und dreitausend Schafe. Und auf das alles verzicht ich gern; ich geb es hin, verbrenn es, werf es ins Wasser, wenn du mir nur ein Wort sagst oder mir bloß mit deinen schwarzen Brauen winkst. Aber ich weiß schon, ich rede dumm, wie es sich hier nicht ziemt. Ich hab immer nur auf der Schule und im Lager gelebt, da kann ich die Worte nicht so setzen, wie es Brauch ist bei Königen und Fürsten und den Spitzen der adligen Ritterschaft. Ich seh ja, daß du ein andres Gottesgeschöpf bist als wir, und daß alle die andern Magnatenfrauen und Fräulein Töchter weit unter dir sind. Wir taugen nicht einmal zu Knechten für dich; nur die Engel im Himmel dürfen dir dienen.«
Mit wachsendem Staunen, jedes Wort begierig schlürfend, lauschte die Jungfrau dieser frei aus seinem Tiefsten sprudelnden Rede, die ihr zum Spiegel seiner jugendmächtigen Seele wurde. Und jedes dieser schlichten Worte war angetan mit Kraft, und diese Stimme drang geradeswegs bis auf den Herzensgrund. Ihr schönes Antlitz kam ihm wie gebannt entgegen, ungeduldig warf sie die widerspenstigen Haare über die Schulter zurück und starrte ihn lange mit leicht geöffneten Lippen an. Dann wollte sie etwas sagen, blieb aber stumm – es war ihr eingefallen, daß den Ritter sein Los ganz andre Wege führte, daß hinter ihm sein Vater, seine Brüder und alle seine Volksgenossen als grausame Rächer drohten, daß die Kosaken, die Dubno eingeschlossen hielten, furchtbare Menschen waren, daß ihr, den Ihren und der ganzen Stadt qualvoller Tod bevorstand. Und plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie verhüllte das Gesicht mit einem zierlich gestickten Seidentüchlein; das war im Nu ganz tränennaß. So saß sie lange, das Haupt zurückgebeugt, und nagte mit den weißen Zähnen an ihrer roten Lippe, als hätte sie jählings den Biß einer Giftotter gefühlt. Sie nahm das Tuch nicht vom Gesicht – sie wollte ihn ihren bittern Schmerz nicht sehen lassen.
»Sag mir doch nur ein Wort!« stammelte Andri und faßte ihre weiche, glatte Hand. Heißes Feuer sprang aus dieser Berührung in seine Adern, er preßte ihre Hand, die leblos zwischen seinen Fingern lag.
Sie aber blieb still und stumm und rührte sich nicht und nahm das Tuch nicht vom Gesicht.
»Warum bist du so traurig? Sag mir nur, warum du so traurig bist?«
Sie warf das Tüchlein in die Ecke, strich sich die Haare aus den Augen und ergoß den Schmerz in Worte, die leise, leise von ihren Lippen rannen. So geht der Wind, der in der Dämmerung eines schönen Abends aufwacht, durch Rohr und Schilf am Bachesrand wehmütiges Wispern füllt mit sanftem Klagelaut die Luft; da hemmt der Wandrer den Schritt und lauscht in einer Trauer, die er nicht deuten kann, er sieht nicht mehr die Abendglut am Himmel, er hört nicht mehr die frohen Lieder der heimwärts ziehenden Schnitter, hört nicht das Rasseln des fernen Wagens auf der Straße mehr.
»Bin ich nicht ewigen Mitleids würdig? Ist sie nicht tief beklagenswert, die Mutter, die mich zum Licht gebar? Welch bittres Los ist mir gefallen! Welch schlimmer Henker bist du mir, grausames Schicksal! Alle hast du sie mir zu Füßen gelegt: die edelsten Junker, die reichsten Herren, Barone und Grafen aus fremden Landen, die Blüte der heimischen Ritterschaft. Sie alle liebten mich, sie alle hätte meine Liebe der Erde höchstes Gut gedünkt. Ein Wink von meiner Hand, so hätte mich der schönste an Antlitz und Gestalt, der höchste an Adel und Geschlecht als seine Frau vor den Altar geführt. Du duldetest es nicht, grausames Schicksal, daß unter ihnen allen einer mein Herz gewann; gewinnen mußte mein Herz nicht einer unserer besten Recken, nein, dieser Fremde, unser Feind. Womit hab ich mich denn versündigt, heilige Mutter Gottes, reine Magd, was habe ich verbrochen, daß du mich ohne Gnade und Mitleid schlägst? An Überfluß und üppigem Reichtum gingen mir die Tage; köstliche Leckerbissen und süße Weine waren meine Speise. Wozu wurde mir das gegeben? Warum wurde mir das gegeben? Damit ich jetzt zum Schluß eines so elenden Todes sterbe wie nicht der ärmste Bettler im Königreich? Und dir ists nicht genug, daß du mich zu so hartem Los verurteilst, dir ist es nicht genug, daß ich vor meinem letzten Seufzer sehen muß, wie mir Vater und Mutter unter unerträglichen Martern in den Tod vorausgehen; das alles ist dir nicht genug – du mußtest es so fügen, daß ich vor meinem Ende Worte höre und eine Liebe fühle, die ich nie gekannt. Du mußtest es so fügen, daß er mit seiner Rede mein Herz in Stücke reißt, daß mein bittres Los noch bittrer wird, daß mich mein junges Leben zwiefach dauert, daß zwiefach hart der Tod mich ankommt! Fluch dir, grausames Schicksal, und dir – verzeih mir Gott die Sünde –, heilige Jungfrau!«
Als sie verstummte, sprach volle Hoffnungslosigkeit aus ihren Augen, nagender Schmerz aus jedem Zug ihres Gesichts; die trüb gesenkte Stirn, die halbgeschlossenen Lider, die Tränen, die auf ihren Wangen standen und langsam trockneten – das alles sagte: Dies Antlitz kennt nie mehr ein Glück!
