Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman


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      Felix Münster war sehr überraschend bei den Riedings erschienen, die wiederum Carlo Heimberg zum Abendessen eingeladen hatten. Er war jetzt sehr häufig auf dem Sonnenhügel anzutreffen und wahrscheinlich nicht nur, weil er berufliche Dinge mit Sandra besprechen musste.

      Man konnte sich allerdings wohlfühlen in den sehr geschmackvoll tapezierten Wohnräumen, die mit Hilfe von Tini sehr rasch wieder eingeräumt worden waren. Die Düsterkeit war aus dem Herrenhaus verbannt, und auch Mutter und Tochter hatten sich bereits daran gewöhnt, das Herrenhaus nun Sonnenhügel zu nennen.

      Gegen halb acht Uhr hatte dann Felix Münster angerufen und gefragt, ob er noch zu einem kurzen Gespräch empfangen würde. Sandra hätte wahrscheinlich eine Ausrede erfunden, aber Marianne von Rieding war am Telefon gewesen, und sie brachte das natürlich nicht fertig. Besonders, da Carlo Heimberg schon bei ihnen war und sich allein zwischen den beiden Damen ein wenig unbehaglich fühlte.

      Felix Münster war unnahbar wie eh und je, seine Miene blieb undurchsichtig. Sachlich unterhielt er sich mit Heimberg, er brauchte zwei Häuser für künftige leitende Angestellte, und bei dieser Gelegenheit erfuhr man, dass er die Fabrik der von Roschs gekauft hatte.

      Für Sandra war dieser Name kein Begriff. Frau von Rieding dagegen wusste, dass es eine solche Maschinenfabrik gab.

      »Vielleicht sprechen Sie gleich mal mit Dr. Rückert, der ja die ganzen Unterlagen über die bisherigen Käufer und Interessenten hat«, meinte Carlo Heimberg, der keine Neigung zeigte, den gemütlichen Abend zu unterbrechen. Man musste ihm allerdings auch zugutehalten, dass er fast den ganzen Tag auf der Baustelle geweilt hatte, um sich sehr genau über den Zustand der bereits fertiggestellten Fundamente zu informieren.

      Wieso sich Sandra überhaupt bereit erklärte, Felix Münster zu begleiten, wusste sie später selbst nicht mehr zu sagen. Es ergab sich aus dem Gespräch, und er hatte sie gefragt, ob er sie für eine halbe Stunde entführen dürfe.

      Aus dieser halben Stunde wurde dann allerdings eine lange Nacht, denn die Rückerts, in Wochenendstimmung, dazu wirklich reizende Gastgeber, verstanden es, sie ebenso festzuhalten wie die Auerbachs.

      Die geschäftlichen Dinge waren schnell erledigt, der gemütliche Teil des Abends wurde dadurch nicht beeinträchtigt, denn mit einem so schnellen Erfolg hatte niemand von ihnen gerechnet. Fünf Häuser der Siedlung Erlenried waren schon an den Mann gebracht, das war ein Grund zum Feiern.

      Von niemandem forciert, ergab es sich doch, dass Felix Münster neben Sandra saß, Henrike neben Fabian und Stella neben Jörg, bei denen nach einem Glas Sekt die überschäumende Jugend durchbrach.

      Jörg musste sich natürlich auch den Beatschuppen anschauen, der auf Stellas Konto kam, und Henrike, die sich verpflichtet fühlte, ein Auge auf die um ein Jahr jüngere Freundin zu werfen, ging mit ihnen. Allerdings ließ Fabian nicht lange auf sich warten.

      Der kleine Kellerraum, den Stella zweckentfremdet und ganz in ihrem Geschmack eingerichtet hatte, um, wie sie sagte, ungestört meditieren zu können, war einfach poppig. Das jedenfalls stellte Jörg begeistert fest. Jedoch zweifelte er daran, dass sie hier meditieren wollte, und nahm zu Recht an, dass sie lieber ungestört ihre modernen Platten hören wollte, von denen sie gleich eine Kostprobe bekamen. Allerdings besaß Stella auch romantische, die ihrer heutigen Stimmung mehr zu entsprechen schien.

      Sie tanzte gern, Jörg ebenfalls, und beschwingt, wie sie beide waren, warteten sie auch nicht lange damit.

      Fabian und Henrike hatten Hemmungen, aber auch sie wurden ihren Grundsätzen untreu. Guter Gott, sie waren eben auch jung. Jung und sehr verliebt, was einfach nicht zu übersehen war. Jörg war ein wenig aus der Fassung gebracht.

      »Ist das nicht ein Spiel mit dem Feuer?«, fragte er Stella, die es meisterhaft verstanden hatte, ihn in die entlegendste Ecke zu dirigieren.

      »Für wen?«, fragte sie schelmisch.

