächter im Grenzland! Gott soll mich strafen: nich ünsere Leut … So was tut doch kä Jüd, der Teufel soll wissen, was das fer ä Volk is; anspucken soll mer de Gannefs, kalt soll mer se machen. Nu–u, sagen nich meine Freunde das gleiche? Is es die Wahrheit oder nich, was sagste, Schlomm, und du, Schmuhl, was sagste?«
»De lautere Wahrheit, Gott soll üns strafen!« krächzten Schlomm und Schmuhl, die Gesichter unter den zerlumpten Mützen weiß wie die Wand.
»Mer wären üns doch ßu gut«, fuhr der lange Jude fort, »daß mer hätten mögen auch nur bloß hinriechen ßu den Feinden; und de Katholischen, gar nix kennen wollen mer se: Gras soll wachsen vor ihre Tür! Wo mer doch sind ßu de Kosaken als wie die leiblichen Brüder…!«
»Was, wir Kosaken leibliche Brüder von euch …?« schrie einer aus der Menge. »Das werdet ihr nicht erleben, verfluchte Juden! An den Dnjepr mit dem Gesindel, ihr Herren, ersäuft sie, die Ungläubigen!«
Diese Worte waren das Zeichen. Die Juden wurden gepackt und ins Wasser geworfen. Klägliches Wehgeschrei erscholl weit und breit, aber die rauhen Kosaken lachten bloß, wie sie die Judenfüße beschuht oder strümpfig in der Luft zappeln sahen.
Der unglückliche Wortführer, der sich selbst um Kopf und Kragen geredet hatte, schlüpfte aus dem Kaftan, an dem man ihn schon gepackt hielt: er stürzte sich, bloß noch das scheckige, enge Kamisol am Leibe, Bulba zu Füßen, umklammerte seine Knie und flehte gottsjämmerlich:
»Graußmächtiger Herr, erlauchter Herr Graf! Iach hab doch gekennt Euern Bruder, den Herrn Doroscho, Gott hab ihn selig! Er is gewesen ä Krieger, was war de Blüte der Ritterschaft. Iach hab ihm gegeben ßu leihen achthundert Zechinen, daß er sich konnte kaufen los aus der Gefangenschaft bei de Terken…«
»Du hast den Bruder gekannt?« fragte Taraß.
»Gott soll mich strafen, wenn ich ihn nich soll haben gekennt! Er is gewesen ßu sein ne Seele von einem Herrn.«
»Wie heißt du?«
»Jankel.«
»Also, ist recht«, sagte Taraß und wendete sich nach kurzem Überlegen an die Kosaken: »Den Juden aufzuknüpfen ist immer noch Zeit; für heute gebt ihr ihn mir!«
Sprachs und führte ihn zu einem der Packwagen, wo seine Leute waren.
»Also, kriech unter den Wagen und leg dich hin und muckse dich nicht; und ihr, Brüder, paßt mir gut auf den Juden!«
Damit eilte der alte Taraß zum Gerichtsplatz, wohin schon das ganze Volk geströmt war. Der Strand lag ausgestorben, kein Kahn mehr wurde gedichtet – jetzt galt es nicht mehr dem Feldzug zu Wasser, sondern einem zu Lande. Da brauchte es nicht Schiffe, noch Kosakenboote, sondern Rosse und Wagen. Und nun wollte alles ins Feld, Alte und Junge; einstimmig wurde auf den Rat der Gemeindeältesten, des Hetmans und nach dem Willen des ganzen Kosakenheeres beschlossen, geradeswegs gegen Polen zu reiten, Rache zu nehmen für all die Unbill, für die Schändung des Glaubens und der Kosakenehre, die Städte zu plündern, die Dörfer und das Korn auf dem Felde zu brandschatzen, Ruhm zu gewinnen, der weit über die Steppe klänge. Schon gürtete sich ein jeder und griff nach den Waffen. Der Hetman war förmlich um eine Elle gewachsen. Dies war nicht mehr der zaghafte Knecht jeder Laune des freien Volkes, dies war ein unumschränkter Gebieter, war ein Despot, der nur zu befehlen verstand. Alle die eigenwilligen Becherschwinger und Ritter standen sauber ausgerichtet in Reih und Glied, sie senkten in Ehrfurcht das Haupt und wagten den Blick nicht zu heben, da der Hetman die Ordre ausgab. Er tat es mit leiser Stimme, ohne Schreien und Hast, sehr langsam und deutlich, wie ein alter Kosak, der sein Geschäft kennt und nicht zum erstenmal einen wohldurchdachten Kriegsplan ins Werk setzt.
