Karin Bucha

Karin Bucha Staffel 5 – Liebesroman


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Sie ein, gnädige Frau.« Wattenberg öffnet die Tür seines Wagens und ist ihr behilflich. »Dr. Werner wird Ihnen alles erklären. Ich war rein zufällig im Hause Ihres Schwiegersohnes. Jürgen ist ein ehemaliger Schulkamerad von mir. Er ist verschwunden. Hoffentlich passiert ihm nichts, er war schwer betrunken.«

      Mit einem Seufzer läßt sich Franziska in die Polster sinken. Sie faltet die Hände.

      Mit tränenerstickter Stimme sagt sie: »Bettina ist mein einziges Kind. Sie müssen meine Fassungslosigkeit entschuldigen.«

      Er lächelt nachsichtig und verstehend.

      »Es wird alles gut werden, gnädige Frau. Das hoffe ich wenigstens.«

      Er sagt das in einem tröstenden Ton. Sie sieht ihn von der Seite her an und nickt kaum merklich vor sich hin. Dieser Mann hat ein gutes Gesicht, und sein Lächeln ist trost-spendend.

      *

      In den frühen Morgenstunden kommt der Anruf, der alles aufscheucht.

      Wattenberg, der im Hause geblieben ist, weil Dr. Werner ihn darum bat, hat sich in einen der tiefen, breiten Sessel am Kamin niedergelassen und ist eingenickt. Als das Telefon, das unweit von ihm auf einem kleinen Tisch steht, anschlägt, wird er unsanft aus seinem Dahindämmern herausgerissen.

      Wattenberg schüttelt sich und nimmt den Hörer ab. Sofort erkennt er die etwas brüchige Stimme Dr. Werners.

      »Sind Sie es, Wattenberg?«

      »Ja, was gibt es, Doktor?«

      »Zunächst, wie geht es unserer Patientin?«

      »Soweit gut. Ich war schon paarmal oben. Frau von Welling wacht bei ihr«, gibt er Auskunft.

      »Hm!« Eine Weile herrscht Stille, dann kommt Dr. Werners Stimme leise und erregt: »Hören Sie, Wattenberg, ein Unglück. Jürgen ist verunglückt, keine hundert Meter vom Haus entfernt. Ich habe ihn als erster gefunden. Gleich hinter der Fernsprechzelle ist er gegen einen Baum gerast. Ich habe bereits alles Notwendige veranlaßt. Aber jede Hilfe kommt zu spät.«

      Der Arzt hat angehängt, bevor Wattenberg auch nur einen Ton hat sagen können. Behutsam legt er den Hörer auf. Er hat für Jürgen Kröger weder Sympathie noch Freundschaft empfunden. Aber daß dieses junge Leben so jäh vernichtet ist, erschüttert ihn.

      Unwillkürlich wandert sein Blick zu der Freitreppe, die sich über zwei Stockwerke emporwindet. Er denkt an Bettina und deren Mutter.

      Aber es bleibt ihm keine Zeit, viel zu überlegen. Er hört Motorengeräusch, das sich dem Haus nähert. Dr. Werner trifft ein. Ihm fällt die unangenehme Aufgabe zu, Frau von Welling von dem Unglück zu unterrichten.

      Er geht so schonend wie möglich mit ihr um. Die zarte herzkranke Frau beginnt weder zu weinen noch bekommt sie einen Anfall. Sie starrt den Arzt nur aus brennenden Augen an und nickt. Sie flüstert, einen besorgten Blick auf das blasse Gesicht Bettinas werfend:

      »Das Schicksal hat es so gewollt.«

      Der Arzt atmet auf. Er hat seine traurige Mission erfüllt und ist überrascht, wie tapfer sich Frau von Welling hält.

      »Ich schicke Ihnen heute noch eine Krankenschwester«, flüstert er. »Allein können Sie die Pflege nicht durchhalten.«

      Wieder nickt Franziska gehorsam. Ihre Ruhe kommt dem Arzt unheimlich vor. Sie sieht Dr. Werner ernst an, als er sich verabschiedet.

      »Ich danke Ihnen, Dr. Werner, Sie sind dem Hause Kröger ein gu-ter Freund.«

      Werner winkt ab und drückt die zarte feingeäderte Hand.

      *

      Bettina ist endlich genesen. Dr. Werner war in ernstlicher Sorge. Er spürte, daß der jungen Frau der Wille fehlte. Sie sprach sehr wenig, war still und in sich gekehrt.

      Keiner hat ihr bisher von dem Tod ihres Mannes erzählt. Sie vermißt ihn auch nicht. Sie ist gewohnt, daß er sich wochenlang nicht um sie kümmert.

      Inzwischen ist der Frühling in einen heißen Sommer übergegangen. Bettina sitzt sonnengeschützt auf der Terrasse hinter dem Haus und starrt grübelnd aus übergroßen Augen in das Blättergewirr der schönen alten Bäume. Alles um sie herum atmet Frieden.

