sich nicht für mich, für dich zu sorgen, Ellen. Ich tue es freiwillig. Du bist zufällig die Schwester von Manuels Mutter.«
»Den ich aufziehen durfte, bis er aus dem Gröbsten heraus war«, empörte sie sich.
»Du hast es gewollt. Gut, ich habe es akzeptiert, ohne mir viel dabei zu denken. Dafür entschädige ich dich großzügig, da es mir zu spät klar geworden ist, welchen Fehler ich begangen habe, vor allem in Manuels Interesse. Aber nun können wir dieses unerfreuliche Thema beenden. Ich höre den Wagen kommen.«
Ellen Düren warf den Kopf in den Nacken. »Du wirst es bereuen, Felix!«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor. »Du wirst mich noch anflehen zurückzukommen!«
»Den Tag wirst du nicht erleben«, entgegnete er ruhig.
»Nun, das werden wir ja sehen.« In ihren Augen war ein Ausdruck, vor dem er erschrak. Doch im Augenblick dachte er nur an Manuel und daran, ob die Erinnerung an die traurigen Erlebnisse seiner ersten fünf Lebensjahre jemals aus seiner empfindsamen Seele ausgelöscht werden könnten.
*
»Sie fährt wirklich weg«, flüsterte der Junge und schmiegte sich eng an Sandra. »Sie hat mir nicht mal auf Wiedersehen gesagt.«
»Möchtest du es?«, fragte sie leise. »Es wäre noch Zeit.«
»Nein, ich will nicht«, begehrte er auf, und das war die bisher leidenschaftlichste Regung, die sie an ihm gewahrte. »Ich gehe erst hinüber, wenn das Auto weg ist.«
Erst hatte er Teta entgegenlaufen wollen, aber als er sah, dass Ellen aus dem Haus kam, und Albert, der Chauffeur, ihre Koffer brachte, hatte er sich hinter Sandras Rücken verschanzt. Nun blickte er dem davonfahrenden Wagen nach, und ein erleichterter Seufzer kam über seine Lippen.
»Muss ich nun nicht mehr dauernd in langen Hosen herumlaufen, Sandra?«, fragte er.
»Es wird draußen jetzt schon ziemlich kalt«, meinte sie. »Da wird dir nichts anderes übrig bleiben.«
»Aber ich kann doch auch solche bekommen, wie Bambi sie hat? Die auch mal schmutzig werden dürfen? Ich bin ja so froh, dass sie die Hosen nicht mehr gesehen hat. Da hätte ich böse Schimpfe bekommen.«
»Ist doch alles halb so schlimm, Manuel«, beruhigte sie ihn. »Aber wirst du dich mit Teta allein in dem großen Haus nicht fürchten?«
»Mit Teta nicht«, stellte er fest. »Und so weit bist du ja nicht. Sandra, werden einmal viele Leute hier im Sonnenwinkel wohnen? Auch viele Kinder?«
»Na, jedenfalls eine ganze Menge«, lächelte sie.
»Aber eine große Stadt wird es doch nicht?«, fragte er ängstlich.
»Nein, dazu ist kein Platz«, beruhigte sie ihn.
»Und in den Park zwischen unser Haus und deinem kommen auch keine Häuser mehr?«
»Der Park bleibt so, wie er ist. Nur ein bisschen schöner soll er noch werden, und Blumen werden wir pflanzen.«
»Darf ich dir dabei helfen?«
»Ja, das darfst du, Manuel. Mit den Tulpen, Krokussen und Narzissen fangen wir gleich nächste Woche an. Es ist die richtige Zeit, um die Zwiebeln zu stecken.«
»Und wann blühen sie dann?«
Da kam Marianne von Rieding, und bevor Sandra noch etwas erklären konnte, erschien auch Felix Münster.
»Teta ist da«, sagte er mit belegter Stimme. »Du kannst jetzt herüberkommen, Manuel. Vielen Dank«, er verbeugte sich vor Mutter und Tochter, und in seinen Augen schien die Bitte um Verzeihung zu liegen. »Darf ich Ihnen morgen meinen Besuch machen?« Er sah Sandra dabei an. Sie nickte nur stumm.
Manuel winkte ihr zu, und als er mit seinem Vater das Haus verlassen hatte, seufzte Marianne von Rieding abgrundtief.
»In was hast du dich da eingelassen, Sandra?«, entfuhr es ihr.
»Wie meinst du das, Mutti?«, fragte diese geistesabwesend.
