er soll mich retten, er wird mich retten!« murmelte sie jetzt. »Frei will ich wieder sein; was ich gewesen bin, will ich wieder sein!«
Die Traumbilder jener ersten Nacht, welche sie auf dem Schloß Pyrmont zubrachte, stiegen wieder vor ihr auf, und neue, glänzendere reiheten sich daran.
Sie vermeinte das Meer zu sehen – unermeßlich sich dehnend hinter den Fenstern des Frauengemaches zu Pyrmont –, aber es war nur das bleiche Leuchten des Schnees in der Abenddämmerung. Sie glaubte das Rauschen der Wellen an den Mauern des Schlosses zu vernehmen – aber es war nur der Wind, der von neuem aufwachte in den Wäldern!
Aber jetzt – horch – in weiter Ferne durch das klagende Getön der Klang der Waldhörner!
Da kam der Retter! Da kam der Erlöser!
Alle Willenskraft mußte Fausta zusammennehmen, daß sie nicht in einen wilden Schrei des Triumphes ausbrach.
»O Cesare, Cesare«, flüsterte sie, »komm und nimm mich! Ich bin bereit, hole mich und hebe mich aus der Dunkelheit und Vergessenheit, zum neuen Flug durch die Welt!«
Näher und näher erklangen die Hörner der heimkehrenden Jäger, und das Horn des Türmers antwortete ihnen, wie die Hofhunde dem Gebell der Hunde draußen antworteten. Über die Zugbrücke stampften die Rosse, in den Schloßhof ergoß sich das fröhliche Getümmel. Fußknechte, Reiter, Bauern und Hunde drängten sich um die blutende Beute, und die Damen von Spiegelberg eilten die Stiegen hinunter, um die Herren zu begrüßen.
Der Graf von Pyrmont kehrte noch bedeutend ernster und nachdenklicher, als er ausgezogen war, zurück. Christof von Wrisberg hatte die durch die Jagdlust herbeigeführte Seelenstimmung benutzt, Herrn Philipp mit dem Grunde des Besuches Don Cesares bekannt zu machen, und Don Cesare hatte darauf alle seine Beredsamkeit aufgeboten, den Arm und den Einfluß des wackern jungen Grafen für die Sache des französischen Königs zu gewinnen.
Auch der Wrisberger war nicht auf das Maul gefallen, wenn es galt. Gut und eindringlich sprach er, wenn eine Sache durch die Kraft der Rede zu einem guten Ende zu bringen war. Oft genug hatte er davon Beweise gegeben vor der Front seiner Landsknechte, wenn es galt, den Feind anzugreifen, oder im Ringe, wenn der Sold ausgeblieben war und Meuterei drohte.
Hier aber traf niedersassisch Blut gegen niedersassisch Blut, und Herr Philipp von Spiegelberg war nicht durch einen Netzwurf zu fangen. Stumm hatte er den beiden Gästen zugehört, mehrere Male den Kopf geschüttelt und endlich sich vor allem Bedenkzeit ausgebeten. Weder Christof noch Cesare hatten ihm fürs erste das Versprechen abringen können, daß er Herrn Heinrich von Frankreich und Navarra zuziehen wolle.
»Ich muß morgen schon von dannen«, sagte der alte gewiegte Feldhauptmann Karls des Fünften, »das Feuer brennt mir auf den Nägeln. Aber, Philippe, ich will Euch den Ritter von Camplan zurücklassen; der mag Euch den Weg zu Eurem Besten noch genauer weisen. Glaubt’s mir, Spiegelberg, kommt mit uns und lasset Euch nicht von denen Spaniern ködern! Ich sage Euch, die Hundsf … ziehen Euch nur das Fell von den Ohren und bitten sich nachher noch ein Trinkgeld für solchen erwiesenen Liebesdienst aus. Glaubt’s mir, Philippe, und haltet dran! Ich hab’s erfahren, wie der Spanier Freundschaft tut, und kann am besten davon nachsagen im Heiligen Römischen Reich Teutscher Nation.«
»Gut, gut; ich will’s beschlafen, verlasset Euch darauf!« hatte Philipp gesagt, und Don Cesare hatte sich gegen den Grafen, seinen Wirt, verbeugt und das Gespräch fallen lassen. Der Graf hatte seinen grünen Jägerhut ein wenig gegen den Ritter gelüftet, dann einen riesigen Wolf niedergeschossen und darauf einen zweiten mit dem Jagdspeer erlegt.
Die übrige Jagdgesellschaft hielt sich ebenfalls wacker an dieses aufregende Vergnügen, bis die zunehmende Dunkelheit sie in das Schloß zurücktrieb.