      Schwester Traute hat ihr noch eine leichte Decke über die Knie gelegt, hat das Rückenkissen des Liegestuhls geglättet und den Tisch mit den Erfrischungen in Reichweite geschoben und ist hinter Franziska durch die breite Flügeltür verschwunden.

      Bettina grübelt. Da war doch etwas, überlegt sie, etwas, das sich lohnte, aus der Erinnerung ausgegraben zu werden. Aber es bleibt bei einem hilflosen Vortasten. Viel eindringlicher kehrt ein anderes, häßliches Erlebnis zurück: Jürgen war sinnlos betrunken in ihr Schlafzimmer eingebrochen, das sie nicht mehr abgeschlossen hatte, seitdem ihre Mutter im Hause weilte. Sie wollte Franziska so lange wie möglich verheimlichen, wie weit ihre Entfremdung bereits vorgeschritten war. Sie rechnete nicht damit, wie scharf das Mutterauge blickte, und daß Franziska längst Bescheid wußte, wie es um die Ehe bestellt war.

      Jürgen hatte sie mitten in der Nacht zwingen wollen, seine Gäste zu begrüßen. Sie hatte sich mutig geweigert und seinem rasenden Zorn die Stirn geboten. Und da er Widerspruch in seiner Trunkenheit überhaupt nicht vertragen konnte, hatte er sie wild geschüttelt und sie dann urplötzlich losgelassen. Sie hatte zwei gellende Schreie ausgestoßen, einmal vor Schreck, als sie den Boden unter den Füßen verlor, und einmal vor Schmerz, als sie mit dem Kopf gegen eine scharfe Kante gefallen war. Dann war es Nacht um sie geworden. Aber aus dieser Nacht war sie noch einmal emporgetaucht und hatte in zwei helle Augen gesehen. Es waren aber nicht Jürgens Augen gewesen. Zu wem gehörten sie? Sie mußte sie schon einmal gesehen haben. Und hier versagte ihr Gedächtnis, und zu fragen wagte sie nicht einmal Franziska.

      Drinnen im Salon flüstert Franziska von Welling mit Schwester Traute.

      »Was meinen Sie, Schwester, ob man ihr jetzt endlich die Wahrheit sagen kann? Bisher konnten wir ihr Besucher fernhalten, da sie es selbst wünschte. Was aber, wenn sie es auf plumpe Art zu erfahren bekäme? Wäre das für sie nicht ein viel größerer Schock?«

      Schwester Traute nickt zustimmend. »Von diesem Gesichtspunkt aus habe ich das noch gar nicht betrachtet. Sie haben natürlich recht, gnädige Frau.«

      Franziska winkt ärgerlich ab. Sie kann in manchen Dingen ziemlich hartnäckig und auch resolut sein, was man der zarten Frau kaum zutraut. »Sagen Sie doch nicht immer wieder ›gnädige Frau‹ zu mir. Ich bin Frau von Welling…« Und dann fährt sie, schon wieder besänftigt, fort: »Also sage ich es ihr, ja?«

      Wieder ein Nicken der Schwester, und Franziska huscht zurück zu Bettina, die ihr lächelnd entgegensieht.

      Sie zieht sich einen Sessel heran und greift nach Bettinas Hand, und sie weiß nicht, ob sie einen Halt sucht – oder ob Bettina ihn brauchen wird.

      »Nanu, Mama, du siehst ja so feierlich aus?« Bettinas Lächeln vertieft sich. »Weißt du, Mama, so ein Gesicht machst du immer, wenn du mir etwas Unangenehmes zu sagen hast. Es ist mir noch von meiner Kindheit her in Erinnerung.«

      »In der Tat, Liebes, es ist etwas Unangenehmes…«

      Bettina drehte den Kopf weg und blickt über die Rosenbeete, von denen der Gärtner soeben die abgefallenen Blätter aufgesammelt hat. Ein süßer Duft liegt in der Luft und viel Friede. Eigentlich hat sie dieses Gefühl noch nie so stark wie in letzter Zeit gehabt. »Es hängt sicher mit Jürgen zusammen, ja?«

      »Allerdings, Bettina.« Franziskas Stimme klingt unsicher, sie hat sie nicht mehr ganz in der Gewalt.

      »Hat er sich vielleicht auf und davon gemacht, Mama? Du brauchst mich nicht zu schonen.« Sie richtet die klaren blauen Augen, die ihre Farbe so leicht verändern, ernst auf Franziska.

      Behutsam zieht Franziska ihre Hand zurück und bedeckt mit den Handflächen ihr Gesicht. »O Gott, mein Liebes«, stöhnt sie, »aber anders als du denkst.«

      Sie merkt, wie Bettinas Körper steif wird. Sie läßt