»Was ist zwischen dir und Felix Münster?«, fragte die Ältere gepresst.
Sandra senkte den Kopf. »Ich liebe ihn«, erwiderte sie beklommen. »Ellen Düren hat das Haus verlassen. Alles andere wird sich finden.«
»Du musst es wissen«, murmelte ihre Mutter.
»Übrigens, Mutti«, lenkte Sandra rasch ab, »würdest du zustimmen, wenn wir eventuell eine Klassenkameradin von Ricky bei uns aufnehmen würden?«
»Wieso eventuell?«, fragte Marianne von Rieding.
»Sie lebt bei ihrer Großmutter, und diese muss wahrscheinlich ins Krankenhaus. Ich erzähle dir ausführlich, worum es geht.«
Marianne von Rieding hörte ihr schweigend zu. Als Sandra geendet hatte, erschien ein flüchtiges Lächeln auf ihrem Gesicht.
»Warum nicht«, meinte sie. »Wenn du mich mal verlässt, kann ich ja ein Mädchenpensionat aufmachen. Gar kein übler Gedanke, denn was soll ich wohl allein mit diesem großen Haus?«
»Bis jetzt ist noch keine Rede davon, dass ich dich verlasse«, erklärte Sandra gepresst.
»Sandra schimpft überhaupt nicht, Papi«, sagte Manuel zu seinem Vater. »Warum sind wir nur nicht schon früher hergekommen, dann wäre Ellen sicher schon längst weggegangen. Ich bin jetzt richtig froh.«
»Das freut mich«, sagte Felix Münster leise.
»Es ist auch schön, wenn ich zu Sandra darf und mit anderen Kindern spielen kann«, fuhr Manuel fort. »Sandra hätte sich mit Tante Ellen sicher nicht verstanden.«
»Das glaube ich auch«, murmelte sein Vater. Im Stillen hoffte er, dass sie jene Nacht nicht vergessen hatte, in der er an eine gemeinsame Zukunft gedacht hatte, für die er bald Erfüllung erhoffte.
*
»Manuel wohnt mit der Teta ganz allein im Haus«, berichtete Bambi anderntags ihrer Mami. »Diese grässliche Frau ist nicht mehr da. Er durfte heute schon mit uns spazieren gehen. Darf er auch einmal zu uns kommen, Mami?«
»Natürlich«, erwiderte Inge, die sich keinen weiteren Gedanken hingab, da sie ja keine Ahnung von den Zusammenhängen hatte. Sie hatte auch keine Zeit mehr, denn Henrike und Hannes kamen aus der Schule.
Hannes strahlte, weil er in Englisch eine Zwei geschrieben hatte, Henrike wusste zu berichten, dass ihre Freundin Ulla Aufnahme im Haus Sonnenhügel finden würde. Ihre Großmutter war tatsächlich ins Krankenhaus gebracht worden, aber ihre Eltern hatten ihre Zustimmung zu dieser Lösung gegeben, von der sie hofften, dass es nur eine vorübergehende sein würde.
»Ich bin vielleicht froh für Ulla«, stellte Henrike erleichtert fest. »Nun braucht sie doch nicht fort.«
»Wir hätten sie auch bei uns aufnehmen können«, meinte Inge Auerbach.
Henrike umarmte sie. »Du bist unser Engel, Mami«, sagte sie innig.
»Ja, unsere Mami ist der Engel vom Sonnenwinkel«, versicherte Bambi sofort.
»Und diesem Kompliment müssen wir beide wohl auch beipflichten«, meinte Werner Auerbach, seine Hand auf Hannes’ Schulter legend. »Was wären wir nur ohne dich, Ingelein?«
»Macht es nur nicht so dramatisch«, murmelte sie gerührt. »Fabian und Stella werden von ihrer Mutter bestimmt das Gleiche sagen und noch viele andere Kinder auf der weiten Welt.«
»Wenn aber erst mal einer sagt, du bist die beste Schwiegermama, dann gibt es keinen Widerspruch mehr«, flüsterte ihr Henrike ins Ohr.
»Lange wird es ja wohl nicht mehr dauern«, brummte Werner Auerbach.
Seine Frau lachte. »Wie gut du hören kannst, wenn du willst! Aber hier im Sonnenwinkel und in Erlenried wird noch vieles geschehen, bis es so weit ist.«
»Und am Sonnenhügel auch«, versicherte Bambi. Und beide ahnten noch nicht, wie recht