Abermals folgte ein Nachtmahl, woran sich wiederum ein lustiges Trinkgelag schloß, bei welchem der tolle Wrisberger abermals dartat, daß er viel erlebt hatte und daß er viel berauschende Flüssigkeiten vertragen konnte, bei welchem der Italiener abermals viel mehr flüsterte als sprach, viel mehr lächelte als lachte, viel mehr beobachtete als sich beobachten ließ.
Dieses Mal durfte Don Cesare nicht Müdigkeit vorschützen und sich daraufhin zurückziehen. Er mußte den gefüllten Humpen und den Trinksprüchen der beiden deutschen Edlen standhalten und bewies, daß er solches recht wohl vermöge, wodurch er in der Achtung Philipps von Spiegelberg nicht wenig stieg.
»Hab ich’s Euch nicht gesagt, Philippe, daß es ein guter Kumpan sei?« rief der Wrisberger, mit der Faust auf den Tisch schlagend.
Dem Fräulein Ursula gefiel der Ritter von Campolani immer weniger, dem Fräulein Walburg gefiel er immer besser, ohne daß jedoch Georg von Gleichen-Tonna im Herzchen der kleinen Spiegelbergerin darunter litt. Nachdem die beiden jungen Damen den Trinksaal verlassen hatten, tauschten sie noch lange ihre Gedanken darüber aus, und Fausta La Tedesca hörte ihnen lächelnd zu, mischte sich aber mit keinem Worte in das Gespräch.
Unterdessen ging das Gelage weiter; sämtliche Männer des Schlosses wurden allmählich hineingezogen, und jeglicher Unterschied des Ranges und Standes verschwand mehr und mehr. Ein wandernder Kapuziner, der auf dem Haus Pyrmont Nachtquartier genommen hatte, wurde von seiner Streu aufgestört und ließ sich leider nur allzugern und willig betrunken und zur Zielscheibe der rohesten Späße machen. Seinen Gipfelpunkt erreichte das Bacchanal, als der Wrisberger mit weinerlicher Stimme das schöne Lied von 1547, welches ihm selbst zum Hohne um jedes Lagerfeuer, in jeder Wachtstube erklang, absang:
»Ein newes Lied wir heben an,
Zu Lob so wollen wir singen
Den frommen Landsknecht wohlgetan,
Wie’s ihnen tat gelingen«
Lachend brüllte die Gesellschaft außer dem Ritter Campolani mit:
»Herzog Erich betrogen ward
Von Fritzberg also schwere –
Daß er nicht kam zu rechter Fahrt,
Verdroß den Fürsten sehre.
Er sprach: wie geht das immer zu,
Daß vir seynd so verlassen?
ihr Reiter, Landsknecht, habt kein Ruh
Und habt acht auf die Straßen!«
Zuletzt fiel der »Fritzberger« mit Gekrach unter den Tisch und wurde von zwei Knappen zu Bett geschleift, wobei er den Spiegelberger immer ermahnte:
»Philippe – nicht ge – gen die Franz – osen! – nicht – mit den Hisss – paniern! – ein ggut – ut – Wort ist besser – denn ein – Fffähnlein Panzerrreiter – terrr! Nicht für – die Hissspanier – nicht – für das Haus Österreich – Philippe!«
Auch Philipp nahm, ein wenig schwankend, Urlaub von dem Ritter Campolani und wankte, auf die Schulter seines wankenden Haushofmeisters gestützt, seinem Schlafgemach zu. Cesare allein schritt ohne Beihülfe dem Klaus Eckenbrecher, welcher ihm vorleuchtete, in sein Zimmer nach.
Hier angekommen, zündete der junge Reisige die Lampe auf dem Tische des Ritters an und wollte sich eben nach höflichem Gruße entfernen, als ihn der Fremde zurückrief:
»Ihr seid ein guter Reiter, Freund. Hab solches wohl bemerkt heut während der Jagd. Wetter, Ihr seid auch wohl schon einmal gegen ein feindlich Büchsenfeuer angesprengt oder gegen eine Hecke von Speerspitzen?«
»Leider noch nicht, gnädiger Herr; aber ich bitte Gott in jeder Nacht, daß er mir baldigst dazu verhelfen möge, das kann ich Euch sagen.«
»So ist’s recht«, sagte Don Cesare lächelnd. »Nun, Ihr könnt wohl noch dazu kommen – hätte, im Vertrauen gesagt, nicht übel Lust, Euch wie Euern Herrn, den Grafen, mitzuführen in den Krieg.«
»In den Krieg?« schrie Eckenbrecher, dem vor freudigem Schrecken beinahe die Lampe entfiel. »In den Krieg?! Juhe, mit meinem gnädigen Herrn von Pyrmont in den Krieg? O Herr Ritter, wenn Ihr uns dazu verhelfen wolltet – beim Teufel, ich gäb ein Jahr meines Lebens darum!«
»Wir wollen sehen!« sagte Don