»Schaut auf eure Ausrüstung; daß mir keiner was übersieht!« sagte er. »Bringt die Packwagen und die Teereimer in Ordnung, prüft eure Waffen! Ladet euch kein unnützes Zeug auf den Buckel: ein Hemd und zwei Paar Hosen für jeden und einen Topf Mehl oder Hirsebrei – mehr schleppt keiner mit sich! An Vorrat ist alles, was nur gebraucht wird, bei der Bagage. Zwei Pferde nimmt jeder Kosak ins Feld. Und zweihundert Paar Ochsen folgen im Troß, zum Vorspann an Furten und auf sumpfigem Boden. Und vor allem haltet mir Ordnung und Mannszucht, ihr Herren! Ich weiß, es gibt unter euch Leute, die, sowie der liebe Gott ein bißchen Beute beschert, gleich wie Verrückte Nanking und kostbaren Samt zu Fußlappen zerreißen. Laßt diesen höllischen Unfug, kümmert euch nicht um Röcke und Fetzen, nehmt nur Waffen, wenn ihr was Gutes bekommt, und Dukaten und Taler, weil das handliche Beute ist, die euch überall nützt! Und eins, ihr Herren, sag ich euch gleich: wenn sich einer im Felde besäuft – wie einen Hund laß ich den an den Packwagen binden, wer es auch sei, und mag es der beste Kosak aus dem Heer sein – wie ein Hund wird er auf der Stelle erschossen und ohne Begräbnis den Vögeln als Frühstück liegen gelassen, weil einem Saufaus im Felde kein ehrliches Christenbegräbnis gebührt. Ihr Jungen, hört mir gut auf die Alten! Wenn eine Kugel euch trifft oder ein Säbelhieb auf den Kopf oder wo anders hin, so glaubt nicht gleich, daß das etwas wäre! Verrührt einen Schuß Pulver in einem Glas Schnaps, trinkt das auf einen Zug herunter, und es hat sich gehoben – ihr kriegt auch kein Fieber; und auf die Wunde, wenn sie nicht gar zu groß ist, legt etwas Erde – die muß nur vorher im Handteller fest mit Spucke vermischt sein. Dann trocknet die Wunde schon ab. Und nun an die Arbeit, Kinder, munter zupacken, aber nichts überhudeln, daß alles richtig getan wird!«
Der Hetman hatte gesprochen, und kaum war seine Rede zu Ende, da machten sich schon die Kosaken ans Werk. Das ganze Lager war nüchtern geworden, Betrunkne fand man so wenig, als hätte es unter den Kosaken nie einen gegeben. Die einen besserten Radreifen aus und setzten neue Achsen unter die Wagen; andre luden Proviantsäcke oder Waffen auf die Fuhren; wieder andre trieben Gäule und Ochsen zusammen. Ringsum erscholl Pferdegetrappel, Probeschüsse krachten, Säbel rasselten, Kinder brüllten, Wagen quietschten und ächzten, muntres Geschwätz, helle Schreie, Hührufen… Und weit, weit dehnte sich alsbald der Heerzug der Kosaken über das Feld. Ein langer Weg wär es gewesen, wenn einer vom Kopf bis zum Schwanz des Zuges hätte laufen wollen. An dem Holzkirchlein hielt der Priester ein Bittamt und sprengte Weihwasser über die fromme Gemeinde, jeder küßte das Kreuz. Als das Heer in Bewegung kam und zum Lager hinauszog, wendeten alle Kosaken die Köpfe zurück.
»Leb wohl, liebe Heimat!«sagten sie wie aus einem Mund. »Schütz dich Gott vor Not und Gefahr!«
Beim Ritt durch die Vorstadt erblickte Taraß Bulba sein Jüdchen, den Jankel, der sich schon wieder eine Art Zelt aufgeschlagen hatte und Stein, Stahl, Pulver und allerlei Heeresbedarf feil hielt, wie man ihn auf dem Marsche gebraucht, auch Semmeln und Brot. – So ein verfluchter Jud! dachte Taraß bei sich, lenkte sein Pferd hinüber und sagte: