große Schwester.«
»Noch ein Mädchen«, murmelte Dirk.
»Wir haben auch noch unseren großen Bruder Jörg. Der studiert aber in München«, erwiderte Bambi bereitwillig. »Aber Zwillinge finde ich schön. Ich hatte noch keine vorher gesehen, wenigstens nicht welche, die sich so ähnlich sind.«
Sie fanden es nun doch an der Zeit, sich auch vorzustellen. Forschend betrachtete Bambi sie, als sie ihre Namen nannten.
»Na ja, ein bisschen schwer wird es schon werden, bis ich mir merke, wer Claas und wer Dirk ist, aber ich werde es schon lernen!«
*
Manuel, der kleine Sohn des Großindustriellen Felix Münster, gab seiner Umwelt Rätsel auf. Drei Wochen wohnten sie nun schon in der Dependance des Erlenhofes im Sonnenwinkel, und damit war Manuels sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen. Wenigstens hatten dies sein Vater und auch Teta, die Haushälterin, gemeint. Aber wenn man Manuel so recht betrachtete, konnte es nicht verborgen bleiben, dass er auch noch andere Wünsche hegte.
Kaum war er morgens aufgestanden, hielt er schon Ausschau nach Sandra. Tetas sanfte Ermahnungen, dass Frau von Rieding, die im Herrenhaus des Erlenhofes wohnte, sich ja nicht nur um ihn kümmern könnte, bekümmerte ihn. Wenn Sandra dann aber kam, um ihn zu einem Spaziergang abzuholen, war er wie umgewandelt. Da konnten seine sonst so melancholischen Augen strahlen, da konnte er sogar lachen.
Tauchte jedoch der Architekt Carlo Heimberg auf, und das geschah häufig genug, denn die Siedlung Erlenried, die im Sonnenwinkel neu erstand, wurde unter seiner Aufsicht gebaut, kehrte Manuel mit niedergeschlagener Miene zu Teta zurück, um unentwegt und tief bekümmert zum Fenster hinauszublicken.
Heute blieb er jedoch nicht stumm.
»Magst du den Heimberg, Teta?«, fragte er.
»Ein sehr höflicher, netter Mann«, gab diese wortkarg zurück. Mit dem Reden hatte sie es nicht, und wenngleich sie auch recht froh war, dass Felix Münsters herrische Schwägerin Ellen Düren so schnell das Feld geräumt hatte, fragte sie sich doch manches Mal, ob sie allein wohl die richtige Gesellschaft für den kleinen Jungen wäre.
»Wie alt mag er wohl sein?«, fuhr Manuel nachdenklich fort. »Er hat schon graue Haare.«
»Danach kann man nicht gehen«, brummte Teta.
»Aber für Sandra ist er doch zu alt«, stellte Manuel eigensinnig fest. »Papi ist viel, viel jünger.«
Teta horchte auf. »Natürlich ist er viel jünger«, gab sie ihm recht.
»Herr Heimberg ist viel öfter da als Papi, und er bleibt immer lange bei Sandra und Tante Marianne. Sie haben dauernd was zu reden. Warum ist Papi nicht Architekt?«
»Weil er eben Fabrikant ist«, erwiderte Teta. »Warum soll er plötzlich Architekt sein?«
Sie begriff nicht, worauf der Junge hinauswollte. Sie verstand auch nicht, was Manuel an dem netten Herrn Heimberg auszusetzen fand, ahnte sie doch nicht, welche Gedanken ihn quälten.
»Dann wäre er viel öfter hier«, murmelte Manuel. »Da kommt Bambi – dann werde ich eben heute mal mit ihr spielen.«
Auch das begriff Teta nicht, dass er nur mit Bambi spielte, wenn Sandra beschäftigt war. Sonst liebten die beiden einander heiß und innig. Kopfschüttelnd ging sie ihrer Arbeit nach, während Manuel Bambi einließ.
»Wo ist Jonny?«, fragte er sie.
»Ich habe ihn lieber zu Hause gelassen. Er schlüpft immer aus dem Halsband heraus, und dann fällt er vielleicht in eine Baugrube. Warum kommst du nicht mal zu uns, Manuel? Unsere Nachbarn sind eingezogen. Sie haben Zwillinge, die kannst du nicht auseinanderhalten.«
Für sie war das augenblicklich noch ein weltbewegendes Ereignis, aber Manuel interessierte sich nicht für die Zwillinge und ihre Ähnlichkeit.