      »Für deinen Bruder und meine Schwester«, brummte er. Das formelle Sie hatte es für sie von Anfang an nicht gegeben.

      »Lehrer und Schülerin«, meinte er kopfschüttelnd, »kann das gut gehen?«

      »Wenn sie sich schon die ganze Woche auf Distanz halten müssen, warum sollen sie denn nicht mal eine halbe Stunde für sich haben?«, meinte sie leichthin. »Ich gönne es ihnen. Es war eben Liebe auf den ersten Blick, dagegen kann man nichts machen.«

      So schnell konnte sich Jörg damit nicht abfinden. Er war völlig kons­terniert.

      »Jetzt mach kein Gesicht, als wären wir auf einer Beerdigung«, meinte sie gekränkt. »Wie ich meinen Bruder kenne, steht uns nächstes Jahr eine Hochzeit bevor. Gleich nach dem Abitur.«

      »Und wozu macht sie es dann erst?«, murrte er.

      »Weil es ein Jammer wäre, wenn sie es nicht machen würde. Papa wird es versöhnlich stimmen, wenn er eine Schwiegertochter bekommt, die seinen Hoffnungen gerecht wird, die seine Tochter ihm wohl nicht erfüllen wird. Mit meiner Intelligenz ist es leider nicht weit her, Jörg.«

      »Vielleicht flirtest du schon zu viel«, meinte er anzüglich, aber da kam er bei Stella schlecht an.

      »Tut mir leid, wenn du solche Meinung von mir hast«, entrüstete sie sich, und schon entschwand sie, um ihn für den Rest des Abends keines Blickes mehr zu würdigen.

      Auch Fabian und Henrike kehrten auf den Boden der Wirklichkeit zurück, als sie sich so abrupt allein gelassen sahen. Henrike war schrecklich verlegen, und er war verwirrt.

      »Streiten sie sich schon?«, fragte er nachdenklich.

      »Wundern würde es mich nicht«, erwiderte sie. »Jörg kann manchmal sehr ironisch sein.«

      »Und Stella empfindlich. – Wir werden uns nie streiten, nicht wahr, Ricky?«

      Sie schüttelte den Kopf. Sehnsüchtig hingen ihre Augen an seinem Gesicht. Ganz leicht berührten seine Lippen ihre Stirn.

      »Es ist nicht einfach, Ricky«, flüsterte er. »Es ist sogar verflixt schwer, das nicht sagen zu dürfen, was ich denke.«

      Ihre Lippen zuckten. »Wenn doch dieses Schuljahr nur erst zu Ende wäre«, murmelte sie, um dann hinauszulaufen.

      *

      Sandra war aus dem Staunen nicht herausgekommen. Sie hatte einen ganz anderen Felix Münster an diesem Abend kennengelernt. Er war aufgetaut, er hatte sogar gelacht.

      Nun gingen sie durch die Nacht und waren verstummt. »Es ist doch eigenartig, wie sich so viele sympatische Menschen an einem kleinen Ort zusammenfinden können«, bemerkte er plötzlich.

      »Vielleicht macht es die Atmosphäre, die nur solche anzieht«, erwiderte sie gedankenvoll. »Mir scheint, zwischen dem jungen Rückert und Ricky spinnt sich etwas an.«

      Erschrocken schwieg sie. Wie kam sie dazu, dies zu sagen? Zu einem fremden Mann, dem sie nur mit äußerster Distanz begegnen wollte?

      »Vielleicht begünstigt die friedvolle Atmosphäre dieses Ortes auch solche Gefühle«, stellte er mit belegter Stimme fest. Sie sah ihn an, ihre Blicke trafen sich, und augenblicklich war eine knisternde Spannung zwischen ihnen.

      Ich werde mich restlos verlieren, dachte Sandra. Wenn ich mich jetzt nicht zusammennehme – aber da war es schon zu spät. Sie wusste nicht, wie es geschah, aber sie lag plötzlich in seinen Armen, und er küsste sie mit einer so leidenschaftlichen Zärtlichkeit, dass ihr die Sinne schwanden. Seine harten, trockenen Lippen wurden weich und zärtlich und streichelten ihr erglühtes Gesicht.

      »Für mich ist es nicht die Atmosphäre, die mich anzieht«, murmelte er. »Du bist es, Sandra.«

      Habe ich es nicht gewünscht und zugleich gefürchtet?, ging es ihr durch den Sinn. Alle schlechten Eigenschaften hatte sie in ihn hineindenken wollen, um sich gegen dieses Gefühl zu wehren, dem sie doch hilflos ausgeliefert war. Und wie er auch immer sein mochte, was auch gewesen war und noch kommen würde, es würde nichts daran ändern, dass sie ihn liebte.

      »Es ist