»Das hat man auf der Welt noch nie gehört«, sprach Andri, »das kann auch nicht geschehen, daß die schönste und beste aller Frauen so etwas Bittres erdulden soll, wenn sie dazu geboren ist, auf den Knien angebetet zu werden, wie in der Kirche das Allerheiligste. Nein, nein, du stirbst nicht! Nein, du wirst nicht sterben! Ich schwör es dir bei meinem Namen und bei allem, was mir auf Erden lieb ist: nein, du wirst nicht sterben! Und wenn es doch so kommt und nichts mehr das bittre Schicksal wenden kann – nicht Manneskraft, nicht Mut und nicht Gebet –, dann sterben wir zusammen, und ich zuerst, ich sterbe vor dir; zu deinen Füßen will ich sterben, lebend trennt mich keine Macht von dir.«
»Lügen wir uns nichts vor!« sprach sie und schüttelte leis das schöne Haupt. »Ich weiß ja und weiß es zu meinem Schmerze nur zu gut: du darfst mich gar nicht lieben; ich weiß, was dir beschworne Pflicht ist: dich ruft dein Vater, deine Freunde rufen, es ruft die Heimat, und wir sind deine Feinde.«
»Was ist mir Vater, Freundschaft, Heimat?« rief Andri, warf den Kopf in das Genick und stand plötzlich so pfeilgerade aufgerichtet, wie die Pappel am Fluß zum Himmel ragt. »Muß es denn sein, so mag es sein: ich habe niemand! Niemand, niemand!« wiederholte er und warf die Handbewegung hin, mit der ein frischer, kecker Kosak erklärt, er wolle ein unerhörtes Stücklein vollführen, das ihm kein andrer nachmacht. »Wer sagt denn, daß mir das Grenzland Heimat ist? Wer gab es mir zur Heimat? Heimat ist mir, was meine Seele sucht, was mir das Liebste hier auf Erden ist. Du bist für mich die Heimat! Ja, das ist meine Heimat! Und diese Heimat will ich in meinem Herzen tragen, will ich hegen, solang ich lebe. Soll einer der Kosaken nur versuchen, sie mir aus der Brust zu reißen! Und was ich habe, geb ich hin, verkauf ich, laß ich zugrunde gehn für diese Heimat!«
Sie stand eine Weile starr wie ein schönes Marmorbild und sah ihn an, dann brach sie in heißes Schluchzen aus, stürzte ihm an die Brust und schlang die weißen Arme mit der hingerissenen Leidenschaft um ihn, deren nur eine edle Frau fähig ist, die ihrem Herzen folgt und keine enge Klugheit kennt.
In diesem Augenblick erhob sich draußen auf der Straße wirres Geschrei, Trompetenstöße und Paukenwirbel mischten sich darein; Andri hörte nichts von dem allen, er wußte nur, daß ihr Mund ihn in die holde Wärme ihres Atems hüllte, daß ihre Tränen heiß strömend über seine Wangen rannen, daß die blanke, duftende Seide ihres gelösten Haars als Mantel um ihn wallte.
Da stürmte die Tatarin mit einem Freudenschrei herein.
»Wir sind gerettet!« rief sie außer sich. »Die Unsern sind in die Stadt gedrungen, sie bringen Brot und Weizen und einen Haufen Kosaken mit gebundnen Händen.«
Das junge Paar wollte nichts davon hören, wer hilfreich in die Stadt gedrungen wäre, welche Vorräte er mitbrächte und wie er zu seinen Gefangnen käme. Andri küßte die frischen Lippen seiner Schönen, und ihre Lippen weigerten ihm nicht den Dank. Sie küßte ihn wieder, und in diesem innigen, zugleich gegebnen und genommenen Kusse war jene Seligkeit beschlossen, die dem Menschen in seinem Leben einmal nur beschieden ist.
Verloren war der Kosak. Verloren für das ritterliche Kosakentum! Nie wieder sollte er das Lager sehen, nie wieder seines Vaters reiche Höfe, die Kirche seines rechten Glaubens! Nie wiedersehen sollte auch die Heimat ihn, den tapfersten von ihren tapfern Söhnen, die ihr zu Schutz und Ruhm ins Feld gezogen waren.
In Büscheln wird der alte Taraß das Haar aus seinem grauen Schöpfe raufen, verfluchen wird er Tag und Stunde, da er, sich selbst zu Schmach und Schande, dieses Kind erzeugte.
Siebentes Kapitel