»Wollen wir drinnen spielen?«, fragte er. »Draußen ist es so kalt.«
»Mir ist nicht kalt. Geht Sandra vielleicht mit uns spazieren?«
»Herr Heimberg ist da«, erwiderte Manuel lakonisch.
Bambi warf ihm einen schrägen Blick zu. »Er beißt doch nicht. Kannst du ihn nicht leiden?«
»Nein«, stieß Manuel hervor.
»Aber warum denn nicht? Papi sagt, er ist ein guter Architekt. Erlenried wird eine schöne Siedlung.«
»Er redet dauernd mit Sandra, und dann fahren sie auch zusammen in die Stadt. Ich mag das nicht«, erklärte er heftig.
»Sie müssen doch reden wegen der Siedlung«, stellte Bambi fest. »Da gibt es viel zu überlegen. Im Frühjahr wollen die Ersten doch schon einziehen. Du kannst heute mit uns in die Stadt fahren«, schlug sie ihm vor. »Wenn deine Teta es erlaubt.«
Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat Sandra heute Nachmittag Zeit«, murmelte er.
Nein, so richtig schön spielen konnte man mit Manuel nicht. Entsagungsvoll berichtete es Bambi ihrer Mami.
»Er war halt nie mit Kindern zusammen«, tröstete diese. »Er muss sich erst daran gewöhnen.«
»Er will nur mit Sandra zusammen sein, immer nur mit Sandra«, beharrte die Kleine. »Und dann ist er am liebsten mit ihr allein. Aber er hat ja keine Mami«, fügte sie sofort versöhnlich hinzu. »Das ist schlimm.«
*
»Die Kleine von nebenan redet wie ein Buch«, berichtete Claas beim Mittagessen, das die Nonna, trotz aller Beschwerlichkeiten wie immer sehr schmackhaft hergerichtet hatte. Nur Georgia hatte keinen rechten Appetit.
»Sie ist putzig«, gab auch Dirk zu. »In London waren sie auch schon.« Es hatte ihm doch imponiert, wenn er sich Bambi gegenüber dazu auch nicht geäußert hatte.
»Professor Auerbach ist ein sehr bekannter Mann«, stellte Georgia beiläufig fest.
»Hier vergraben sich wohl nur bekannte Leute«, brummte Claas.
»Es ist ja auch eine wunderschöne Gegend«, stellte Nonna fest.
»Aber Vati hat es sich nicht mal angeschaut«, äußerte sich Dirk, »und erfreut war er auch nicht.«
Selina Minetti warf ihrer Tochter einen bedeutsamen Blick zu. »Er wird es sich schon noch anschauen«, meinte sie. Georgia senkte den Blick. Nervös spielten ihre Hände mit der Serviette.
Claas drehte sich um. »Wo ist eigentlich Vatis Bild?«, fragte er. »Es gehört auf den Flügel.«
»Jetzt essen wir«, lenkte Nonna ein. Sie war eine schlichte Frau geblieben, auch als ihre Tochter eine berühmte Sängerin geworden war und dann auch noch den Reeder Arnold Ullrich geheiratet hatte. Aber sie war eine würdevolle Frau, der selbst die Zwillinge niemals widersprachen.
Dass sie auch energisch werden konnte, bewies sie ihrer Tochter, als die Jungen in ihren Zimmern verschwunden waren.
»Du solltest dich eigentlich schämen, Georgia«, sagte sie sehr energisch zu ihrer Tochter. »Ich habe es zwar immer akzeptiert, dass dein Beruf, deine Karriere zu Lasten deiner Familie und vor allem zu Lasten der Zwillinge geht, aber was zu viel ist, ist einfach zu viel!«
Energisch stemmte sie ihre Arme in die Hüften und brach in einen Schwall italienischer Worte aus. »Immer sind es Dirk und Claas, die darunter leiden müssen, dass du Sängerin bist und Karriere gemacht hast und dich nun auch noch von deinem Mann trennen willst. Immer schon blieben die Kinder allein zurück, wenn du keine Zeit für sie hattest, wenn ihr Vater nur an sein Geschäft denken musste. Ist dir bewusst, dass du dich an ihnen versündigst? Und nun willst du ihnen auch noch den Vater ganz und gar nehmen.Du solltest nicht so starr sein. Ich meine, du hast einfach nicht das Recht, so einschneidende Entscheidungen zu treffen.«
»Ich habe sie nicht allein getroffen, Nonna«, erwiderte Georgia müde. »Arnold ist mit mir einer Meinung, dass es so nicht weitergeht.«
»Weil